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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Fehdesucht. Angriff auf Natale.
Kränkung nicht blutig rächte. Der regierende Fürst wurde damals
unablässig mit Klagen bedrängt und machte endlich, ungeneigt den
kriegerischen Geist zu unterdrücken, seinen hochfahrenden Trabanten
einfach bekannt, dass er zwar niemand verbiete, Beleidigungen zu
rächen, aber nach jedem Todtschlage vom Thäter die sofortige
Vollziehung des Harakiru erwarte. Die Gewaltthaten sollen darauf
seltener geworden sein. -- Die Grossen sehen mit Stolz auf die
ritterliche Unnahbarkeit und Fehdelust der Ihren und fördern sie
auf jede Weise, daher auch die Schwierigkeit, Schuldiger habhaft
zu werden. Denn die Daimio's haben hundert Mittel und Wege
ihre Anhänger zu bergen ohne dessen bezüchtigt werden zu können;
Verrath aber ist bei der Loyalität der Samrai niemals zu fürchten.
Das mit Todesstrafe belegte Verbot, auf der Strasse eine Klinge
zu entblössen, wird in Yeddo vielleicht täglich gebrochen. Wir
selbst erlebten im October ein Beispiel straflos verübter Gewalt.

Der französische Geschäftsträger hatte in seinem Hause --
als "Gardien de pavillon" -- einen gewissen Natale, geborenen
Italiener, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er grosse Stücke
hielt. Dieser scheint sich durch etwas provocirende Haltung und
eine reiche Sammlung von Dolchen und Pistolen in seinem Gürtel
die Feindschaft der Zweischwertigen aus der Nachbarschaft zugezogen,
und an kleinen Conflicten mit denselben, in die er wiederholt gerieth,
ein romantisches Vergnügen gefunden zu haben. Eines Morgens
scherzt er vor der Thür des Gesandtschaftstempels mit den Yakuninen
der Wache, als ein Samrai quer über die Strasse auf ihn zukommt
und seinem Hündchen einen derben Tritt versetzt. Natale und seine
Gefährten remonstriren, da zieht Jener das Schwert und führt einen
kräftigen Hieb nach des Ersteren Kopf. Dieser parirt glücklich mit
dem linken Arm und schiesst seinen Revolver auf den hurtig
entweichenden Angreifer ab, fehlt jedoch und kann wegen der
zuströmenden Volksmenge keine zweite Kugel feuern. Der Samrai
entkommt mit dem blutigen Schwert in der Faust, die Yakunine
der Wache geben sich nicht einmal den Anschein ihn zu verfolgen.
Natale trug eine klaffende Fleischwunde im Oberarm davon, die
bald wieder zuheilte. Herr von Bellecourt forderte natürlich von
der Regierung die Bestrafung des Thäters und liess nicht ab mit
eindringlichen Vorstellungen; es konnte den Japanern nicht schwer
sein, dessen Person festzustellen, denn der Angriff geschah bei
hellem Tage, in Gegenwart der Yakunine und vieler Vorübergehenden;

VI. Fehdesucht. Angriff auf Natale.
Kränkung nicht blutig rächte. Der regierende Fürst wurde damals
unablässig mit Klagen bedrängt und machte endlich, ungeneigt den
kriegerischen Geist zu unterdrücken, seinen hochfahrenden Trabanten
einfach bekannt, dass er zwar niemand verbiete, Beleidigungen zu
rächen, aber nach jedem Todtschlage vom Thäter die sofortige
Vollziehung des Harakiru erwarte. Die Gewaltthaten sollen darauf
seltener geworden sein. — Die Grossen sehen mit Stolz auf die
ritterliche Unnahbarkeit und Fehdelust der Ihren und fördern sie
auf jede Weise, daher auch die Schwierigkeit, Schuldiger habhaft
zu werden. Denn die Daïmio’s haben hundert Mittel und Wege
ihre Anhänger zu bergen ohne dessen bezüchtigt werden zu können;
Verrath aber ist bei der Loyalität der Samraï niemals zu fürchten.
Das mit Todesstrafe belegte Verbot, auf der Strasse eine Klinge
zu entblössen, wird in Yeddo vielleicht täglich gebrochen. Wir
selbst erlebten im October ein Beispiel straflos verübter Gewalt.

