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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Das Harakiru.
Hunderten von Anhängern; Freunde gaben und hielten sich das Wort,
einander nicht überleben zu wollen. Die Jahrhunderte des Friedens
haben die Sitten sehr gemildert, auch die Gesetzgebung ist einge-
schritten; -- so wurde schon 1663 der Selbstmord der Diener beim
Tode ihrer Herren durch kaiserliche Edicte verboten. Die heutigen
Japaner sprechen mit Fremden sehr ungern vom Harakiru, doch
soll es noch häufig vorkommen. Einer der letzten Handelsvorsteher
auf Desima erzählt folgenden Fall. Ein japanischer Beamter, mit dem
er lange in Freundschaft gelebt hatte, besucht ihn eines Tages,
und sagt, nach stundenlanger unbefangener Unterredung ganz bei-
läufig im Weggehen, ein gewisser Auftrag, den ihm der Vorsteher
gegeben, werde am folgenden Tage durch einen Anderen ausgeführt
werden. Auf die Frage warum entgegnet Jener mit grosser Gemüths-
ruhe, die Behörde habe gegen einen anderen Beamten, seinen Freund
und Wohlthäter, eine Untersuchung eingeleitet, in welcher er am
folgenden Tage als Zeuge auftreten solle. Seine Aussage müsse
nachtheilig wirken, und er werde sich heut Abend den Leib auf-
schlitzen, um seinen Freund und Wohlthäter nicht in Schaden zu
bringen. Der Handelsvorsteher suchte ihm seinen Vorsatz aus-
zureden, Jener aber blieb unbeugsam und that wirklich wie er
gesagt hatte.

Das überlegte oder vom Kaiser gebotene Harakiru wird nach
altherkömmlicher Etiquette mit grosser Feierlichkeit vollzogen; Männer
von Stande führen das für solchen Fall vorgeschriebene weisse
Sterbekleid auf allen Reisen und Ausgängen bei sich, ebenso die
weissen Zelt-Vorhänge, mit denen die Wohnung des Aufzuschlitzen-
den während der That von aussen bekleidet sein muss. Oft wählt
man zum Sterben die Terrasse eines schöngelegenen Budda-Tempels,
wo dann die Priester gleich für die Bestattung sorgen. Alle Ver-
wandten und Freunde sind zu der Feierlichkeit eingeladen, man
reicht Speisen und Getränke und bringt einige Stunden in traulichem
Gespräche zu. Dann trinkt das Schlachtopfer mit den Seinen die
Abschiedsschale, sagt feierlich Lebewohl, hört in ehrerbietiger
Stellung noch einmal den Erlass des Siogun vorlesen, wenn ein
solcher da ist, und ergreift dann auf vorgeschriebene Art das zum
Harakiru bestimmte kleine Schwert bei der Klinge. Er umwickelt
diese, um sie zu halten, in der Mitte mit seinem Gewande, und bringt
sich, geneigten Hauptes auf der Matte sitzend, mit der Spitze einen
Querschnitt in den Leib bei. Sein vertrautester Diener ist unterdess

II. 4

VI. Das Harakiru.
Hunderten von Anhängern; Freunde gaben und hielten sich das Wort,
einander nicht überleben zu wollen. Die Jahrhunderte des Friedens
haben die Sitten sehr gemildert, auch die Gesetzgebung ist einge-
schritten; — so wurde schon 1663 der Selbstmord der Diener beim
Tode ihrer Herren durch kaiserliche Edicte verboten. Die heutigen
Japaner sprechen mit Fremden sehr ungern vom Harakiru, doch
soll es noch häufig vorkommen. Einer der letzten Handelsvorsteher
auf Desima erzählt folgenden Fall. Ein japanischer Beamter, mit dem
er lange in Freundschaft gelebt hatte, besucht ihn eines Tages,
und sagt, nach stundenlanger unbefangener Unterredung ganz bei-
läufig im Weggehen, ein gewisser Auftrag, den ihm der Vorsteher
gegeben, werde am folgenden Tage durch einen Anderen ausgeführt
werden. Auf die Frage warum entgegnet Jener mit grosser Gemüths-
ruhe, die Behörde habe gegen einen anderen Beamten, seinen Freund
und Wohlthäter, eine Untersuchung eingeleitet, in welcher er am
folgenden Tage als Zeuge auftreten solle. Seine Aussage müsse
nachtheilig wirken, und er werde sich heut Abend den Leib auf-
schlitzen, um seinen Freund und Wohlthäter nicht in Schaden zu
bringen. Der Handelsvorsteher suchte ihm seinen Vorsatz aus-
zureden, Jener aber blieb unbeugsam und that wirklich wie er
gesagt hatte.

