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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Herausgabe von Tsu-san.
verachten, und werden sie uns nicht, wie die Engländer, be-
schimpfen, wenn diese siegen? Es bleibt nichts übrig, als sie mit
dem Schwert zu vertilgen."

Dem entsprach die Stimmung in Pe-kin; kein Frieden durfte
mit den schändlichen Barbaren geschlossen, kein Zollbreit Landes
abgetreten, keine Entschädigung, kein Handel zugestanden werden.

Während in Kan-ton unterhandelt wurde, schickte der
Kaiser einen Statthalter nach Kian-nan, der, jener Auffassung
huldigend, sowohl seinem Vorgesetzten I-li-pu als Ki-sen feind
war, und sie arglistig zu verdächtigen wusste. Lu Tad-zen brachte
dem Kaiser den Glauben bei, dass die Engländer an Herausgabe
von Tsu-san gar nicht dächten. Dieser wiederholte nun den perem-
torischen Befehl, I-li-pu solle die Insel mit Gewalt nehmen. Der
Vice-König hatte schon früher berichtet, dass er nur über zweitau-
send Mann verfüge und den Engländern nicht gewachsen sei. Jetzt
musste er ohne Aussicht des Erfolges Anstalten treffen; aber die
gepressten Seeleute desertirten in solcher Anzahl, dass die Ein-
schiffung der Truppen unterblieb. Die bald darauf an die Garnison
von Tsu-san ergangene Weisung, die Insel zu räumen, befreite
I-li-pu von schweren Sorgen; er durfte jetzt hoffen das drohende
Verhängniss abzuwenden: "Briefe von Ki-sen und Bourchier,"
schreibt er dem Kaiser, "hatten mich benachrichtigt, dass Tsu-san
herausgegeben werden solle. Deshalb liess ich die englischen Ge-
fangenen frei und schickte die Officiere nach der Insel zurück. Drei-
tausend Mann rückten nun unter Befehl von drei Generalen in drei
Divisionen, an Bord von 130 Booten vertheilt, gegen Tin-hae. Um
verrätherischen Absichten vorzubeugen, gab ich zehntausend Tael für
Brennholz aus, um die Barbaren-Flotte anzustecken, wenn ein Ver-
such gemacht werden sollte, die Insel wiederzunehmen, stellte auch
einen grossen Haufen Miliz auf, um im Falle der Noth über sie
herzufallen, während ich selbst in Tsin-hae (am gegenüberliegen-
den Festlande) gute Wacht hielt. Als unsere Streitmacht sich
Tsu-san näherte, verliessen die Barbaren, die zur Hälfte schon ein-
geschifft waren, Tin-hae in grosser Verwirrung. Dann brannten
wir ihre Baracken nieder u. s. w."

Diese Entstellung rettete ihn nicht. "I-li-pu," schreibt der
Kaiser, "hat seine Operationen aufgeschoben, während in Kan-ton
unterhandelt wurde. Da das Barbarenauge sich unlenksam zeigte,
so war I-li-pu schon vor langer Zeit befohlen worden, Tsu-san mit

Die Herausgabe von Tšu-san.
verachten, und werden sie uns nicht, wie die Engländer, be-
schimpfen, wenn diese siegen? Es bleibt nichts übrig, als sie mit
dem Schwert zu vertilgen.«

Dem entsprach die Stimmung in Pe-kiṅ; kein Frieden durfte
mit den schändlichen Barbaren geschlossen, kein Zollbreit Landes
abgetreten, keine Entschädigung, kein Handel zugestanden werden.

