Die Kaufleute hatten sich mit ihrer Habe an Bord der Handelsschiffe unterhalb Wam-poa geborgen; vor den Factoreien in Kan-ton ankerten nur noch ein englischer Schooner und ein Cutter, auf welche die Chinesen am 21. Mai plötzlich Brander los- liessen und aus versteckten Geschützen feuerten. Die Engländer brauchten noch einige Tage zu Vorbereitungen und thaten dann den Chinesen wieder nicht den Gefallen, sie an ihren stärksten Punkten anzugreifen. Gross war die Ueberraschung, als der Com- mandirende der Landtruppen, Sir Hugh Gough, ein starkes Corps unterhalb der Stadt ausschiffen liess, dieselbe umging und die Höhen besetzte, welche sie von Norden beherrschen. Dort liegen einige Aussenwerke, deren Besatzung in panischem Schrecken davon lief. Die Engländer stiegen von den Höhen herab und warfen die auf dem abschüssigen Boden vor der Stadtmauer auf- gestellen Chinesen aus allen Positionen. Das geschah am 25. Mai. Das schlecht gerichtete Geschützfeuer von der Mauer that wenig Schaden; dagegen litten die Engländer sehr von der Hitze und Feuchtigkeit. Sie hatten noch keine Artillerie und verschoben die weiteren Operationen auf den folgenden Morgen.
In der Stadt herrschte wilde Verwirrung; die Bewohner flohen haufenweise durch die unbesetzten Thore. Das Geschütz der englischen Schiffe entzündete Feuersbrünste, welche von Ban- diten angefacht und fortgepflanzt wurden. Die kantonesischen Truppen verstärkten das Raubgesindel und fielen nach Plünderung der Factoreien über die Stadt her; die Bürger vertheidigten ihr Eigenthum und das Blut floss in Strömen. Durch das Nord-Thor stürmten in voller Auflösung die von den Engländern geworfenen Truppen aus den nördlichen Provinzen herein, warfen sich auf die kantonesischen Soldaten, welche sie Verräther schalten, und mach- ten Alles vor sich nieder; nun stand auch das Volk in Masse auf und die Metzelei wurde allgemein. Die Behörden waren ohne Macht und Ansehn.
Am Morgen des 26. Mai regnete es in Strömen; die eng- lischen Truppen erwarteten den Befehl zum Angriff, hatten aber noch immer kein Geschütz. Da wehte auf den Wällen die weisse Flagge; der alte Yan-fan bestieg die Stadtmauer, warf dem Feinde seine goldenen Armspangen hinab und wünschte zu unterhandeln. Elliot befand sich auf der anderen Seite der Stadt; die Verhand- lungen dauerten bis in die Nacht. Während dieses Waffenstill-
Angriff auf Kan-ton.
Die Kaufleute hatten sich mit ihrer Habe an Bord der Handelsschiffe unterhalb Wam-poa geborgen; vor den Factoreien in Kan-ton ankerten nur noch ein englischer Schooner und ein Cutter, auf welche die Chinesen am 21. Mai plötzlich Brander los- liessen und aus versteckten Geschützen feuerten. Die Engländer brauchten noch einige Tage zu Vorbereitungen und thaten dann den Chinesen wieder nicht den Gefallen, sie an ihren stärksten Punkten anzugreifen. Gross war die Ueberraschung, als der Com- mandirende der Landtruppen, Sir Hugh Gough, ein starkes Corps unterhalb der Stadt ausschiffen liess, dieselbe umging und die Höhen besetzte, welche sie von Norden beherrschen. Dort liegen einige Aussenwerke, deren Besatzung in panischem Schrecken davon lief. Die Engländer stiegen von den Höhen herab und warfen die auf dem abschüssigen Boden vor der Stadtmauer auf- gestellen Chinesen aus allen Positionen. Das geschah am 25. Mai. Das schlecht gerichtete Geschützfeuer von der Mauer that wenig Schaden; dagegen litten die Engländer sehr von der Hitze und Feuchtigkeit. Sie hatten noch keine Artillerie und verschoben die weiteren Operationen auf den folgenden Morgen.
