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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Brüderschaften. VI.
bei den Matsuri und anderen Festlichkeiten, wo sie, mit Weib und
Kind umherziehend, musiciren und betteln. Ihre Töchter gehören
meist zum Orden der Kumano-Bikuni, weltlicher Nonnen ohne
ascetische Gelübde, die sich vielfach auf den Landstrassen umher-
treiben um den Reisenden durch Gesang und Scherz die Zeit zu
vertreiben. Auch die Yamambo's haben durchaus nichts Heiliges;
sie tragen weltliche Tracht, ein Schwert im Gürtel, einen Rosenkranz
und Knotenstock, eine Muschel auf der sie blasen und eine Art
Skapulier mit den Zeichen ihres Grades, denn es giebt Rangstufen,
welche von dem Oberhaupt in Miako verliehen werden. Nach
Kämpfer wäre die Brüderschaft sehr alt und aus dem Sinto-Dienst
hervorgegangen, -- wozu auch stimmt, dass sie verheirathet sind, --
ein Einsiedler-Orden, dessen Mitglieder ascetisch lebten und als
Bussübung hohe Berge bestiegen. Die reicheren sollen eigene Häuser
am Abhange des Fusi-yama bewohnen; die meisten machen aber
wohl aus der Bettelei ein Gewerbe, und nähren sich durch Geister-
beschwörungen, Quacksalberei, Wahrsagen, Entdeckung von Dieben
und dergleichen Gaukeleien auf Kosten des abergläubischen Volkes.
-- Die beiden Brüderschaften der Blinden sollen in ihren Gebräuchen
von denen der Yamambo's nicht sehr abweichen; ihre Entstehung
knüpft sich an Legenden: die der älteren an einen Mikado-Sohn
der grauen Vorzeit, der sich nach dem Verlust seiner Geliebten
blind weinte und zu ihrem Andenken die Brüderschaft gründete;
die der jüngeren an eine Episode aus dem Kriege der Gensi und
Feike 12). Ein Heerführer der letzteren, den Yoritomo gefangen
hat und durch Grossmuth und Gnadenbezeugungen zu gewinnen
hofft, reisst sich in dessen Gegenwart beide Augen aus, mit dem
Geständniss ihm zwar Dankbarkeit zu schulden, aber doch, so
lange er ihn sehe, seinen tödtlichen Hass nicht unterdrücken zu
können. -- Es gibt noch andere Bettel-Brüderschaften, weltlich
und geistlich, daneben aber auch achtbare Mönchs- und Nonnen-
Orden, vorzüglich in den Klöstern von Miako.

Die Toleranz der Secten untereinander, von der die portugie-
sischen Missionare reden, ist noch heute dieselbe; oft sollen sich
die Mitglieder einer Familie zu den verschiedensten Lehren bekennen
und dabei in bester Eintracht leben. Nicht das religiöse Bekenntniss,
sondern eine gewisse practische Sittenlehre verbindet das Bewusst-
sein aller Stände und Secten. "Wer reinen Sinn und Wahrheit

12) S. Bd. I. S. 34.

Brüderschaften. VI.
bei den Matsuri und anderen Festlichkeiten, wo sie, mit Weib und
Kind umherziehend, musiciren und betteln. Ihre Töchter gehören
meist zum Orden der Kumano-Bikuni, weltlicher Nonnen ohne
ascetische Gelübde, die sich vielfach auf den Landstrassen umher-
treiben um den Reisenden durch Gesang und Scherz die Zeit zu
vertreiben. Auch die Yamambo’s haben durchaus nichts Heiliges;
sie tragen weltliche Tracht, ein Schwert im Gürtel, einen Rosenkranz
und Knotenstock, eine Muschel auf der sie blasen und eine Art
Skapulier mit den Zeichen ihres Grades, denn es giebt Rangstufen,
welche von dem Oberhaupt in Miako verliehen werden. Nach
Kämpfer wäre die Brüderschaft sehr alt und aus dem Sinto-Dienst
hervorgegangen, — wozu auch stimmt, dass sie verheirathet sind, —
ein Einsiedler-Orden, dessen Mitglieder ascetisch lebten und als
Bussübung hohe Berge bestiegen. Die reicheren sollen eigene Häuser
am Abhange des Fusi-yama bewohnen; die meisten machen aber
wohl aus der Bettelei ein Gewerbe, und nähren sich durch Geister-
beschwörungen, Quacksalberei, Wahrsagen, Entdeckung von Dieben
und dergleichen Gaukeleien auf Kosten des abergläubischen Volkes.
— Die beiden Brüderschaften der Blinden sollen in ihren Gebräuchen
von denen der Yamambo’s nicht sehr abweichen; ihre Entstehung
knüpft sich an Legenden: die der älteren an einen Mikado-Sohn
der grauen Vorzeit, der sich nach dem Verlust seiner Geliebten
blind weinte und zu ihrem Andenken die Brüderschaft gründete;
die der jüngeren an eine Episode aus dem Kriege der Gensi und
Feïke 12). Ein Heerführer der letzteren, den Yoritomo gefangen
hat und durch Grossmuth und Gnadenbezeugungen zu gewinnen
hofft, reisst sich in dessen Gegenwart beide Augen aus, mit dem
Geständniss ihm zwar Dankbarkeit zu schulden, aber doch, so
lange er ihn sehe, seinen tödtlichen Hass nicht unterdrücken zu
können. — Es gibt noch andere Bettel-Brüderschaften, weltlich
und geistlich, daneben aber auch achtbare Mönchs- und Nonnen-
Orden, vorzüglich in den Klöstern von Miako.