Der französische Geschäftsträger hatte in seinem Hause —
als »Gardien de pavillon« — einen gewissen Natale, geborenen
Italiener, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er grosse Stücke
hielt. Dieser scheint sich durch etwas provocirende Haltung und
eine reiche Sammlung von Dolchen und Pistolen in seinem Gürtel
die Feindschaft der Zweischwertigen aus der Nachbarschaft zugezogen,
und an kleinen Conflicten mit denselben, in die er wiederholt gerieth,
ein romantisches Vergnügen gefunden zu haben. Eines Morgens
scherzt er vor der Thür des Gesandtschaftstempels mit den Yakuninen
der Wache, als ein Samraï quer über die Strasse auf ihn zukommt
und seinem Hündchen einen derben Tritt versetzt. Natale und seine
Gefährten remonstriren, da zieht Jener das Schwert und führt einen
kräftigen Hieb nach des Ersteren Kopf. Dieser parirt glücklich mit
dem linken Arm und schiesst seinen Revolver auf den hurtig
entweichenden Angreifer ab, fehlt jedoch und kann wegen der
zuströmenden Volksmenge keine zweite Kugel feuern. Der Samraï
entkommt mit dem blutigen Schwert in der Faust, die Yakunine
der Wache geben sich nicht einmal den Anschein ihn zu verfolgen.
Natale trug eine klaffende Fleischwunde im Oberarm davon, die
bald wieder zuheilte. Herr von Bellecourt forderte natürlich von
der Regierung die Bestrafung des Thäters und liess nicht ab mit
eindringlichen Vorstellungen; es konnte den Japanern nicht schwer
sein, dessen Person festzustellen, denn der Angriff geschah bei
hellem Tage, in Gegenwart der Yakunine und vieler Vorübergehenden;

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[47/0067] VI. Fehdesucht. Angriff auf Natale. Kränkung nicht blutig rächte. Der regierende Fürst wurde damals unablässig mit Klagen bedrängt und machte endlich, ungeneigt den kriegerischen Geist zu unterdrücken, seinen hochfahrenden Trabanten einfach bekannt, dass er zwar niemand verbiete, Beleidigungen zu rächen, aber nach jedem Todtschlage vom Thäter die sofortige Vollziehung des Harakiru erwarte. Die Gewaltthaten sollen darauf seltener geworden sein. — Die Grossen sehen mit Stolz auf die ritterliche Unnahbarkeit und Fehdelust der Ihren und fördern sie auf jede Weise, daher auch die Schwierigkeit, Schuldiger habhaft zu werden. Denn die Daïmio’s haben hundert Mittel und Wege ihre Anhänger zu bergen ohne dessen bezüchtigt werden zu können; Verrath aber ist bei der Loyalität der Samraï niemals zu fürchten. Das mit Todesstrafe belegte Verbot, auf der Strasse eine Klinge zu entblössen, wird in Yeddo vielleicht täglich gebrochen. Wir selbst erlebten im October ein Beispiel straflos verübter Gewalt. Der französische Geschäftsträger hatte in seinem Hause — als »Gardien de pavillon« — einen gewissen Natale, geborenen Italiener, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er grosse Stücke hielt. Dieser scheint sich durch etwas provocirende Haltung und eine reiche Sammlung von Dolchen und Pistolen in seinem Gürtel die Feindschaft der Zweischwertigen aus der Nachbarschaft zugezogen, und an kleinen Conflicten mit denselben, in die er wiederholt gerieth, ein romantisches Vergnügen gefunden zu haben. Eines Morgens scherzt er vor der Thür des Gesandtschaftstempels mit den Yakuninen der Wache, als ein Samraï quer über die Strasse auf ihn zukommt und seinem Hündchen einen derben Tritt versetzt. Natale und seine Gefährten remonstriren, da zieht Jener das Schwert und führt einen kräftigen Hieb nach des Ersteren Kopf. Dieser parirt glücklich mit dem linken Arm und schiesst seinen Revolver auf den hurtig entweichenden Angreifer ab, fehlt jedoch und kann wegen der zuströmenden Volksmenge keine zweite Kugel feuern. Der Samraï entkommt mit dem blutigen Schwert in der Faust, die Yakunine der Wache geben sich nicht einmal den Anschein ihn zu verfolgen. Natale trug eine klaffende Fleischwunde im Oberarm davon, die bald wieder zuheilte. Herr von Bellecourt forderte natürlich von der Regierung die Bestrafung des Thäters und liess nicht ab mit eindringlichen Vorstellungen; es konnte den Japanern nicht schwer sein, dessen Person festzustellen, denn der Angriff geschah bei hellem Tage, in Gegenwart der Yakunine und vieler Vorübergehenden;

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/67>, abgerufen am 27.04.2024.