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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Häuslichkeit und Geselligkeit.
hegt, redlich lebt und handelt, ist den Göttern auch ohne Gebet
und Tempelbesuch angenehm." Ein Vers dieses Sinnes ist in Jeder-
manns Munde, sehr bezeichnend für den ethischen Standpunct des
Volkes. Wer das einträchtige, heitere Familienleben, die Achtung
und Sorgfalt für das Alter, Frauen und Kinder, die anständige Höf-
lichkeit des geselligen Verkehrs unter den Japanern gesehen hat,
kann sich der Ansicht nicht verschliessen, dass sie trotz manchen
Auswüchsen auf einer erheblichen Stufe der sittlichen Bildung stehen.
Tritt man in die Häuser der arbeitenden Classen, so findet man die
jüngeren Männer in emsiger Thätigkeit, mit zufriedenen, heiteren
Gesichtern, die älteren Familienglieder um den Theetopf hockend,
ihre Pfeifchen rauchend, schmucke Frauen und Mädchen bei den
häuslichen Besorgungen und hübsche, fröhliche Kinder um sie her
in munterem Spiel. Wohnung und Hausrath sind auch bei den
unbemittelten Ständen reinlich und ordentlich, so viel es Gewerbe
und Beschäftigung zulassen; man sieht wohl Flickwerk, aber nichts
Zerrissenes, weder Schmutz, noch Lumpen und Scherben. Im Ein-
klang mit dieser anständigen Behaglichkeit der Wohnung steht auch
die körperliche Reinlichkeit der Japaner; die meisten baden täglich,
sei es zu Hause in Wannen, sei es in den öffentlichen Badehäusern,
deren es in allen Strassen giebt 13).

Freunde und Nachbarn leben wie bei uns in geselligem Ver-
kehr mit einander; man ladet einander ein, macht Landparthieen und
ergötzt sich in unbefangener Unterhaltung. Die grösste Lust des
japanischen Bürgers ist, den schönen Festtag mit Frau und Kind
und guten Freunden in der freien Natur zuzubringen; man besucht
die Todtenäcker, Kami-Höfe und schöngelegene Theehäuser; die
Aelteren ergehen sich in heiteren Gesprächen, die Jüngeren spielen
gesellige Spiele, angeln oder schiessen mit kleinen Bogen nach der
Scheibe, beides Vergnügungen, denen auch die weibliche Jugend
sehr hold ist. Man möchte bei anderen asiatischen Völkern ver-
gebens nach solcher Lebenslust und Genussfähigkeit suchen, denn
China, wo es vor Zeiten gewiss ähnlich war, ist heut eine Ruine.

13) Der Verfasser fand oft bei seinen Streifereien auf dem Lande die Leute
selbst im Spätherbst vor ihren Häusern in den Badewannen sitzend. Die öffentlichen
Badehäuser sind durch eine Holzwand in zwei grosse Räume getheilt, einen für die
Männer, den anderen für Frauen und Kinder. Es geht dort sehr lustig her, und da
beim Japaner die Nacktheit keine Schaam erregt, so kann der Fremde ohne Scheu
eintreten und dem Getreibe zuschauen.
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VI. Häuslichkeit und Geselligkeit.
hegt, redlich lebt und handelt, ist den Göttern auch ohne Gebet
und Tempelbesuch angenehm.« Ein Vers dieses Sinnes ist in Jeder-
manns Munde, sehr bezeichnend für den ethischen Standpunct des
Volkes. Wer das einträchtige, heitere Familienleben, die Achtung
und Sorgfalt für das Alter, Frauen und Kinder, die anständige Höf-
lichkeit des geselligen Verkehrs unter den Japanern gesehen hat,
kann sich der Ansicht nicht verschliessen, dass sie trotz manchen
Auswüchsen auf einer erheblichen Stufe der sittlichen Bildung stehen.
Tritt man in die Häuser der arbeitenden Classen, so findet man die
jüngeren Männer in emsiger Thätigkeit, mit zufriedenen, heiteren
Gesichtern, die älteren Familienglieder um den Theetopf hockend,
ihre Pfeifchen rauchend, schmucke Frauen und Mädchen bei den
häuslichen Besorgungen und hübsche, fröhliche Kinder um sie her
in munterem Spiel. Wohnung und Hausrath sind auch bei den
unbemittelten Ständen reinlich und ordentlich, so viel es Gewerbe
und Beschäftigung zulassen; man sieht wohl Flickwerk, aber nichts
Zerrissenes, weder Schmutz, noch Lumpen und Scherben. Im Ein-
klang mit dieser anständigen Behaglichkeit der Wohnung steht auch
die körperliche Reinlichkeit der Japaner; die meisten baden täglich,
sei es zu Hause in Wannen, sei es in den öffentlichen Badehäusern,
deren es in allen Strassen giebt 13).

