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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Der Grundzins. -- Die Justiz.
verkündigt werden. Bei Unruhen, Bränden und sonstigem Strassen-
tumult muss jede Familie einen Mann zur Wache stellen, welche
dann der Ottona befehligt. Dieser muss genau in seiner Strasse
Bescheid wissen, er führt die Listen über die Geburten, Heirathen
und Todesfälle, und verwaltet das Gassenvermögen, an welchem
alle Hausväter Antheil haben. Fallen Ungehörigkeiten vor, so wird
nicht nur der Delinquent, sondern auch jede der ihm vorgesetzten
Behörden zur Verantwortung gezogen, und bei schweren Ver-
gehungen die Strafe sogar auf alle männlichen Mitglieder seiner
Familie ausgedehnt 127). Niemand kann ein Haus erwerben ohne
Zustimmung des Ottona und der Nachbarn, welche für ihn mit-
verantwortlich werden. Der Grund und Boden scheint überall dem
Siogun oder den Lehnsfürsten zu gehören; -- der Grundzins, welcher
in manchen Gegenden sehr hoch ist und sich jährlich nach dem
jedesmaligen Ertrage verändert, ist die hauptsächlichste, in den
meisten Landestheilen wahrscheinlich die einzige Steuer. Der Grund-
herr hat zwar das Recht, jeden Augenblick frei über sein Eigen-
thum zu verfügen, doch bleibt der Landmann gewöhnlich im ruhigen
Besitze seines Ackers, so lange er ihn gehörig bestellt; aber
der Eigenthümer hat sogar die Verpflichtung ihn auszuweisen,
wenn er ein Jahr lang seine Felder nicht anbaut. -- In den Städten
gehören die Häuser den Bürgern, den Grund und Boden können
sie aber, wie es scheint, nicht erwerben, sondern bezahlen dem
Besitzer Abgaben davon.

Die Justiz ist mit der Verwaltung verbunden: kleine Händel
schlichten die Communalbeamten, alle Sachen von Belang aber
kommen vor die Regierungsbehörden. Processe giebt es nicht und
das Amt der Advocaten ist unbekannt. In civilrechtlichen Fällen
wird der Beklagte, sobald sich die Richtigkeit der gegen ihn erho-
benen Forderung herausgestellt hat, bei magerer Kost so lange in
einen mehr oder weniger unbequemen Käfig gesperrt -- in manchen
Fällen auch nebenbei ausgepeitscht -- bis er seine Verpflichtungen
erfüllt oder sich mit dem Kläger verglichen hat. In criminellen
Sachen sind die alten Strafgesetze, welche zu verändern die Japaner
sich scheuen, sehr streng und grausam. Abweichungen vom

127) So war es wenigstens in früherer Zeit. Jetzt scheint diese Unsitte beseitigt
zu sein. Vormals pflegte man die Todesstrafe an allen Mitverurtheilten aus der
Familie des Verbrechers, in welchem Theile des Reiches sie sich aufhalten mochten,
mit seiner Hinrichtung am gleichen Tage und zu derselben Stunde zu vollziehen.

Der Grundzins. — Die Justiz.
verkündigt werden. Bei Unruhen, Bränden und sonstigem Strassen-
tumult muss jede Familie einen Mann zur Wache stellen, welche
dann der Ottona befehligt. Dieser muss genau in seiner Strasse
Bescheid wissen, er führt die Listen über die Geburten, Heirathen
und Todesfälle, und verwaltet das Gassenvermögen, an welchem
alle Hausväter Antheil haben. Fallen Ungehörigkeiten vor, so wird
nicht nur der Delinquent, sondern auch jede der ihm vorgesetzten
Behörden zur Verantwortung gezogen, und bei schweren Ver-
gehungen die Strafe sogar auf alle männlichen Mitglieder seiner
Familie ausgedehnt 127). Niemand kann ein Haus erwerben ohne
Zustimmung des Ottona und der Nachbarn, welche für ihn mit-
verantwortlich werden. Der Grund und Boden scheint überall dem
Siogun oder den Lehnsfürsten zu gehören; — der Grundzins, welcher
in manchen Gegenden sehr hoch ist und sich jährlich nach dem
jedesmaligen Ertrage verändert, ist die hauptsächlichste, in den
meisten Landestheilen wahrscheinlich die einzige Steuer. Der Grund-
herr hat zwar das Recht, jeden Augenblick frei über sein Eigen-
thum zu verfügen, doch bleibt der Landmann gewöhnlich im ruhigen
Besitze seines Ackers, so lange er ihn gehörig bestellt; aber
der Eigenthümer hat sogar die Verpflichtung ihn auszuweisen,
wenn er ein Jahr lang seine Felder nicht anbaut. — In den Städten
gehören die Häuser den Bürgern, den Grund und Boden können
sie aber, wie es scheint, nicht erwerben, sondern bezahlen dem
Besitzer Abgaben davon.

