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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Das Harakiru. VI.
alle Samrai tragen das Wappen ihres Lehnsherrn auf dem Rock
und der mit dem blutigen Schwerte entweichende muss auf der
belebten Strasse von Vielen bemerkt worden sein; -- er soll in der
That das Zeichen der Satsuma geführt haben. Dennoch war keine
Genugthuung zu erlangen. Die Yakunine wollten, zum Zeugniss
aufgefordert, anfangs gar nichts gesehen haben, konnten diese
Ausflucht aber nicht aufrecht halten. Dann hiess es, Natale habe
mit dem Revolver gedroht, als der Samrai seinen Hund trat, --
was nicht ganz unwahrscheinlich klingt. Gewiss ist, dass der
Angreifer straflos blieb; man hörte sogar, er habe mit einigen
Genossen Natale den Tod geschworen und es würde zweckmässig
sein, diesen fortzuschicken. Herr von Bellecourt hielt die Drohung
damals nicht für Ernst, musste sich aber später, als sein Gardien
de pavillon nochmals angegriffen wurde, doch entschliessen, ihn aus
Japan zu entfernen.

Das Harakiru (Hara-wo-kiru, aufgeschlitzter Bauch) wird
für alle Männer der Adelsclasse zur Nothwendigkeit, sobald ihnen
Schande droht. Der Krieger entleibt sich, um nicht in Gefangenschaft
zu gerathen, der Beamte, wenn sich unter seiner Verwaltung
Ungehöriges zugetragen hat, gleichviel ob er es verschuldet oder
nicht; er rettet dadurch seinen Nachkommen Ehre, Vermögen und
die erbliche Würde, deren sie durch seine schimpfliche Bestrafung
verlustig gegangen wären. Nur in zweifelhaften Fällen scheinen
Männer von Rang das Urtheil des Taikun abzuwarten, und dann
gilt es als Gnade, wenn das Harakiru befohlen wird. Es ist die
Zuflucht des japanischen Edelen in jeder Calamität; die Knaben
werden jahrelang in der Kunst unterrichtet, sich mit Würde und
Grazie den Leib aufzuschlitzen, wie man bei uns tanzen lernt. Vor
Zeiten war es noch ungleich beliebter als jetzt: in den Schlachten
der Bürgerkriege scheinen viel mehr Menschen durch Selbstmord
gefallen zu sein, als durch des Feindes Schwert. Die portugiesischen
Missionare rühmen den zum Christenthum bekehrten Soldaten
ausdrücklich nach, dass sie allein unter allen japanischen Kriegern
sich lieber gefangen nehmen liessen, als Hand an sich legten. --
In den Annalen des dreizehnten, vierzehnten und funfzehnten Jahr-
hunderts sind jene Schlächtereien mit lebhaften Farben geschildert,
besonders bei Erwähnung erstürmter Festen und Städte, wo die Sieger
alle Tempel und Paläste voll blutender Leichen zu finden pflegten. Auch
gefallene Günstlinge entleibten sich gewöhnlich nach ihrem Sturz mit

Das Harakiru. VI.
alle Samraï tragen das Wappen ihres Lehnsherrn auf dem Rock
und der mit dem blutigen Schwerte entweichende muss auf der
belebten Strasse von Vielen bemerkt worden sein; — er soll in der
That das Zeichen der Satsuma geführt haben. Dennoch war keine
Genugthuung zu erlangen. Die Yakunine wollten, zum Zeugniss
aufgefordert, anfangs gar nichts gesehen haben, konnten diese
Ausflucht aber nicht aufrecht halten. Dann hiess es, Natale habe
mit dem Revolver gedroht, als der Samraï seinen Hund trat, —
was nicht ganz unwahrscheinlich klingt. Gewiss ist, dass der
Angreifer straflos blieb; man hörte sogar, er habe mit einigen
Genossen Natale den Tod geschworen und es würde zweckmässig
sein, diesen fortzuschicken. Herr von Bellecourt hielt die Drohung
damals nicht für Ernst, musste sich aber später, als sein Gardien
de pavillon nochmals angegriffen wurde, doch entschliessen, ihn aus
Japan zu entfernen.

