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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Waffenruhe und Rüstungen.
und grosse Haufen in das Wasser jagten. Die Truppen schlugen
sich brav. 30 Officiere, 450 Mann und der Commandeur der
Abtheilung sind gefallen." In Wahrheit lief das ganze Corps aus-
einander und durchstreifte plündernd das Land. Schon am 2. März
konnte Yan-fan keinen Widerstand leisten, als die Engländer vor-
rückten. Am 3. kamen der Präfect Yu und der Vorsteher des
Hon-Verbandes auf einem Floss unter weisser Flagge den Strom
herab und ersuchten Capitän Elliot um Gehör: Man wolle den
Handel gestatten, wenn die Briten ihre Kriegsschiffe zurückzögen;
aber nur in Pe-kin könne über die schwebenden Differenzen unter-
handelt werden. -- Die Engländer besetzten darauf am 6. März
"Fort Napier" in der Nähe von Kan-ton und nahmen Stellungen ein,
aus welchen sie die Stadt und den Fluss vollkommen beherrschten.
Den Kantonesen ertheilten sie die Weisung, ruhig bei ihren Ge-
schäften zu bleiben, wenn die Stadt geschont werden solle.

Nun trat eine merkwürdige Waffenruhe ein; der friedliebende
Elliot mag wieder auf eine Lösung gehofft und die momentanen
Vortheile des Handels berücksichtigt haben. Die Kaufleute bezogen
unter dem Schutze der englischen Waffen ihre Wohnungen in
Kan-ton und betrieben ihre Handelsgeschäfte wie im tiefsten Frie-
den. Man verlor aber dadurch die kühlen trockenen Wochen des
Frühjahrs und gewährte den Chinesen Musse zu neuen Rüstungen.
Yi-san, das Haupt des Triumvirates, traf am 14. April in Kan-ton
ein, und fast täglich rückten Truppen aus den Provinzen in die
Stadt. Am Ufer wurde eine schwimmende Batterie von mächtigen
Dimensionen gebaut und mit Sandsäcken schussfest gemacht; die
Chinesen hatten zum Glück das Gewicht der Geschütze ausser Rech-
nung gelassen, welche sie unter Wasser drückten. Die Mandarinen
liessen Kanonen giessen, Pulver bereiten, Brander und Feuerflosse
in grosser Menge rüsten, und übten eifrig ihre Soldaten ein. Es
konnte dem blödesten Auge nicht entgehen, dass ein Angriff bevor-
stand; dennoch liessen die Engländer die heisse Jahreszeit heran-
kommen, ohne sich zu rühren. Mitte Mai begannen die in der
Nähe der Factoreien wohnenden chinesischen Krämer mit Hab' und
Gut abzuziehen, und nun mussten auch die fremden Kaufleute auf
Sicherheit bedacht sein; der Präfect Yu versuchte aber noch
am Tage vor dem Angriff ihre Wachsamkeit durch eine Bekannt-
machung einzuschläfern, dass ihre Person und ihr Eigenthum keine
Belästigung zu fürchten hätten.

Waffenruhe und Rüstungen.
und grosse Haufen in das Wasser jagten. Die Truppen schlugen
sich brav. 30 Officiere, 450 Mann und der Commandeur der
Abtheilung sind gefallen.« In Wahrheit lief das ganze Corps aus-
einander und durchstreifte plündernd das Land. Schon am 2. März
konnte Yaṅ-faṅ keinen Widerstand leisten, als die Engländer vor-
rückten. Am 3. kamen der Präfect Yu und der Vorsteher des
Hoṅ-Verbandes auf einem Floss unter weisser Flagge den Strom
herab und ersuchten Capitän Elliot um Gehör: Man wolle den
Handel gestatten, wenn die Briten ihre Kriegsschiffe zurückzögen;
aber nur in Pe-kiṅ könne über die schwebenden Differenzen unter-
handelt werden. — Die Engländer besetzten darauf am 6. März
»Fort Napier« in der Nähe von Kan-ton und nahmen Stellungen ein,
aus welchen sie die Stadt und den Fluss vollkommen beherrschten.
Den Kantonesen ertheilten sie die Weisung, ruhig bei ihren Ge-
schäften zu bleiben, wenn die Stadt geschont werden solle.