Die Justiz ist mit der Verwaltung verbunden: kleine Händel
schlichten die Communalbeamten, alle Sachen von Belang aber
kommen vor die Regierungsbehörden. Processe giebt es nicht und
das Amt der Advocaten ist unbekannt. In civilrechtlichen Fällen
wird der Beklagte, sobald sich die Richtigkeit der gegen ihn erho-
benen Forderung herausgestellt hat, bei magerer Kost so lange in
einen mehr oder weniger unbequemen Käfig gesperrt — in manchen
Fällen auch nebenbei ausgepeitscht — bis er seine Verpflichtungen
erfüllt oder sich mit dem Kläger verglichen hat. In criminellen
Sachen sind die alten Strafgesetze, welche zu verändern die Japaner
sich scheuen, sehr streng und grausam. Abweichungen vom

127) So war es wenigstens in früherer Zeit. Jetzt scheint diese Unsitte beseitigt
zu sein. Vormals pflegte man die Todesstrafe an allen Mitverurtheilten aus der
Familie des Verbrechers, in welchem Theile des Reiches sie sich aufhalten mochten,
mit seiner Hinrichtung am gleichen Tage und zu derselben Stunde zu vollziehen.
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[125/0155] Der Grundzins. — Die Justiz. verkündigt werden. Bei Unruhen, Bränden und sonstigem Strassen- tumult muss jede Familie einen Mann zur Wache stellen, welche dann der Ottona befehligt. Dieser muss genau in seiner Strasse Bescheid wissen, er führt die Listen über die Geburten, Heirathen und Todesfälle, und verwaltet das Gassenvermögen, an welchem alle Hausväter Antheil haben. Fallen Ungehörigkeiten vor, so wird nicht nur der Delinquent, sondern auch jede der ihm vorgesetzten Behörden zur Verantwortung gezogen, und bei schweren Ver- gehungen die Strafe sogar auf alle männlichen Mitglieder seiner Familie ausgedehnt 127). Niemand kann ein Haus erwerben ohne Zustimmung des Ottona und der Nachbarn, welche für ihn mit- verantwortlich werden. Der Grund und Boden scheint überall dem Siogun oder den Lehnsfürsten zu gehören; — der Grundzins, welcher in manchen Gegenden sehr hoch ist und sich jährlich nach dem jedesmaligen Ertrage verändert, ist die hauptsächlichste, in den meisten Landestheilen wahrscheinlich die einzige Steuer. Der Grund- herr hat zwar das Recht, jeden Augenblick frei über sein Eigen- thum zu verfügen, doch bleibt der Landmann gewöhnlich im ruhigen Besitze seines Ackers, so lange er ihn gehörig bestellt; aber der Eigenthümer hat sogar die Verpflichtung ihn auszuweisen, wenn er ein Jahr lang seine Felder nicht anbaut. — In den Städten gehören die Häuser den Bürgern, den Grund und Boden können sie aber, wie es scheint, nicht erwerben, sondern bezahlen dem Besitzer Abgaben davon. Die Justiz ist mit der Verwaltung verbunden: kleine Händel schlichten die Communalbeamten, alle Sachen von Belang aber kommen vor die Regierungsbehörden. Processe giebt es nicht und das Amt der Advocaten ist unbekannt. In civilrechtlichen Fällen wird der Beklagte, sobald sich die Richtigkeit der gegen ihn erho- benen Forderung herausgestellt hat, bei magerer Kost so lange in einen mehr oder weniger unbequemen Käfig gesperrt — in manchen Fällen auch nebenbei ausgepeitscht — bis er seine Verpflichtungen erfüllt oder sich mit dem Kläger verglichen hat. In criminellen Sachen sind die alten Strafgesetze, welche zu verändern die Japaner sich scheuen, sehr streng und grausam. Abweichungen vom 127) So war es wenigstens in früherer Zeit. Jetzt scheint diese Unsitte beseitigt zu sein. Vormals pflegte man die Todesstrafe an allen Mitverurtheilten aus der Familie des Verbrechers, in welchem Theile des Reiches sie sich aufhalten mochten, mit seiner Hinrichtung am gleichen Tage und zu derselben Stunde zu vollziehen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/155>, abgerufen am 03.05.2024.