Das überlegte oder vom Kaiser gebotene Harakiru wird nach
altherkömmlicher Etiquette mit grosser Feierlichkeit vollzogen; Männer
von Stande führen das für solchen Fall vorgeschriebene weisse
Sterbekleid auf allen Reisen und Ausgängen bei sich, ebenso die
weissen Zelt-Vorhänge, mit denen die Wohnung des Aufzuschlitzen-
den während der That von aussen bekleidet sein muss. Oft wählt
man zum Sterben die Terrasse eines schöngelegenen Budda-Tempels,
wo dann die Priester gleich für die Bestattung sorgen. Alle Ver-
wandten und Freunde sind zu der Feierlichkeit eingeladen, man
reicht Speisen und Getränke und bringt einige Stunden in traulichem
Gespräche zu. Dann trinkt das Schlachtopfer mit den Seinen die
Abschiedsschale, sagt feierlich Lebewohl, hört in ehrerbietiger
Stellung noch einmal den Erlass des Siogun vorlesen, wenn ein
solcher da ist, und ergreift dann auf vorgeschriebene Art das zum
Harakiru bestimmte kleine Schwert bei der Klinge. Er umwickelt
diese, um sie zu halten, in der Mitte mit seinem Gewande, und bringt
sich, geneigten Hauptes auf der Matte sitzend, mit der Spitze einen
Querschnitt in den Leib bei. Sein vertrautester Diener ist unterdess

II. 4
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[49/0069] VI. Das Harakiru. Hunderten von Anhängern; Freunde gaben und hielten sich das Wort, einander nicht überleben zu wollen. Die Jahrhunderte des Friedens haben die Sitten sehr gemildert, auch die Gesetzgebung ist einge- schritten; — so wurde schon 1663 der Selbstmord der Diener beim Tode ihrer Herren durch kaiserliche Edicte verboten. Die heutigen Japaner sprechen mit Fremden sehr ungern vom Harakiru, doch soll es noch häufig vorkommen. Einer der letzten Handelsvorsteher auf Desima erzählt folgenden Fall. Ein japanischer Beamter, mit dem er lange in Freundschaft gelebt hatte, besucht ihn eines Tages, und sagt, nach stundenlanger unbefangener Unterredung ganz bei- läufig im Weggehen, ein gewisser Auftrag, den ihm der Vorsteher gegeben, werde am folgenden Tage durch einen Anderen ausgeführt werden. Auf die Frage warum entgegnet Jener mit grosser Gemüths- ruhe, die Behörde habe gegen einen anderen Beamten, seinen Freund und Wohlthäter, eine Untersuchung eingeleitet, in welcher er am folgenden Tage als Zeuge auftreten solle. Seine Aussage müsse nachtheilig wirken, und er werde sich heut Abend den Leib auf- schlitzen, um seinen Freund und Wohlthäter nicht in Schaden zu bringen. Der Handelsvorsteher suchte ihm seinen Vorsatz aus- zureden, Jener aber blieb unbeugsam und that wirklich wie er gesagt hatte. Das überlegte oder vom Kaiser gebotene Harakiru wird nach altherkömmlicher Etiquette mit grosser Feierlichkeit vollzogen; Männer von Stande führen das für solchen Fall vorgeschriebene weisse Sterbekleid auf allen Reisen und Ausgängen bei sich, ebenso die weissen Zelt-Vorhänge, mit denen die Wohnung des Aufzuschlitzen- den während der That von aussen bekleidet sein muss. Oft wählt man zum Sterben die Terrasse eines schöngelegenen Budda-Tempels, wo dann die Priester gleich für die Bestattung sorgen. Alle Ver- wandten und Freunde sind zu der Feierlichkeit eingeladen, man reicht Speisen und Getränke und bringt einige Stunden in traulichem Gespräche zu. Dann trinkt das Schlachtopfer mit den Seinen die Abschiedsschale, sagt feierlich Lebewohl, hört in ehrerbietiger Stellung noch einmal den Erlass des Siogun vorlesen, wenn ein solcher da ist, und ergreift dann auf vorgeschriebene Art das zum Harakiru bestimmte kleine Schwert bei der Klinge. Er umwickelt diese, um sie zu halten, in der Mitte mit seinem Gewande, und bringt sich, geneigten Hauptes auf der Matte sitzend, mit der Spitze einen Querschnitt in den Leib bei. Sein vertrautester Diener ist unterdess II. 4

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/69>, abgerufen am 28.04.2024.