Erkältung ist nicht zu fürchten; das Wasser hat fast die Temperatur der Luft, und diese wird niemals so kühl, dass man bei Nacht eine Decke ertrüge. -- Ein solches Bad ist eine wahre Wollust, wenn auch nicht so erfrischend und stärkend als kalte Bäder im Norden.
Der Tag wird im Hause zugebracht. Gegen Sonnenunter- gang fährt man am Meere spazieren, nimmt dann ein zweites Bad und bereitet sich zur Hauptmalzeit vor, die gegen sieben Uhr unter dem Gefächel der Punka gehalten wird. Die Küche ist englisch- ostindisch, die Hauptschüssel bildet für den ansässigen Anglo-Inder bei jeder Malzeit Reis mit Currie, ein mehr oder minder scharf gewürztes Gericht, von dem es unzählige Variationen giebt. Wir haben uns vergebliche Mühe gegeben, hinter die Geheimnisse der Currie-Fabrication zu kommen -- es scheint, dass es an jedem Orte anders bereitet wird. Es giebt Hühner-, Krebs-, Fisch-, Gemüse-Currie u. s. w.; das Wesentlichste ist die Sauce, zu der oft wohl mehr als zwanzig verschiedene Ingredienzien genommen werden. Ein eigentliches Currie-Gewürz giebt es in den Tropen nicht, sondern der Geschmack wird durch verschiedene Zuthaten hergestellt, unter denen der halbreife Kern einer gewissen Spielart der Cocosnuss und die jungen Schoten des spanischen Pfeffers -- das Scharfe mit dem Zarten -- die Hauptrolle spielen. Nur, wo diese Tropenproducte nicht frisch zu haben sind, wendet man ein Surrogat, das sogenannte Currie-powder, an. Der Reis dazu wird in Wasser abgekocht, -- aber nicht breiartig wie bei uns, sondern so, dass die locker gequollenen Körnchen trocken aufein- ander liegen, -- und auf einer besonderen Schüssel herumgereicht. Auf Ceylon allein soll es gegen funfzig Arten der Curriebereitung geben. Viele langjährige Tropen-Bewohner leben ausschliesslich von diesem Gericht und behaupten nichts Anderes vertragen zu können; für den deutschen Magen sind die meisten Arten zu scharf und brennend, und man kann nicht umhin, das Currie für schädlich und zerstörend zu halten. -- Gutes Fleisch bekommt man selten, denn eigentliche Viehzucht giebt es nicht, und da der grossen Wärme wegen das Fleisch meist an demselben Tage genossen werden muss, an dem es geschlachtet wird, so bekommt man es gewöhnlich zäh. Gegen den Genuss von Früchten haben die Europäer ein grosses Vorurtheil: nur Morgens soll man Obst geniessen, Mittags wenig, Abends gar nicht. Die gesundeste Tropenfrucht ist die
I. Lebensweise der Europäer.
Erkältung ist nicht zu fürchten; das Wasser hat fast die Temperatur der Luft, und diese wird niemals so kühl, dass man bei Nacht eine Decke ertrüge. — Ein solches Bad ist eine wahre Wollust, wenn auch nicht so erfrischend und stärkend als kalte Bäder im Norden.
