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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Ursachen der Absperrung.
Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es
liegt in seinem Wesen, die eigenthümliche Entwickelung des Ein-
zelnen zu fördern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden
gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer
Bildungsstufe das Christenthum empfängt und bei politisch vorge-
schrittenen Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste
Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staat-
lichen Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere
Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen,
ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen
konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet
und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das
Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung
gewaltsam: man kann sich keine allmäliche Bekehrung eines muhame-
danischen Staates zum Christenthum, keine allmäliche Umbildung
durch dasselbe denken; er wird es entweder abstossen oder selbst
zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan, nur dass
die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst
waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohn-
heiten und Institutionen für natürlich und nothwendig; erst die
Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst-
erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und
Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte,
konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der
japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami-
religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen
Theokratie gefährliches, ebensowenig der indische Buddismus, der
sich nach kurzem Kampfe der alten Landesreligion anpasste und
verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen
war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass
es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die
arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe
Wurzeln zu schlagen.

Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände
nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste
den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zu-
nächst die Excesse und Ungehörigkeiten, welche europäische Aben-
theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit
beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit

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Ursachen der Absperrung.
Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es
liegt in seinem Wesen, die eigenthümliche Entwickelung des Ein-
zelnen zu fördern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden
gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer
Bildungsstufe das Christenthum empfängt und bei politisch vorge-
schrittenen Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste
Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staat-
lichen Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere
Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen,
ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen
konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet
und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das
Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung
gewaltsam: man kann sich keine allmäliche Bekehrung eines muhame-
danischen Staates zum Christenthum, keine allmäliche Umbildung
durch dasselbe denken; er wird es entweder abstossen oder selbst
zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan, nur dass
die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst
waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohn-
heiten und Institutionen für natürlich und nothwendig; erst die
Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst-
erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und
Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte,
konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der
japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami-
religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen
Theokratie gefährliches, ebensowenig der indische Buddismus, der
sich nach kurzem Kampfe der alten Landesreligion anpasste und
verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen
war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass
es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die
arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe
Wurzeln zu schlagen.

Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände
nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste
den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zu-
nächst die Excesse und Ungehörigkeiten, welche europäische Aben-
theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit
beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit

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[99/0129] Ursachen der Absperrung. Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es liegt in seinem Wesen, die eigenthümliche Entwickelung des Ein- zelnen zu fördern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer Bildungsstufe das Christenthum empfängt und bei politisch vorge- schrittenen Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staat- lichen Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen, ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung gewaltsam: man kann sich keine allmäliche Bekehrung eines muhame- danischen Staates zum Christenthum, keine allmäliche Umbildung durch dasselbe denken; er wird es entweder abstossen oder selbst zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan, nur dass die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohn- heiten und Institutionen für natürlich und nothwendig; erst die Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst- erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte, konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami- religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen Theokratie gefährliches, ebensowenig der indische Buddismus, der sich nach kurzem Kampfe der alten Landesreligion anpasste und verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe Wurzeln zu schlagen. Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zu- nächst die Excesse und Ungehörigkeiten, welche europäische Aben- theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit 7*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/129>, abgerufen am 24.11.2024.