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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Engländer vor Tsin-kian-fu.
Stadt Sun-kian wegen seichten Wassers umkehren musste, so
berichtete der dortige Commandeur einen grossen Sieg nach Pe-kin.
Der Kaiser liess sich noch einmal täuschen und wurde in seinem
Wahn durch die Bewegungen der Engländer bestärkt, welche am
23. Juni Shang-hae schon wieder räumten.

Die damals im Yan-tse-kian versammelte Streitmacht be-
stand aus funfzehn Kriegsschiffen, fünf Dampfern und beinahe
funfzig Transport- und Truppenschiffen. Einschliesslich der See-
soldaten waren neuntausend Bajonete an Bord, ausserdem drei-
tausend exercierte Seeleute zum Dienst am Lande disponibel. --
Während am 8. Juli das Geschwader bei Fo-san ankerte, trat eine
totale Sonnenfinsterniss ein; der chinesische Aberglauben zog
daraus seine Schlüsse. Ki-yin rückte mit seiner durch Desertionen
stark reducirten Armee den Engländern langsam nach; aber ein
ernster Versuch das Geschwader aufzuhalten wurde nirgends
gemacht, so passende Stellen sich dazu boten. Die Tiefe
und Schiffbarkeit des Stromes übertraf alle Erwartungen; von
Wu-son bis Nan-kin, auf eine Entfernung von funfzig deutschen
Meilen, war das Fahrwasser tief genug für grosse Linienschiffe.
Einige unbedeutende Schanzen feuerten auf das Geschwader, wur-
den aber leicht zum Schweigen gebracht; andere fand man ver-
lassen. Unterhalb Tsin-kian-fu beherrschten günstig gelegene
Erdwerke eine Wendung des Stromes; sie hätten, wirksam ver-
theidigt, den Lauf der Schiffe wohl aufhalten können; die Besatzung
feuerte aber nur wenige Schüsse und lief vor den gelandeten
Truppen davon. Die Werke von Tsin-kian-fu gaben keinen
Schuss ab, als am 19. Juli das englische Geschwader davor
ankerte.

In dieser wichtigen Festung, dem Schlüssel zum Kaiser-
Canal
, commandirte ein braver Tartar, der umsonst Verstärkung
und Solderhöhung für seine Truppen verlangt hatte. Die Besatzung
war ganz unzureichend. Hae-lin hielt mächtige Brander und
Feuerflosse bereit, die nur, zu früh angezündet, in dem Canal ver-
brannten, wo sie geankert lagen. Auch missglückten alle Versuche,
brennende Dschunken an die Schiffe zu hängen. -- Am Morgen des
21. Juli wurden die englischen Truppen ausgeschifft. Eine Colonne
stürmte das nordöstliche Stadtthor, fand jedoch innerhalb heftigen
Widerstand und brauchte mehrere Stunden heissen Kampfes, um
das westliche Thor zu gewinnen, das die zweite Colonne nach

Die Engländer vor Tšiṅ-kiaṅ-fu.
Stadt Suṅ-kiaṅ wegen seichten Wassers umkehren musste, so
berichtete der dortige Commandeur einen grossen Sieg nach Pe-kiṅ.
Der Kaiser liess sich noch einmal täuschen und wurde in seinem
Wahn durch die Bewegungen der Engländer bestärkt, welche am
23. Juni Shang-hae schon wieder räumten.

Die damals im Yaṅ-tse-kiaṅ versammelte Streitmacht be-
stand aus funfzehn Kriegsschiffen, fünf Dampfern und beinahe
funfzig Transport- und Truppenschiffen. Einschliesslich der See-
soldaten waren neuntausend Bajonete an Bord, ausserdem drei-
tausend exercierte Seeleute zum Dienst am Lande disponibel. —
Während am 8. Juli das Geschwader bei Fo-šan ankerte, trat eine
totale Sonnenfinsterniss ein; der chinesische Aberglauben zog
daraus seine Schlüsse. Ki-yiṅ rückte mit seiner durch Desertionen
stark reducirten Armee den Engländern langsam nach; aber ein
ernster Versuch das Geschwader aufzuhalten wurde nirgends
gemacht, so passende Stellen sich dazu boten. Die Tiefe
und Schiffbarkeit des Stromes übertraf alle Erwartungen; von
Wu-soṅ bis Nan-kiṅ, auf eine Entfernung von funfzig deutschen
Meilen, war das Fahrwasser tief genug für grosse Linienschiffe.
Einige unbedeutende Schanzen feuerten auf das Geschwader, wur-
den aber leicht zum Schweigen gebracht; andere fand man ver-
lassen. Unterhalb Tšiṅ-kiaṅ-fu beherrschten günstig gelegene
Erdwerke eine Wendung des Stromes; sie hätten, wirksam ver-
theidigt, den Lauf der Schiffe wohl aufhalten können; die Besatzung
feuerte aber nur wenige Schüsse und lief vor den gelandeten
Truppen davon. Die Werke von Tšiṅ-kiaṅ-fu gaben keinen
Schuss ab, als am 19. Juli das englische Geschwader davor
ankerte.