Der Tag wird im Hause zugebracht. Gegen Sonnenunter- gang fährt man am Meere spazieren, nimmt dann ein zweites Bad und bereitet sich zur Hauptmalzeit vor, die gegen sieben Uhr unter dem Gefächel der Punka gehalten wird. Die Küche ist englisch- ostindisch, die Hauptschüssel bildet für den ansässigen Anglo-Inder bei jeder Malzeit Reis mit Currie, ein mehr oder minder scharf gewürztes Gericht, von dem es unzählige Variationen giebt. Wir haben uns vergebliche Mühe gegeben, hinter die Geheimnisse der Currie-Fabrication zu kommen — es scheint, dass es an jedem Orte anders bereitet wird. Es giebt Hühner-, Krebs-, Fisch-, Gemüse-Currie u. s. w.; das Wesentlichste ist die Sauce, zu der oft wohl mehr als zwanzig verschiedene Ingredienzien genommen werden. Ein eigentliches Currie-Gewürz giebt es in den Tropen nicht, sondern der Geschmack wird durch verschiedene Zuthaten hergestellt, unter denen der halbreife Kern einer gewissen Spielart der Cocosnuss und die jungen Schoten des spanischen Pfeffers — das Scharfe mit dem Zarten — die Hauptrolle spielen. Nur, wo diese Tropenproducte nicht frisch zu haben sind, wendet man ein Surrogat, das sogenannte Currie-powder, an. Der Reis dazu wird in Wasser abgekocht, — aber nicht breiartig wie bei uns, sondern so, dass die locker gequollenen Körnchen trocken aufein- ander liegen, — und auf einer besonderen Schüssel herumgereicht. Auf Ceylon allein soll es gegen funfzig Arten der Curriebereitung geben. Viele langjährige Tropen-Bewohner leben ausschliesslich von diesem Gericht und behaupten nichts Anderes vertragen zu können; für den deutschen Magen sind die meisten Arten zu scharf und brennend, und man kann nicht umhin, das Currie für schädlich und zerstörend zu halten. — Gutes Fleisch bekommt man selten, denn eigentliche Viehzucht giebt es nicht, und da der grossen Wärme wegen das Fleisch meist an demselben Tage genossen werden muss, an dem es geschlachtet wird, so bekommt man es gewöhnlich zäh. Gegen den Genuss von Früchten haben die Europäer ein grosses Vorurtheil: nur Morgens soll man Obst geniessen, Mittags wenig, Abends gar nicht. Die gesundeste Tropenfrucht ist die
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[201/0231]
I. Lebensweise der Europäer.
Erkältung ist nicht zu fürchten; das Wasser hat fast die Temperatur
der Luft, und diese wird niemals so kühl, dass man bei Nacht
eine Decke ertrüge. — Ein solches Bad ist eine wahre Wollust,
wenn auch nicht so erfrischend und stärkend als kalte Bäder im
Norden.
Der Tag wird im Hause zugebracht. Gegen Sonnenunter-
gang fährt man am Meere spazieren, nimmt dann ein zweites Bad
und bereitet sich zur Hauptmalzeit vor, die gegen sieben Uhr unter
dem Gefächel der Punka gehalten wird. Die Küche ist englisch-
ostindisch, die Hauptschüssel bildet für den ansässigen Anglo-Inder
bei jeder Malzeit Reis mit Currie, ein mehr oder minder scharf
gewürztes Gericht, von dem es unzählige Variationen giebt. Wir
haben uns vergebliche Mühe gegeben, hinter die Geheimnisse der
Currie-Fabrication zu kommen — es scheint, dass es an jedem
Orte anders bereitet wird. Es giebt Hühner-, Krebs-, Fisch-,
Gemüse-Currie u. s. w.; das Wesentlichste ist die Sauce, zu der
oft wohl mehr als zwanzig verschiedene Ingredienzien genommen
werden. Ein eigentliches Currie-Gewürz giebt es in den Tropen
nicht, sondern der Geschmack wird durch verschiedene Zuthaten
hergestellt, unter denen der halbreife Kern einer gewissen Spielart
der Cocosnuss und die jungen Schoten des spanischen Pfeffers —
das Scharfe mit dem Zarten — die Hauptrolle spielen. Nur, wo
diese Tropenproducte nicht frisch zu haben sind, wendet man ein
Surrogat, das sogenannte Currie-powder, an. Der Reis dazu
wird in Wasser abgekocht, — aber nicht breiartig wie bei uns,
sondern so, dass die locker gequollenen Körnchen trocken aufein-
ander liegen, — und auf einer besonderen Schüssel herumgereicht.
Auf Ceylon allein soll es gegen funfzig Arten der Curriebereitung
geben. Viele langjährige Tropen-Bewohner leben ausschliesslich
von diesem Gericht und behaupten nichts Anderes vertragen zu
können; für den deutschen Magen sind die meisten Arten zu scharf
und brennend, und man kann nicht umhin, das Currie für schädlich
und zerstörend zu halten. — Gutes Fleisch bekommt man selten,
denn eigentliche Viehzucht giebt es nicht, und da der grossen
Wärme wegen das Fleisch meist an demselben Tage genossen werden
muss, an dem es geschlachtet wird, so bekommt man es gewöhnlich
zäh. Gegen den Genuss von Früchten haben die Europäer ein
grosses Vorurtheil: nur Morgens soll man Obst geniessen, Mittags
wenig, Abends gar nicht. Die gesundeste Tropenfrucht ist die
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/231>, abgerufen am 26.11.2024.
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