Freunde und Nachbarn leben wie bei uns in geselligem Ver-
kehr mit einander; man ladet einander ein, macht Landparthieen und
ergötzt sich in unbefangener Unterhaltung. Die grösste Lust des
japanischen Bürgers ist, den schönen Festtag mit Frau und Kind
und guten Freunden in der freien Natur zuzubringen; man besucht
die Todtenäcker, Kami-Höfe und schöngelegene Theehäuser; die
Aelteren ergehen sich in heiteren Gesprächen, die Jüngeren spielen
gesellige Spiele, angeln oder schiessen mit kleinen Bogen nach der
Scheibe, beides Vergnügungen, denen auch die weibliche Jugend
sehr hold ist. Man möchte bei anderen asiatischen Völkern ver-
gebens nach solcher Lebenslust und Genussfähigkeit suchen, denn
China, wo es vor Zeiten gewiss ähnlich war, ist heut eine Ruine.

13) Der Verfasser fand oft bei seinen Streifereien auf dem Lande die Leute
selbst im Spätherbst vor ihren Häusern in den Badewannen sitzend. Die öffentlichen
Badehäuser sind durch eine Holzwand in zwei grosse Räume getheilt, einen für die
Männer, den anderen für Frauen und Kinder. Es geht dort sehr lustig her, und da
beim Japaner die Nacktheit keine Schaam erregt, so kann der Fremde ohne Scheu
eintreten und dem Getreibe zuschauen.
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[35/0055] VI. Häuslichkeit und Geselligkeit. hegt, redlich lebt und handelt, ist den Göttern auch ohne Gebet und Tempelbesuch angenehm.« Ein Vers dieses Sinnes ist in Jeder- manns Munde, sehr bezeichnend für den ethischen Standpunct des Volkes. Wer das einträchtige, heitere Familienleben, die Achtung und Sorgfalt für das Alter, Frauen und Kinder, die anständige Höf- lichkeit des geselligen Verkehrs unter den Japanern gesehen hat, kann sich der Ansicht nicht verschliessen, dass sie trotz manchen Auswüchsen auf einer erheblichen Stufe der sittlichen Bildung stehen. Tritt man in die Häuser der arbeitenden Classen, so findet man die jüngeren Männer in emsiger Thätigkeit, mit zufriedenen, heiteren Gesichtern, die älteren Familienglieder um den Theetopf hockend, ihre Pfeifchen rauchend, schmucke Frauen und Mädchen bei den häuslichen Besorgungen und hübsche, fröhliche Kinder um sie her in munterem Spiel. Wohnung und Hausrath sind auch bei den unbemittelten Ständen reinlich und ordentlich, so viel es Gewerbe und Beschäftigung zulassen; man sieht wohl Flickwerk, aber nichts Zerrissenes, weder Schmutz, noch Lumpen und Scherben. Im Ein- klang mit dieser anständigen Behaglichkeit der Wohnung steht auch die körperliche Reinlichkeit der Japaner; die meisten baden täglich, sei es zu Hause in Wannen, sei es in den öffentlichen Badehäusern, deren es in allen Strassen giebt 13). Freunde und Nachbarn leben wie bei uns in geselligem Ver- kehr mit einander; man ladet einander ein, macht Landparthieen und ergötzt sich in unbefangener Unterhaltung. Die grösste Lust des japanischen Bürgers ist, den schönen Festtag mit Frau und Kind und guten Freunden in der freien Natur zuzubringen; man besucht die Todtenäcker, Kami-Höfe und schöngelegene Theehäuser; die Aelteren ergehen sich in heiteren Gesprächen, die Jüngeren spielen gesellige Spiele, angeln oder schiessen mit kleinen Bogen nach der Scheibe, beides Vergnügungen, denen auch die weibliche Jugend sehr hold ist. Man möchte bei anderen asiatischen Völkern ver- gebens nach solcher Lebenslust und Genussfähigkeit suchen, denn China, wo es vor Zeiten gewiss ähnlich war, ist heut eine Ruine. 13) Der Verfasser fand oft bei seinen Streifereien auf dem Lande die Leute selbst im Spätherbst vor ihren Häusern in den Badewannen sitzend. Die öffentlichen Badehäuser sind durch eine Holzwand in zwei grosse Räume getheilt, einen für die Männer, den anderen für Frauen und Kinder. Es geht dort sehr lustig her, und da beim Japaner die Nacktheit keine Schaam erregt, so kann der Fremde ohne Scheu eintreten und dem Getreibe zuschauen. 3*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/55>, abgerufen am 28.04.2024.