Während in Kan-ton unterhandelt wurde, schickte der
Kaiser einen Statthalter nach Kiaṅ-nan, der, jener Auffassung
huldigend, sowohl seinem Vorgesetzten I-li-pu als Ki-šen feind
war, und sie arglistig zu verdächtigen wusste. Lu Tad-žen brachte
dem Kaiser den Glauben bei, dass die Engländer an Herausgabe
von Tšu-san gar nicht dächten. Dieser wiederholte nun den perem-
torischen Befehl, I-li-pu solle die Insel mit Gewalt nehmen. Der
Vice-König hatte schon früher berichtet, dass er nur über zweitau-
send Mann verfüge und den Engländern nicht gewachsen sei. Jetzt
musste er ohne Aussicht des Erfolges Anstalten treffen; aber die
gepressten Seeleute desertirten in solcher Anzahl, dass die Ein-
schiffung der Truppen unterblieb. Die bald darauf an die Garnison
von Tšu-san ergangene Weisung, die Insel zu räumen, befreite
I-li-pu von schweren Sorgen; er durfte jetzt hoffen das drohende
Verhängniss abzuwenden: »Briefe von Ki-šen und Bourchier,«
schreibt er dem Kaiser, »hatten mich benachrichtigt, dass Tšu-san
herausgegeben werden solle. Deshalb liess ich die englischen Ge-
fangenen frei und schickte die Officiere nach der Insel zurück. Drei-
tausend Mann rückten nun unter Befehl von drei Generalen in drei
Divisionen, an Bord von 130 Booten vertheilt, gegen Tiṅ-hae. Um
verrätherischen Absichten vorzubeugen, gab ich zehntausend Tael für
Brennholz aus, um die Barbaren-Flotte anzustecken, wenn ein Ver-
such gemacht werden sollte, die Insel wiederzunehmen, stellte auch
einen grossen Haufen Miliz auf, um im Falle der Noth über sie
herzufallen, während ich selbst in Tšin-hae (am gegenüberliegen-
den Festlande) gute Wacht hielt. Als unsere Streitmacht sich
Tšu-san näherte, verliessen die Barbaren, die zur Hälfte schon ein-
geschifft waren, Tiṅ-hae in grosser Verwirrung. Dann brannten
wir ihre Baracken nieder u. s. w.«

Diese Entstellung rettete ihn nicht. »I-li-pu,« schreibt der
Kaiser, »hat seine Operationen aufgeschoben, während in Kan-ton
unterhandelt wurde. Da das Barbarenauge sich unlenksam zeigte,
so war I-li-pu schon vor langer Zeit befohlen worden, Tšu-san mit

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[105/0127] Die Herausgabe von Tšu-san. verachten, und werden sie uns nicht, wie die Engländer, be- schimpfen, wenn diese siegen? Es bleibt nichts übrig, als sie mit dem Schwert zu vertilgen.« Dem entsprach die Stimmung in Pe-kiṅ; kein Frieden durfte mit den schändlichen Barbaren geschlossen, kein Zollbreit Landes abgetreten, keine Entschädigung, kein Handel zugestanden werden. Während in Kan-ton unterhandelt wurde, schickte der Kaiser einen Statthalter nach Kiaṅ-nan, der, jener Auffassung huldigend, sowohl seinem Vorgesetzten I-li-pu als Ki-šen feind war, und sie arglistig zu verdächtigen wusste. Lu Tad-žen brachte dem Kaiser den Glauben bei, dass die Engländer an Herausgabe von Tšu-san gar nicht dächten. Dieser wiederholte nun den perem- torischen Befehl, I-li-pu solle die Insel mit Gewalt nehmen. Der Vice-König hatte schon früher berichtet, dass er nur über zweitau- send Mann verfüge und den Engländern nicht gewachsen sei. Jetzt musste er ohne Aussicht des Erfolges Anstalten treffen; aber die gepressten Seeleute desertirten in solcher Anzahl, dass die Ein- schiffung der Truppen unterblieb. Die bald darauf an die Garnison von Tšu-san ergangene Weisung, die Insel zu räumen, befreite I-li-pu von schweren Sorgen; er durfte jetzt hoffen das drohende Verhängniss abzuwenden: »Briefe von Ki-šen und Bourchier,« schreibt er dem Kaiser, »hatten mich benachrichtigt, dass Tšu-san herausgegeben werden solle. Deshalb liess ich die englischen Ge- fangenen frei und schickte die Officiere nach der Insel zurück. Drei- tausend Mann rückten nun unter Befehl von drei Generalen in drei Divisionen, an Bord von 130 Booten vertheilt, gegen Tiṅ-hae. Um verrätherischen Absichten vorzubeugen, gab ich zehntausend Tael für Brennholz aus, um die Barbaren-Flotte anzustecken, wenn ein Ver- such gemacht werden sollte, die Insel wiederzunehmen, stellte auch einen grossen Haufen Miliz auf, um im Falle der Noth über sie herzufallen, während ich selbst in Tšin-hae (am gegenüberliegen- den Festlande) gute Wacht hielt. Als unsere Streitmacht sich Tšu-san näherte, verliessen die Barbaren, die zur Hälfte schon ein- geschifft waren, Tiṅ-hae in grosser Verwirrung. Dann brannten wir ihre Baracken nieder u. s. w.« Diese Entstellung rettete ihn nicht. »I-li-pu,« schreibt der Kaiser, »hat seine Operationen aufgeschoben, während in Kan-ton unterhandelt wurde. Da das Barbarenauge sich unlenksam zeigte, so war I-li-pu schon vor langer Zeit befohlen worden, Tšu-san mit

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/127>, abgerufen am 27.04.2024.