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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Tsin-hae genommen.
immer mit blindem Fatalismus exponiren, flogen eine nach der an-
deren auf. Die Festungs-Artillerie hatte strengen Befehl, ihr Feuer
zu sparen, bis der Feind in sicherer Schussweite wäre; dazu kam
es aber nicht, denn die englischen Geschütze reichten viel weiter.
-- Yu-kien soll sich das eine kurze Weile mit angesehen haben,
konnte aber den dichten Eisenhagel und den Lärm der platzenden
Geschosse nicht ertragen, vergass alle Prahlerei und lief davon.
Unterwegs machte er einen schwächlichen Versuch sich zu erträn-
ken, wurde aber von seinen Begleitern aus dem Wasser gezerrt und
weiter geschleppt; am folgenden Tage vergiftete er sich. In
Tsin-hae erbeuteten die Engländer seine ganze Correspondenz und
viele wichtige Staatsschriften. -- Der Gouverneur Yu-yu-pun, einer
der kriegslustigsten Mandarinen, der sehnlichst verlangt hatte sich
mit dem Feinde zu messen, hielt auch nicht lange aus. Nach einem
auf der Flucht gemachten Scheinversuch, sich zu ertränken, sam-
melte er den Rest der chinesischen Truppen und trug vergebens
auf Waffenruhe an. -- Am Ende des Krieges wurde er wegen Feig-
heit zum Tode verurtheilt.

Der Statthalter Lu-Ta-dzen stellte dem Kaiser das Ende
Yu-kien's im Lichte des Heldenthums dar, und Tau-kwan ehrte
seine "standhafte Seele" durch die höchsten Gnaden. Sein Sarg wurde
von Würdenträgern nach Pe-kin geleitet und unterwegs von allen
Ortschaften feierlichst eingeholt; der Bruder und der Neffe des be-
rühmten Helden erhielten hohe Aemter. Später entdeckte man aber
seine maasslosen Unterschlagungen und die Lügenhaftigkeit seiner
Berichte; da wurde sein Namen vor der Nachwelt als der eines
Schwindlers gebrandmarkt, die Verwandten mussten auf kommen für
die veruntreuten Summen.

Am Abend des 10. October besetzten die Engländer Tsin-hae
ohne Widerstand und steckten das chinesische Lager an. Weit und
breit waren die Felder mit den Leichen Neugieriger besät, welche
dem Kampfe zu nah kamen. Am 13. October rückten die Truppen
nach Nin-po hinauf, dessen Garnison angesichts der heranbrausen-
den Dampfer durch die Thore abmarschirte. Auch die Einwohner
flohen zu Hauf mit ihrer beweglichen Habe; das Gesindel fiel plün-
dernd über die Stadt her, und die Engländer konnten nur durch
gewaltsames Einschreiten Ruhe und Ordnung stiften. Ein Theil der
Armee bezog hier Winterquartiere, denn der um diese Zeit ein-
setzende Nordost-Monsun setzte den weiteren Operationen der

III. 8

Tšin-hae genommen.
immer mit blindem Fatalismus exponiren, flogen eine nach der an-
deren auf. Die Festungs-Artillerie hatte strengen Befehl, ihr Feuer
zu sparen, bis der Feind in sicherer Schussweite wäre; dazu kam
es aber nicht, denn die englischen Geschütze reichten viel weiter.
Yu-kien soll sich das eine kurze Weile mit angesehen haben,
konnte aber den dichten Eisenhagel und den Lärm der platzenden
Geschosse nicht ertragen, vergass alle Prahlerei und lief davon.
Unterwegs machte er einen schwächlichen Versuch sich zu erträn-
ken, wurde aber von seinen Begleitern aus dem Wasser gezerrt und
weiter geschleppt; am folgenden Tage vergiftete er sich. In
Tšin-hae erbeuteten die Engländer seine ganze Correspondenz und
viele wichtige Staatsschriften. — Der Gouverneur Yu-yu-pun, einer
der kriegslustigsten Mandarinen, der sehnlichst verlangt hatte sich
mit dem Feinde zu messen, hielt auch nicht lange aus. Nach einem
auf der Flucht gemachten Scheinversuch, sich zu ertränken, sam-
melte er den Rest der chinesischen Truppen und trug vergebens
auf Waffenruhe an. — Am Ende des Krieges wurde er wegen Feig-
heit zum Tode verurtheilt.

