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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Tsa-pu genommen.
wenig Glauben; die Nachricht, dass die englische Flotte vor Tsa-pu 53)
ankere, folgte ihnen auf dem Fusse.

Widrige Winde hatten die Ankunft der Briten vor dieser
Feste bis zum 17. Mai verzögert; am 18. Morgens landeten sie.
Die chinesische Streitmacht stand ausserhalb der Stadt auf
einem Hügelrücken, wo englische Truppen sie in der Flanke an-
griffen und vertrieben; eine zweite Colonne schnitt den Flüchtigen
den Rückzug ab und sprengte sie ganz auseinander. Die Mauern
der in einiger Entfernung vom Ufer liegenden Festung wurden
leicht erstiegen; innerhalb fand man keinen Widerstand. Etwa
dreihundert Tartaren hatten sich, von der Stadt abgeschnitten, in
einen grossen Tempel geworfen und leisteten dort mehrere Stun-
den lang verzweifelte Gegenwehr; man musste Geschütze holen
und das Gebäude in Brand schiessen. Nur dreiundfunfzig Tartaren
blieben am Leben und diese meist verwundet. Die Engländer, die
so achtbaren Widerstand in China noch nicht gefunden hatten,
schenkten den erstaunten Gefangenen sofort die Freiheit. Sie selbst
hatten bei Tsa-pu neun Todte und funfzig Verwundete, die fast
sämmtlich bei jenem Tempel fielen.

Bei Untersuchung der Stadt entdeckten die Briten, dass alle
Frauen der tartarischen Garnison sich selbst und ihre Kinder
gemordet hatten; man fand sie erhängt, erdrosselt, ertränkt.
Diebesbanden plünderten, wie in allen genommenen Städten, mit
unerhörter Frechheit die friedlichen Bewohner. Der Commandeur
erhielt eine schwere Wunde und starb mit grosser Standhaftig-
keit unter den Händen der englischen Aerzte.

Der amtliche Bericht über den Verlust von Tsa-pu stellte
die Thatsache ohne Umschweif und Bemäntelung dar. Yi-kin, der
ausser Schussweite blieb, wurde zur Verantwortung gezogen und
durch einen anderen Verwandten des Kaisers, den bekannten
Ki-yin ersetzt, der von da an auf China's Beziehungen zum Aus-
land lange Zeit grossen Einfluss übte. Er erkannte von vornherein
die Hoffnungslosigkeit des Widerstandes und strebte eifrig dem
Kampfe ein Ende zu machen, welcher bei längerer Dauer den
Thron der Mandschu gefährden musste. Mit I-li-pu vereinigt be-

53) Tsa-pu liegt etwa funfzehn deutsche Meilen nordwestlich von Tsin-hae am
Ufer eines Aestuariums, welches die Mündung des bei der reichen Handelsstadt
Han-tsau fliessenden Stromes bildet. Beide Städte sind durch einen das Ufer säu-
menden Damm verbunden.

Tša-pu genommen.
wenig Glauben; die Nachricht, dass die englische Flotte vor Tša-pu 53)
ankere, folgte ihnen auf dem Fusse.

Widrige Winde hatten die Ankunft der Briten vor dieser
Feste bis zum 17. Mai verzögert; am 18. Morgens landeten sie.
Die chinesische Streitmacht stand ausserhalb der Stadt auf
einem Hügelrücken, wo englische Truppen sie in der Flanke an-
griffen und vertrieben; eine zweite Colonne schnitt den Flüchtigen
den Rückzug ab und sprengte sie ganz auseinander. Die Mauern
der in einiger Entfernung vom Ufer liegenden Festung wurden
leicht erstiegen; innerhalb fand man keinen Widerstand. Etwa
dreihundert Tartaren hatten sich, von der Stadt abgeschnitten, in
einen grossen Tempel geworfen und leisteten dort mehrere Stun-
den lang verzweifelte Gegenwehr; man musste Geschütze holen
und das Gebäude in Brand schiessen. Nur dreiundfunfzig Tartaren
blieben am Leben und diese meist verwundet. Die Engländer, die
so achtbaren Widerstand in China noch nicht gefunden hatten,
schenkten den erstaunten Gefangenen sofort die Freiheit. Sie selbst
hatten bei Tša-pu neun Todte und funfzig Verwundete, die fast
sämmtlich bei jenem Tempel fielen.

