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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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I. Die Tiger. Beschreibung der Stadt.
dem Waldesrande auf einem Fleck emsig beschäftigt bleiben, ihren
Ueberfällen am meisten ausgesetzt; der Tiger kann sie ungestört
belauschen, und langsam herankriechend den günstigsten Moment
zum Sprunge wählen. Aber auch bis dicht an die Stadt kommen diese
Räuber und die Europäer wagen selten sich aus den belebten Ge-
genden zu entfernen. Man zeigte uns auf der Landstrasse ganz in
der Nähe eine Stelle, wo sich vor Kurzem ein Tiger im Ange-
sichte der Wohngebäude auf einen Wagen mit vier Chinesen gestürzt
und einen davon fortgeschleppt hatte. Einzelne Individuen unter
den Tigern sind besonders gekannt und gefürchtet; sie hausen oft
lange in demselben Revier, merken sich die Gewohnheiten der
Bewohner -- so zu sagen die Wechsel -- und betreiben Monate
lang ihre Jagd mit ungestörtem Erfolg, ohne dass man ihnen bei-
kommen kann. -- Das ganze hinterindische Festland, namentlich die
malaiische Halbinsel, scheint von diesen Bestien zu wimmeln. In
Penang hörten wir viel davon erzählen, und die Umgegend von
Malacca soll ein gefährlicher Aufenthalt sein. Die Begegnung eines
ausgewachsenen Tigers ist für den Kaltblütigsten bedenklich: ein
Missionar in Penang sieht bei einem Spaziergang in der Umgegend
plötzlich einen solchen vor sich, in Ermangelung anderer Waffen
spannt er rasch seinen Regenschirm auf, -- der Tiger erschrickt,
entflieht; aber auch ihm selbst ist der Schreck in die Glieder gefahren,
er geht nach Hause, erkrankt und stirbt nach wenigen Tagen. --
Bei Malacca gingen drei Malaien durch den Wald. Ein Tiger über-
fällt sie und schleppt den einen fort, die beiden anderen jagen
ihm seine Beute wieder ab und bringen ihren übel zugerichteten
Gefährten nach einer verlassenen Strohhütte in der Nähe. Während
nun einer von diesen nach der Stadt zurückgeht, um Hülfe zu holen,
bleibt der andere bei dem Verwundeten; Abends aber beschleicht
sie ihr Feind, durch die Blutspuren geführt, von neuem, bricht in
die Hütte ein und erwürgt beide. -- Aehnliche Geschichten hört
man viele.

Die Stadt Singapore liegt lang am Ufer hingestreckt. Unge-
fähr in der Mitte ihrer Länge ergiesst sich ein Flüsschen in die
See, das sie in zwei an Charakter und Physiognomie sehr ver-
schiedene Hälften theilt. In der östlichen liegen die Kirchen, die
Regierungs- und Gerichtshäuser und die Wohngebäude der Europäer,
jedes abgesondert, von freundlichen Gartenanlagen umgeben, von
Mauern oder Gittern eingeschlossen. Am Strande zieht sich eine

13*

I. Die Tiger. Beschreibung der Stadt.
dem Waldesrande auf einem Fleck emsig beschäftigt bleiben, ihren
Ueberfällen am meisten ausgesetzt; der Tiger kann sie ungestört
belauschen, und langsam herankriechend den günstigsten Moment
zum Sprunge wählen. Aber auch bis dicht an die Stadt kommen diese
Räuber und die Europäer wagen selten sich aus den belebten Ge-
genden zu entfernen. Man zeigte uns auf der Landstrasse ganz in
der Nähe eine Stelle, wo sich vor Kurzem ein Tiger im Ange-
sichte der Wohngebäude auf einen Wagen mit vier Chinesen gestürzt
und einen davon fortgeschleppt hatte. Einzelne Individuen unter
den Tigern sind besonders gekannt und gefürchtet; sie hausen oft
lange in demselben Revier, merken sich die Gewohnheiten der
Bewohner — so zu sagen die Wechsel — und betreiben Monate
lang ihre Jagd mit ungestörtem Erfolg, ohne dass man ihnen bei-
kommen kann. — Das ganze hinterindische Festland, namentlich die
malaiische Halbinsel, scheint von diesen Bestien zu wimmeln. In
Penang hörten wir viel davon erzählen, und die Umgegend von
Malacca soll ein gefährlicher Aufenthalt sein. Die Begegnung eines
ausgewachsenen Tigers ist für den Kaltblütigsten bedenklich: ein
Missionar in Penang sieht bei einem Spaziergang in der Umgegend
plötzlich einen solchen vor sich, in Ermangelung anderer Waffen
spannt er rasch seinen Regenschirm auf, — der Tiger erschrickt,
entflieht; aber auch ihm selbst ist der Schreck in die Glieder gefahren,
er geht nach Hause, erkrankt und stirbt nach wenigen Tagen. —
Bei Malacca gingen drei Malaien durch den Wald. Ein Tiger über-
fällt sie und schleppt den einen fort, die beiden anderen jagen
ihm seine Beute wieder ab und bringen ihren übel zugerichteten
Gefährten nach einer verlassenen Strohhütte in der Nähe. Während
nun einer von diesen nach der Stadt zurückgeht, um Hülfe zu holen,
bleibt der andere bei dem Verwundeten; Abends aber beschleicht
sie ihr Feind, durch die Blutspuren geführt, von neuem, bricht in
die Hütte ein und erwürgt beide. — Aehnliche Geschichten hört
man viele.

