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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Winterquartiere in Nin-po.
Flotte ein Ziel. Die Engländer hielten in Nin-po strenge Manns-
zucht, bezahlten alle Bedürfnisse und traten mit der Bevölkerung
in das beste Verhältniss. Viele der Geflohenen kehrten zu ihrem
Heerde zurück; an guten Lebensmitteln herrschte Ueberfluss; selbst
benachbarte Städte sandten unaufgefordert ihre Beisteuer, die man
gewissenhaft bezahlte. Die Sicherheit war in den ersten Monaten
vollkommen, denn weit und breit gab es keinen chinesischen Sol-
daten; wie im tiefsten Frieden konnte man die Umgegend durch-
streifen.

Ganz Tse-kian stand den Engländern offen; die rathlosen
Mandarinen, welche auf ihre Truppen nicht bauen konnten, wandten
sich um Hülfe nach Pe-kin. Tau-kwan befahl aber in der Defen-
sive zu bleiben, bis die grosse Armee zur Vernichtung der ganzen
Horde versammelt wäre. Ein Erlass an das Volk erklärte, die Bar-
baren hätten jede Spur von Gehorsam verloren und drei Provinzen
angegriffen, die Bevölkerung sei nach allen Richtungen zerstreut;
die entsetzlichen Berichte raubten den kaiserlichen Augenlidern den
Schlaf, dem himmlischen Magen die Esslust: "Deshalb befehle ich,
dass Yi-kin unter dem Titel "Schreckenverbreitender Feldherr" mit
Wun-wei und Tsun als Helfern nach Tse-kian aufbreche. Die
grosse Armee wird sich zur anberaumten Zeit dort sammeln und
beweisen, dass sie sich um das Land verdient macht." -- Die
Strenge des Winters 1841--42 verzögerte den Zuzug aus dem Nor-
den. Von Tartaren-Truppen gelangten überhaupt nur kleinere Ab-
theilungen nach den bedrängten Provinzen; die Hauptmacht blieb
zum Schutze von Pe-kin bei Tien-tsin stehen.

Yi-kin war, wie Yi-san, ein Verwandter des Kaisers und
ein Mann von demselben Schlage, der sich besser auf lustigen
Lebensgenuss verstand als auf den Krieg. Sein Hauptquartier
schlug er in Su-tsau auf, einer der reichsten Städte von China,
dem Sitze üppiger Schwelgerei und hoffährtiger Eleganz. Die gegen
die Engländer von da aus angeordneten Operationen waren kaum
militärische zu nennen; sie beschränkten sich anfangs auf Organi-
sation von Streifbanden, welche auf Tsu-san und in der Umgegend
von Nin-po einzelnen Soldaten auf lauern und die Bevölkerung terro-
risiren mussten. Aus dem schlechtesten Gesindel zusammengeschaart,
wurden sie den Engländern wie den Chinesen sehr unbequem, übten
aber auf den Gang des Krieges keinen Einfluss. In Folge von
Yi-kin's Drohungen verliessen viele wohlhabende Bürger Nin-po;

Winterquartiere in Niṅ-po.
Flotte ein Ziel. Die Engländer hielten in Niṅ-po strenge Manns-
zucht, bezahlten alle Bedürfnisse und traten mit der Bevölkerung
in das beste Verhältniss. Viele der Geflohenen kehrten zu ihrem
Heerde zurück; an guten Lebensmitteln herrschte Ueberfluss; selbst
benachbarte Städte sandten unaufgefordert ihre Beisteuer, die man
gewissenhaft bezahlte. Die Sicherheit war in den ersten Monaten
vollkommen, denn weit und breit gab es keinen chinesischen Sol-
daten; wie im tiefsten Frieden konnte man die Umgegend durch-
streifen.

Ganz Tše-kiaṅ stand den Engländern offen; die rathlosen
Mandarinen, welche auf ihre Truppen nicht bauen konnten, wandten
sich um Hülfe nach Pe-kiṅ. Tau-kwaṅ befahl aber in der Defen-
sive zu bleiben, bis die grosse Armee zur Vernichtung der ganzen
Horde versammelt wäre. Ein Erlass an das Volk erklärte, die Bar-
baren hätten jede Spur von Gehorsam verloren und drei Provinzen
angegriffen, die Bevölkerung sei nach allen Richtungen zerstreut;
die entsetzlichen Berichte raubten den kaiserlichen Augenlidern den
Schlaf, dem himmlischen Magen die Esslust: »Deshalb befehle ich,
dass Yi-kiṅ unter dem Titel »Schreckenverbreitender Feldherr« mit
Wun-wei und Tšun als Helfern nach Tše-kiaṅ aufbreche. Die
grosse Armee wird sich zur anberaumten Zeit dort sammeln und
beweisen, dass sie sich um das Land verdient macht.« — Die
Strenge des Winters 1841—42 verzögerte den Zuzug aus dem Nor-
den. Von Tartaren-Truppen gelangten überhaupt nur kleinere Ab-
theilungen nach den bedrängten Provinzen; die Hauptmacht blieb
zum Schutze von Pe-kiṅ bei Tien-tsin stehen.