Bei Untersuchung der Stadt entdeckten die Briten, dass alle
Frauen der tartarischen Garnison sich selbst und ihre Kinder
gemordet hatten; man fand sie erhängt, erdrosselt, ertränkt.
Diebesbanden plünderten, wie in allen genommenen Städten, mit
unerhörter Frechheit die friedlichen Bewohner. Der Commandeur
erhielt eine schwere Wunde und starb mit grosser Standhaftig-
keit unter den Händen der englischen Aerzte.

Der amtliche Bericht über den Verlust von Tša-pu stellte
die Thatsache ohne Umschweif und Bemäntelung dar. Yi-kiṅ, der
ausser Schussweite blieb, wurde zur Verantwortung gezogen und
durch einen anderen Verwandten des Kaisers, den bekannten
Ki-yiṅ ersetzt, der von da an auf China’s Beziehungen zum Aus-
land lange Zeit grossen Einfluss übte. Er erkannte von vornherein
die Hoffnungslosigkeit des Widerstandes und strebte eifrig dem
Kampfe ein Ende zu machen, welcher bei längerer Dauer den
Thron der Mandschu gefährden musste. Mit I-li-pu vereinigt be-

53) Tša-pu liegt etwa funfzehn deutsche Meilen nordwestlich von Tšin-hae am
Ufer eines Aestuariums, welches die Mündung des bei der reichen Handelsstadt
Haṅ-tšau fliessenden Stromes bildet. Beide Städte sind durch einen das Ufer säu-
menden Damm verbunden.
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[119/0141] Tša-pu genommen. wenig Glauben; die Nachricht, dass die englische Flotte vor Tša-pu 53) ankere, folgte ihnen auf dem Fusse. Widrige Winde hatten die Ankunft der Briten vor dieser Feste bis zum 17. Mai verzögert; am 18. Morgens landeten sie. Die chinesische Streitmacht stand ausserhalb der Stadt auf einem Hügelrücken, wo englische Truppen sie in der Flanke an- griffen und vertrieben; eine zweite Colonne schnitt den Flüchtigen den Rückzug ab und sprengte sie ganz auseinander. Die Mauern der in einiger Entfernung vom Ufer liegenden Festung wurden leicht erstiegen; innerhalb fand man keinen Widerstand. Etwa dreihundert Tartaren hatten sich, von der Stadt abgeschnitten, in einen grossen Tempel geworfen und leisteten dort mehrere Stun- den lang verzweifelte Gegenwehr; man musste Geschütze holen und das Gebäude in Brand schiessen. Nur dreiundfunfzig Tartaren blieben am Leben und diese meist verwundet. Die Engländer, die so achtbaren Widerstand in China noch nicht gefunden hatten, schenkten den erstaunten Gefangenen sofort die Freiheit. Sie selbst hatten bei Tša-pu neun Todte und funfzig Verwundete, die fast sämmtlich bei jenem Tempel fielen. Bei Untersuchung der Stadt entdeckten die Briten, dass alle Frauen der tartarischen Garnison sich selbst und ihre Kinder gemordet hatten; man fand sie erhängt, erdrosselt, ertränkt. Diebesbanden plünderten, wie in allen genommenen Städten, mit unerhörter Frechheit die friedlichen Bewohner. Der Commandeur erhielt eine schwere Wunde und starb mit grosser Standhaftig- keit unter den Händen der englischen Aerzte. Der amtliche Bericht über den Verlust von Tša-pu stellte die Thatsache ohne Umschweif und Bemäntelung dar. Yi-kiṅ, der ausser Schussweite blieb, wurde zur Verantwortung gezogen und durch einen anderen Verwandten des Kaisers, den bekannten Ki-yiṅ ersetzt, der von da an auf China’s Beziehungen zum Aus- land lange Zeit grossen Einfluss übte. Er erkannte von vornherein die Hoffnungslosigkeit des Widerstandes und strebte eifrig dem Kampfe ein Ende zu machen, welcher bei längerer Dauer den Thron der Mandschu gefährden musste. Mit I-li-pu vereinigt be- 53) Tša-pu liegt etwa funfzehn deutsche Meilen nordwestlich von Tšin-hae am Ufer eines Aestuariums, welches die Mündung des bei der reichen Handelsstadt Haṅ-tšau fliessenden Stromes bildet. Beide Städte sind durch einen das Ufer säu- menden Damm verbunden.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/141>, abgerufen am 27.04.2024.