Die Stadt Singapore liegt lang am Ufer hingestreckt. Unge-
fähr in der Mitte ihrer Länge ergiesst sich ein Flüsschen in die
See, das sie in zwei an Charakter und Physiognomie sehr ver-
schiedene Hälften theilt. In der östlichen liegen die Kirchen, die
Regierungs- und Gerichtshäuser und die Wohngebäude der Europäer,
jedes abgesondert, von freundlichen Gartenanlagen umgeben, von
Mauern oder Gittern eingeschlossen. Am Strande zieht sich eine

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[195/0225] I. Die Tiger. Beschreibung der Stadt. dem Waldesrande auf einem Fleck emsig beschäftigt bleiben, ihren Ueberfällen am meisten ausgesetzt; der Tiger kann sie ungestört belauschen, und langsam herankriechend den günstigsten Moment zum Sprunge wählen. Aber auch bis dicht an die Stadt kommen diese Räuber und die Europäer wagen selten sich aus den belebten Ge- genden zu entfernen. Man zeigte uns auf der Landstrasse ganz in der Nähe eine Stelle, wo sich vor Kurzem ein Tiger im Ange- sichte der Wohngebäude auf einen Wagen mit vier Chinesen gestürzt und einen davon fortgeschleppt hatte. Einzelne Individuen unter den Tigern sind besonders gekannt und gefürchtet; sie hausen oft lange in demselben Revier, merken sich die Gewohnheiten der Bewohner — so zu sagen die Wechsel — und betreiben Monate lang ihre Jagd mit ungestörtem Erfolg, ohne dass man ihnen bei- kommen kann. — Das ganze hinterindische Festland, namentlich die malaiische Halbinsel, scheint von diesen Bestien zu wimmeln. In Penang hörten wir viel davon erzählen, und die Umgegend von Malacca soll ein gefährlicher Aufenthalt sein. Die Begegnung eines ausgewachsenen Tigers ist für den Kaltblütigsten bedenklich: ein Missionar in Penang sieht bei einem Spaziergang in der Umgegend plötzlich einen solchen vor sich, in Ermangelung anderer Waffen spannt er rasch seinen Regenschirm auf, — der Tiger erschrickt, entflieht; aber auch ihm selbst ist der Schreck in die Glieder gefahren, er geht nach Hause, erkrankt und stirbt nach wenigen Tagen. — Bei Malacca gingen drei Malaien durch den Wald. Ein Tiger über- fällt sie und schleppt den einen fort, die beiden anderen jagen ihm seine Beute wieder ab und bringen ihren übel zugerichteten Gefährten nach einer verlassenen Strohhütte in der Nähe. Während nun einer von diesen nach der Stadt zurückgeht, um Hülfe zu holen, bleibt der andere bei dem Verwundeten; Abends aber beschleicht sie ihr Feind, durch die Blutspuren geführt, von neuem, bricht in die Hütte ein und erwürgt beide. — Aehnliche Geschichten hört man viele. Die Stadt Singapore liegt lang am Ufer hingestreckt. Unge- fähr in der Mitte ihrer Länge ergiesst sich ein Flüsschen in die See, das sie in zwei an Charakter und Physiognomie sehr ver- schiedene Hälften theilt. In der östlichen liegen die Kirchen, die Regierungs- und Gerichtshäuser und die Wohngebäude der Europäer, jedes abgesondert, von freundlichen Gartenanlagen umgeben, von Mauern oder Gittern eingeschlossen. Am Strande zieht sich eine 13*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/225>, abgerufen am 05.05.2024.