Die Toleranz der Secten untereinander, von der die portugie-
sischen Missionare reden, ist noch heute dieselbe; oft sollen sich
die Mitglieder einer Familie zu den verschiedensten Lehren bekennen
und dabei in bester Eintracht leben. Nicht das religiöse Bekenntniss,
sondern eine gewisse practische Sittenlehre verbindet das Bewusst-
sein aller Stände und Secten. »Wer reinen Sinn und Wahrheit

12) S. Bd. I. S. 34.
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[34/0054] Brüderschaften. VI. bei den Matsuri und anderen Festlichkeiten, wo sie, mit Weib und Kind umherziehend, musiciren und betteln. Ihre Töchter gehören meist zum Orden der Kumano-Bikuni, weltlicher Nonnen ohne ascetische Gelübde, die sich vielfach auf den Landstrassen umher- treiben um den Reisenden durch Gesang und Scherz die Zeit zu vertreiben. Auch die Yamambo’s haben durchaus nichts Heiliges; sie tragen weltliche Tracht, ein Schwert im Gürtel, einen Rosenkranz und Knotenstock, eine Muschel auf der sie blasen und eine Art Skapulier mit den Zeichen ihres Grades, denn es giebt Rangstufen, welche von dem Oberhaupt in Miako verliehen werden. Nach Kämpfer wäre die Brüderschaft sehr alt und aus dem Sinto-Dienst hervorgegangen, — wozu auch stimmt, dass sie verheirathet sind, — ein Einsiedler-Orden, dessen Mitglieder ascetisch lebten und als Bussübung hohe Berge bestiegen. Die reicheren sollen eigene Häuser am Abhange des Fusi-yama bewohnen; die meisten machen aber wohl aus der Bettelei ein Gewerbe, und nähren sich durch Geister- beschwörungen, Quacksalberei, Wahrsagen, Entdeckung von Dieben und dergleichen Gaukeleien auf Kosten des abergläubischen Volkes. — Die beiden Brüderschaften der Blinden sollen in ihren Gebräuchen von denen der Yamambo’s nicht sehr abweichen; ihre Entstehung knüpft sich an Legenden: die der älteren an einen Mikado-Sohn der grauen Vorzeit, der sich nach dem Verlust seiner Geliebten blind weinte und zu ihrem Andenken die Brüderschaft gründete; die der jüngeren an eine Episode aus dem Kriege der Gensi und Feïke 12). Ein Heerführer der letzteren, den Yoritomo gefangen hat und durch Grossmuth und Gnadenbezeugungen zu gewinnen hofft, reisst sich in dessen Gegenwart beide Augen aus, mit dem Geständniss ihm zwar Dankbarkeit zu schulden, aber doch, so lange er ihn sehe, seinen tödtlichen Hass nicht unterdrücken zu können. — Es gibt noch andere Bettel-Brüderschaften, weltlich und geistlich, daneben aber auch achtbare Mönchs- und Nonnen- Orden, vorzüglich in den Klöstern von Miako. Die Toleranz der Secten untereinander, von der die portugie- sischen Missionare reden, ist noch heute dieselbe; oft sollen sich die Mitglieder einer Familie zu den verschiedensten Lehren bekennen und dabei in bester Eintracht leben. Nicht das religiöse Bekenntniss, sondern eine gewisse practische Sittenlehre verbindet das Bewusst- sein aller Stände und Secten. »Wer reinen Sinn und Wahrheit 12) S. Bd. I. S. 34.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/54>, abgerufen am 28.04.2024.