In der Stadt herrschte wilde Verwirrung; die Bewohner flohen haufenweise durch die unbesetzten Thore. Das Geschütz der englischen Schiffe entzündete Feuersbrünste, welche von Ban- diten angefacht und fortgepflanzt wurden. Die kantonesischen Truppen verstärkten das Raubgesindel und fielen nach Plünderung der Factoreien über die Stadt her; die Bürger vertheidigten ihr Eigenthum und das Blut floss in Strömen. Durch das Nord-Thor stürmten in voller Auflösung die von den Engländern geworfenen Truppen aus den nördlichen Provinzen herein, warfen sich auf die kantonesischen Soldaten, welche sie Verräther schalten, und mach- ten Alles vor sich nieder; nun stand auch das Volk in Masse auf und die Metzelei wurde allgemein. Die Behörden waren ohne Macht und Ansehn.
Am Morgen des 26. Mai regnete es in Strömen; die eng- lischen Truppen erwarteten den Befehl zum Angriff, hatten aber noch immer kein Geschütz. Da wehte auf den Wällen die weisse Flagge; der alte Yaṅ-faṅ bestieg die Stadtmauer, warf dem Feinde seine goldenen Armspangen hinab und wünschte zu unterhandeln. Elliot befand sich auf der anderen Seite der Stadt; die Verhand- lungen dauerten bis in die Nacht. Während dieses Waffenstill-
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Angriff auf Kan-ton.
Die Kaufleute hatten sich mit ihrer Habe an Bord der
Handelsschiffe unterhalb Wam-poa geborgen; vor den Factoreien
in Kan-ton ankerten nur noch ein englischer Schooner und ein
Cutter, auf welche die Chinesen am 21. Mai plötzlich Brander los-
liessen und aus versteckten Geschützen feuerten. Die Engländer
brauchten noch einige Tage zu Vorbereitungen und thaten dann
den Chinesen wieder nicht den Gefallen, sie an ihren stärksten
Punkten anzugreifen. Gross war die Ueberraschung, als der Com-
mandirende der Landtruppen, Sir Hugh Gough, ein starkes Corps
unterhalb der Stadt ausschiffen liess, dieselbe umging und die
Höhen besetzte, welche sie von Norden beherrschen. Dort liegen
einige Aussenwerke, deren Besatzung in panischem Schrecken
davon lief. Die Engländer stiegen von den Höhen herab und
warfen die auf dem abschüssigen Boden vor der Stadtmauer auf-
gestellen Chinesen aus allen Positionen. Das geschah am 25. Mai.
Das schlecht gerichtete Geschützfeuer von der Mauer that wenig
Schaden; dagegen litten die Engländer sehr von der Hitze und
Feuchtigkeit. Sie hatten noch keine Artillerie und verschoben die
weiteren Operationen auf den folgenden Morgen.
In der Stadt herrschte wilde Verwirrung; die Bewohner
flohen haufenweise durch die unbesetzten Thore. Das Geschütz
der englischen Schiffe entzündete Feuersbrünste, welche von Ban-
diten angefacht und fortgepflanzt wurden. Die kantonesischen
Truppen verstärkten das Raubgesindel und fielen nach Plünderung
der Factoreien über die Stadt her; die Bürger vertheidigten ihr
Eigenthum und das Blut floss in Strömen. Durch das Nord-Thor
stürmten in voller Auflösung die von den Engländern geworfenen
Truppen aus den nördlichen Provinzen herein, warfen sich auf die
kantonesischen Soldaten, welche sie Verräther schalten, und mach-
ten Alles vor sich nieder; nun stand auch das Volk in Masse auf
und die Metzelei wurde allgemein. Die Behörden waren ohne Macht
und Ansehn.
Am Morgen des 26. Mai regnete es in Strömen; die eng-
lischen Truppen erwarteten den Befehl zum Angriff, hatten aber
noch immer kein Geschütz. Da wehte auf den Wällen die weisse
Flagge; der alte Yaṅ-faṅ bestieg die Stadtmauer, warf dem Feinde
seine goldenen Armspangen hinab und wünschte zu unterhandeln.
Elliot befand sich auf der anderen Seite der Stadt; die Verhand-
lungen dauerten bis in die Nacht. Während dieses Waffenstill-
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/109>, abgerufen am 28.11.2024.
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