Das Harakiru (Hara-wo-kiru, aufgeschlitzter Bauch) wird
für alle Männer der Adelsclasse zur Nothwendigkeit, sobald ihnen
Schande droht. Der Krieger entleibt sich, um nicht in Gefangenschaft
zu gerathen, der Beamte, wenn sich unter seiner Verwaltung
Ungehöriges zugetragen hat, gleichviel ob er es verschuldet oder
nicht; er rettet dadurch seinen Nachkommen Ehre, Vermögen und
die erbliche Würde, deren sie durch seine schimpfliche Bestrafung
verlustig gegangen wären. Nur in zweifelhaften Fällen scheinen
Männer von Rang das Urtheil des Taïkūn abzuwarten, und dann
gilt es als Gnade, wenn das Harakiru befohlen wird. Es ist die
Zuflucht des japanischen Edelen in jeder Calamität; die Knaben
werden jahrelang in der Kunst unterrichtet, sich mit Würde und
Grazie den Leib aufzuschlitzen, wie man bei uns tanzen lernt. Vor
Zeiten war es noch ungleich beliebter als jetzt: in den Schlachten
der Bürgerkriege scheinen viel mehr Menschen durch Selbstmord
gefallen zu sein, als durch des Feindes Schwert. Die portugiesischen
Missionare rühmen den zum Christenthum bekehrten Soldaten
ausdrücklich nach, dass sie allein unter allen japanischen Kriegern
sich lieber gefangen nehmen liessen, als Hand an sich legten. —
In den Annalen des dreizehnten, vierzehnten und funfzehnten Jahr-
hunderts sind jene Schlächtereien mit lebhaften Farben geschildert,
besonders bei Erwähnung erstürmter Festen und Städte, wo die Sieger
alle Tempel und Paläste voll blutender Leichen zu finden pflegten. Auch
gefallene Günstlinge entleibten sich gewöhnlich nach ihrem Sturz mit

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[48/0068] Das Harakiru. VI. alle Samraï tragen das Wappen ihres Lehnsherrn auf dem Rock und der mit dem blutigen Schwerte entweichende muss auf der belebten Strasse von Vielen bemerkt worden sein; — er soll in der That das Zeichen der Satsuma geführt haben. Dennoch war keine Genugthuung zu erlangen. Die Yakunine wollten, zum Zeugniss aufgefordert, anfangs gar nichts gesehen haben, konnten diese Ausflucht aber nicht aufrecht halten. Dann hiess es, Natale habe mit dem Revolver gedroht, als der Samraï seinen Hund trat, — was nicht ganz unwahrscheinlich klingt. Gewiss ist, dass der Angreifer straflos blieb; man hörte sogar, er habe mit einigen Genossen Natale den Tod geschworen und es würde zweckmässig sein, diesen fortzuschicken. Herr von Bellecourt hielt die Drohung damals nicht für Ernst, musste sich aber später, als sein Gardien de pavillon nochmals angegriffen wurde, doch entschliessen, ihn aus Japan zu entfernen. Das Harakiru (Hara-wo-kiru, aufgeschlitzter Bauch) wird für alle Männer der Adelsclasse zur Nothwendigkeit, sobald ihnen Schande droht. Der Krieger entleibt sich, um nicht in Gefangenschaft zu gerathen, der Beamte, wenn sich unter seiner Verwaltung Ungehöriges zugetragen hat, gleichviel ob er es verschuldet oder nicht; er rettet dadurch seinen Nachkommen Ehre, Vermögen und die erbliche Würde, deren sie durch seine schimpfliche Bestrafung verlustig gegangen wären. Nur in zweifelhaften Fällen scheinen Männer von Rang das Urtheil des Taïkūn abzuwarten, und dann gilt es als Gnade, wenn das Harakiru befohlen wird. Es ist die Zuflucht des japanischen Edelen in jeder Calamität; die Knaben werden jahrelang in der Kunst unterrichtet, sich mit Würde und Grazie den Leib aufzuschlitzen, wie man bei uns tanzen lernt. Vor Zeiten war es noch ungleich beliebter als jetzt: in den Schlachten der Bürgerkriege scheinen viel mehr Menschen durch Selbstmord gefallen zu sein, als durch des Feindes Schwert. Die portugiesischen Missionare rühmen den zum Christenthum bekehrten Soldaten ausdrücklich nach, dass sie allein unter allen japanischen Kriegern sich lieber gefangen nehmen liessen, als Hand an sich legten. — In den Annalen des dreizehnten, vierzehnten und funfzehnten Jahr- hunderts sind jene Schlächtereien mit lebhaften Farben geschildert, besonders bei Erwähnung erstürmter Festen und Städte, wo die Sieger alle Tempel und Paläste voll blutender Leichen zu finden pflegten. Auch gefallene Günstlinge entleibten sich gewöhnlich nach ihrem Sturz mit

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/68>, abgerufen am 27.04.2024.