Nun trat eine merkwürdige Waffenruhe ein; der friedliebende
Elliot mag wieder auf eine Lösung gehofft und die momentanen
Vortheile des Handels berücksichtigt haben. Die Kaufleute bezogen
unter dem Schutze der englischen Waffen ihre Wohnungen in
Kan-ton und betrieben ihre Handelsgeschäfte wie im tiefsten Frie-
den. Man verlor aber dadurch die kühlen trockenen Wochen des
Frühjahrs und gewährte den Chinesen Musse zu neuen Rüstungen.
Yi-šan, das Haupt des Triumvirates, traf am 14. April in Kan-ton
ein, und fast täglich rückten Truppen aus den Provinzen in die
Stadt. Am Ufer wurde eine schwimmende Batterie von mächtigen
Dimensionen gebaut und mit Sandsäcken schussfest gemacht; die
Chinesen hatten zum Glück das Gewicht der Geschütze ausser Rech-
nung gelassen, welche sie unter Wasser drückten. Die Mandarinen
liessen Kanonen giessen, Pulver bereiten, Brander und Feuerflosse
in grosser Menge rüsten, und übten eifrig ihre Soldaten ein. Es
konnte dem blödesten Auge nicht entgehen, dass ein Angriff bevor-
stand; dennoch liessen die Engländer die heisse Jahreszeit heran-
kommen, ohne sich zu rühren. Mitte Mai begannen die in der
Nähe der Factoreien wohnenden chinesischen Krämer mit Hab’ und
Gut abzuziehen, und nun mussten auch die fremden Kaufleute auf
Sicherheit bedacht sein; der Präfect Yu versuchte aber noch
am Tage vor dem Angriff ihre Wachsamkeit durch eine Bekannt-
machung einzuschläfern, dass ihre Person und ihr Eigenthum keine
Belästigung zu fürchten hätten.

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[86/0108] Waffenruhe und Rüstungen. und grosse Haufen in das Wasser jagten. Die Truppen schlugen sich brav. 30 Officiere, 450 Mann und der Commandeur der Abtheilung sind gefallen.« In Wahrheit lief das ganze Corps aus- einander und durchstreifte plündernd das Land. Schon am 2. März konnte Yaṅ-faṅ keinen Widerstand leisten, als die Engländer vor- rückten. Am 3. kamen der Präfect Yu und der Vorsteher des Hoṅ-Verbandes auf einem Floss unter weisser Flagge den Strom herab und ersuchten Capitän Elliot um Gehör: Man wolle den Handel gestatten, wenn die Briten ihre Kriegsschiffe zurückzögen; aber nur in Pe-kiṅ könne über die schwebenden Differenzen unter- handelt werden. — Die Engländer besetzten darauf am 6. März »Fort Napier« in der Nähe von Kan-ton und nahmen Stellungen ein, aus welchen sie die Stadt und den Fluss vollkommen beherrschten. Den Kantonesen ertheilten sie die Weisung, ruhig bei ihren Ge- schäften zu bleiben, wenn die Stadt geschont werden solle. Nun trat eine merkwürdige Waffenruhe ein; der friedliebende Elliot mag wieder auf eine Lösung gehofft und die momentanen Vortheile des Handels berücksichtigt haben. Die Kaufleute bezogen unter dem Schutze der englischen Waffen ihre Wohnungen in Kan-ton und betrieben ihre Handelsgeschäfte wie im tiefsten Frie- den. Man verlor aber dadurch die kühlen trockenen Wochen des Frühjahrs und gewährte den Chinesen Musse zu neuen Rüstungen. Yi-šan, das Haupt des Triumvirates, traf am 14. April in Kan-ton ein, und fast täglich rückten Truppen aus den Provinzen in die Stadt. Am Ufer wurde eine schwimmende Batterie von mächtigen Dimensionen gebaut und mit Sandsäcken schussfest gemacht; die Chinesen hatten zum Glück das Gewicht der Geschütze ausser Rech- nung gelassen, welche sie unter Wasser drückten. Die Mandarinen liessen Kanonen giessen, Pulver bereiten, Brander und Feuerflosse in grosser Menge rüsten, und übten eifrig ihre Soldaten ein. Es konnte dem blödesten Auge nicht entgehen, dass ein Angriff bevor- stand; dennoch liessen die Engländer die heisse Jahreszeit heran- kommen, ohne sich zu rühren. Mitte Mai begannen die in der Nähe der Factoreien wohnenden chinesischen Krämer mit Hab’ und Gut abzuziehen, und nun mussten auch die fremden Kaufleute auf Sicherheit bedacht sein; der Präfect Yu versuchte aber noch am Tage vor dem Angriff ihre Wachsamkeit durch eine Bekannt- machung einzuschläfern, dass ihre Person und ihr Eigenthum keine Belästigung zu fürchten hätten.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/108>, abgerufen am 28.11.2024.