Der Statthalter Lu-Ta-džen stellte dem Kaiser das Ende
Yu-kien’s im Lichte des Heldenthums dar, und Tau-kwaṅ ehrte
seine »standhafte Seele« durch die höchsten Gnaden. Sein Sarg wurde
von Würdenträgern nach Pe-kiṅ geleitet und unterwegs von allen
Ortschaften feierlichst eingeholt; der Bruder und der Neffe des be-
rühmten Helden erhielten hohe Aemter. Später entdeckte man aber
seine maasslosen Unterschlagungen und die Lügenhaftigkeit seiner
Berichte; da wurde sein Namen vor der Nachwelt als der eines
Schwindlers gebrandmarkt, die Verwandten mussten auf kommen für
die veruntreuten Summen.

Am Abend des 10. October besetzten die Engländer Tšin-hae
ohne Widerstand und steckten das chinesische Lager an. Weit und
breit waren die Felder mit den Leichen Neugieriger besät, welche
dem Kampfe zu nah kamen. Am 13. October rückten die Truppen
nach Niṅ-po hinauf, dessen Garnison angesichts der heranbrausen-
den Dampfer durch die Thore abmarschirte. Auch die Einwohner
flohen zu Hauf mit ihrer beweglichen Habe; das Gesindel fiel plün-
dernd über die Stadt her, und die Engländer konnten nur durch
gewaltsames Einschreiten Ruhe und Ordnung stiften. Ein Theil der
Armee bezog hier Winterquartiere, denn der um diese Zeit ein-
setzende Nordost-Monsun setzte den weiteren Operationen der

III. 8
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[113/0135] Tšin-hae genommen. immer mit blindem Fatalismus exponiren, flogen eine nach der an- deren auf. Die Festungs-Artillerie hatte strengen Befehl, ihr Feuer zu sparen, bis der Feind in sicherer Schussweite wäre; dazu kam es aber nicht, denn die englischen Geschütze reichten viel weiter. — Yu-kien soll sich das eine kurze Weile mit angesehen haben, konnte aber den dichten Eisenhagel und den Lärm der platzenden Geschosse nicht ertragen, vergass alle Prahlerei und lief davon. Unterwegs machte er einen schwächlichen Versuch sich zu erträn- ken, wurde aber von seinen Begleitern aus dem Wasser gezerrt und weiter geschleppt; am folgenden Tage vergiftete er sich. In Tšin-hae erbeuteten die Engländer seine ganze Correspondenz und viele wichtige Staatsschriften. — Der Gouverneur Yu-yu-pun, einer der kriegslustigsten Mandarinen, der sehnlichst verlangt hatte sich mit dem Feinde zu messen, hielt auch nicht lange aus. Nach einem auf der Flucht gemachten Scheinversuch, sich zu ertränken, sam- melte er den Rest der chinesischen Truppen und trug vergebens auf Waffenruhe an. — Am Ende des Krieges wurde er wegen Feig- heit zum Tode verurtheilt. Der Statthalter Lu-Ta-džen stellte dem Kaiser das Ende Yu-kien’s im Lichte des Heldenthums dar, und Tau-kwaṅ ehrte seine »standhafte Seele« durch die höchsten Gnaden. Sein Sarg wurde von Würdenträgern nach Pe-kiṅ geleitet und unterwegs von allen Ortschaften feierlichst eingeholt; der Bruder und der Neffe des be- rühmten Helden erhielten hohe Aemter. Später entdeckte man aber seine maasslosen Unterschlagungen und die Lügenhaftigkeit seiner Berichte; da wurde sein Namen vor der Nachwelt als der eines Schwindlers gebrandmarkt, die Verwandten mussten auf kommen für die veruntreuten Summen. Am Abend des 10. October besetzten die Engländer Tšin-hae ohne Widerstand und steckten das chinesische Lager an. Weit und breit waren die Felder mit den Leichen Neugieriger besät, welche dem Kampfe zu nah kamen. Am 13. October rückten die Truppen nach Niṅ-po hinauf, dessen Garnison angesichts der heranbrausen- den Dampfer durch die Thore abmarschirte. Auch die Einwohner flohen zu Hauf mit ihrer beweglichen Habe; das Gesindel fiel plün- dernd über die Stadt her, und die Engländer konnten nur durch gewaltsames Einschreiten Ruhe und Ordnung stiften. Ein Theil der Armee bezog hier Winterquartiere, denn der um diese Zeit ein- setzende Nordost-Monsun setzte den weiteren Operationen der III. 8

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/135>, abgerufen am 27.04.2024.