In dieser wichtigen Festung, dem Schlüssel zum Kaiser-
Canal
, commandirte ein braver Tartar, der umsonst Verstärkung
und Solderhöhung für seine Truppen verlangt hatte. Die Besatzung
war ganz unzureichend. Hae-liṅ hielt mächtige Brander und
Feuerflosse bereit, die nur, zu früh angezündet, in dem Canal ver-
brannten, wo sie geankert lagen. Auch missglückten alle Versuche,
brennende Dschunken an die Schiffe zu hängen. — Am Morgen des
21. Juli wurden die englischen Truppen ausgeschifft. Eine Colonne
stürmte das nordöstliche Stadtthor, fand jedoch innerhalb heftigen
Widerstand und brauchte mehrere Stunden heissen Kampfes, um
das westliche Thor zu gewinnen, das die zweite Colonne nach

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[122/0144] Die Engländer vor Tšiṅ-kiaṅ-fu. Stadt Suṅ-kiaṅ wegen seichten Wassers umkehren musste, so berichtete der dortige Commandeur einen grossen Sieg nach Pe-kiṅ. Der Kaiser liess sich noch einmal täuschen und wurde in seinem Wahn durch die Bewegungen der Engländer bestärkt, welche am 23. Juni Shang-hae schon wieder räumten. Die damals im Yaṅ-tse-kiaṅ versammelte Streitmacht be- stand aus funfzehn Kriegsschiffen, fünf Dampfern und beinahe funfzig Transport- und Truppenschiffen. Einschliesslich der See- soldaten waren neuntausend Bajonete an Bord, ausserdem drei- tausend exercierte Seeleute zum Dienst am Lande disponibel. — Während am 8. Juli das Geschwader bei Fo-šan ankerte, trat eine totale Sonnenfinsterniss ein; der chinesische Aberglauben zog daraus seine Schlüsse. Ki-yiṅ rückte mit seiner durch Desertionen stark reducirten Armee den Engländern langsam nach; aber ein ernster Versuch das Geschwader aufzuhalten wurde nirgends gemacht, so passende Stellen sich dazu boten. Die Tiefe und Schiffbarkeit des Stromes übertraf alle Erwartungen; von Wu-soṅ bis Nan-kiṅ, auf eine Entfernung von funfzig deutschen Meilen, war das Fahrwasser tief genug für grosse Linienschiffe. Einige unbedeutende Schanzen feuerten auf das Geschwader, wur- den aber leicht zum Schweigen gebracht; andere fand man ver- lassen. Unterhalb Tšiṅ-kiaṅ-fu beherrschten günstig gelegene Erdwerke eine Wendung des Stromes; sie hätten, wirksam ver- theidigt, den Lauf der Schiffe wohl aufhalten können; die Besatzung feuerte aber nur wenige Schüsse und lief vor den gelandeten Truppen davon. Die Werke von Tšiṅ-kiaṅ-fu gaben keinen Schuss ab, als am 19. Juli das englische Geschwader davor ankerte. In dieser wichtigen Festung, dem Schlüssel zum Kaiser- Canal, commandirte ein braver Tartar, der umsonst Verstärkung und Solderhöhung für seine Truppen verlangt hatte. Die Besatzung war ganz unzureichend. Hae-liṅ hielt mächtige Brander und Feuerflosse bereit, die nur, zu früh angezündet, in dem Canal ver- brannten, wo sie geankert lagen. Auch missglückten alle Versuche, brennende Dschunken an die Schiffe zu hängen. — Am Morgen des 21. Juli wurden die englischen Truppen ausgeschifft. Eine Colonne stürmte das nordöstliche Stadtthor, fand jedoch innerhalb heftigen Widerstand und brauchte mehrere Stunden heissen Kampfes, um das westliche Thor zu gewinnen, das die zweite Colonne nach

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/144>, abgerufen am 27.04.2024.