Yi-kiṅ war, wie Yi-šan, ein Verwandter des Kaisers und
ein Mann von demselben Schlage, der sich besser auf lustigen
Lebensgenuss verstand als auf den Krieg. Sein Hauptquartier
schlug er in Su-tšau auf, einer der reichsten Städte von China,
dem Sitze üppiger Schwelgerei und hoffährtiger Eleganz. Die gegen
die Engländer von da aus angeordneten Operationen waren kaum
militärische zu nennen; sie beschränkten sich anfangs auf Organi-
sation von Streifbanden, welche auf Tšu-san und in der Umgegend
von Niṅ-po einzelnen Soldaten auf lauern und die Bevölkerung terro-
risiren mussten. Aus dem schlechtesten Gesindel zusammengeschaart,
wurden sie den Engländern wie den Chinesen sehr unbequem, übten
aber auf den Gang des Krieges keinen Einfluss. In Folge von
Yi-kiṅ’s Drohungen verliessen viele wohlhabende Bürger Niṅ-po;

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[114/0136] Winterquartiere in Niṅ-po. Flotte ein Ziel. Die Engländer hielten in Niṅ-po strenge Manns- zucht, bezahlten alle Bedürfnisse und traten mit der Bevölkerung in das beste Verhältniss. Viele der Geflohenen kehrten zu ihrem Heerde zurück; an guten Lebensmitteln herrschte Ueberfluss; selbst benachbarte Städte sandten unaufgefordert ihre Beisteuer, die man gewissenhaft bezahlte. Die Sicherheit war in den ersten Monaten vollkommen, denn weit und breit gab es keinen chinesischen Sol- daten; wie im tiefsten Frieden konnte man die Umgegend durch- streifen. Ganz Tše-kiaṅ stand den Engländern offen; die rathlosen Mandarinen, welche auf ihre Truppen nicht bauen konnten, wandten sich um Hülfe nach Pe-kiṅ. Tau-kwaṅ befahl aber in der Defen- sive zu bleiben, bis die grosse Armee zur Vernichtung der ganzen Horde versammelt wäre. Ein Erlass an das Volk erklärte, die Bar- baren hätten jede Spur von Gehorsam verloren und drei Provinzen angegriffen, die Bevölkerung sei nach allen Richtungen zerstreut; die entsetzlichen Berichte raubten den kaiserlichen Augenlidern den Schlaf, dem himmlischen Magen die Esslust: »Deshalb befehle ich, dass Yi-kiṅ unter dem Titel »Schreckenverbreitender Feldherr« mit Wun-wei und Tšun als Helfern nach Tše-kiaṅ aufbreche. Die grosse Armee wird sich zur anberaumten Zeit dort sammeln und beweisen, dass sie sich um das Land verdient macht.« — Die Strenge des Winters 1841—42 verzögerte den Zuzug aus dem Nor- den. Von Tartaren-Truppen gelangten überhaupt nur kleinere Ab- theilungen nach den bedrängten Provinzen; die Hauptmacht blieb zum Schutze von Pe-kiṅ bei Tien-tsin stehen. Yi-kiṅ war, wie Yi-šan, ein Verwandter des Kaisers und ein Mann von demselben Schlage, der sich besser auf lustigen Lebensgenuss verstand als auf den Krieg. Sein Hauptquartier schlug er in Su-tšau auf, einer der reichsten Städte von China, dem Sitze üppiger Schwelgerei und hoffährtiger Eleganz. Die gegen die Engländer von da aus angeordneten Operationen waren kaum militärische zu nennen; sie beschränkten sich anfangs auf Organi- sation von Streifbanden, welche auf Tšu-san und in der Umgegend von Niṅ-po einzelnen Soldaten auf lauern und die Bevölkerung terro- risiren mussten. Aus dem schlechtesten Gesindel zusammengeschaart, wurden sie den Engländern wie den Chinesen sehr unbequem, übten aber auf den Gang des Krieges keinen Einfluss. In Folge von Yi-kiṅ’s Drohungen verliessen viele wohlhabende Bürger Niṅ-po;

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/136>, abgerufen am 27.04.2024.