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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Haus herum stellen, wenn ich kein Geld habe. Dagegen ent-
schiedene Häßlichkeit, die ist schon eher mein Werk. Wo ich
durch Ordnung, Reinlichkeit, und etwas Schönheitssinn nichts
mehr zuwege bringe, wo die Wohnung so entsetzlich ist, wie in
Matt im Kanton Glarus lange Jahre eine war, daß das Dach
eingesunken, die großen Mauern geborsten und einzelne Dach-
hölzer wie von einem Galgen in die Luft hinausragten, da
laufe ich lieber davon und lasse solche Wohnung den Hexen und
Gespenstern, für die man immer auch noch Quartier behalten
muß, und bezahle ordentlichen Leuten einen kleinen Miethzins,
als daß ich mich mein Lebenlang mit einem solchen Anblick
quälte.

Die reine Luft ist auch nicht ganz mein Werk. Jch kann
wohl die Fenster öffnen und die Thüren, sogar eine künstliche
Ventilation herrichten. Jch kann auf Gängen, Abtritten, in
der Küche alles fern halten, was eine schädliche Ausdünstung
veranlaßt. Aber wenn mir der Nachbar einen Stock Mist dicht
unter das Fenster stellt, den Abtritt überlaufen läßt oder gar
keinen Abtritt hat; wenn Gerbereien, Fabriken chemischer Pro-
dukte in meiner Nähe sind; wenn das Dorf, die Stadt nichts
für die öffentliche Reinlichkeit thut, alles ungescheut walten und
schalten läßt: so kann ich hundertmal meine Fenster öffnen,
wenn die Luft draußen nicht rein ist, bekomme ich auch keine
reine in mein Haus. Aehnlich ist es mit dem guten Brunnen-
wasser. Da wird es mir auch schwer halten, allein und auf
eigene Rechnung gutes Brunnenwasser zu erhalten. Das kann
ich nur in Verbindung mit mehrern; das kann meistens nur
das Gemeinwesen in's Werk setzen. Mit dem Lichte ist es etwas
von dem obigen verschieden. Fenster kann ich genugsam an-
bringen, sofern es mir nicht etwa verleidet wird wie in Eng-
land, auf das ich auch einmal schimpfen will, wenn sie die
Fenstertaxe, die ich hier meine, nicht abgeschafft haben. Jch kann
auch die Fenster ordentlich waschen; kann Bäume und Zu-
gebäude, die mir gehören, entfernen, die zu breiten Vordächer
herunter sägen. Aber über alles bin ich nicht Meister. Es kann
vieles dem Nachbar gehören, das ich nicht wegthun kann; oder
z. B. in Städten soll es einer probieren, wenn er in einer engen

Haus herum ſtellen, wenn ich kein Geld habe. Dagegen ent-
ſchiedene Häßlichkeit, die iſt ſchon eher mein Werk. Wo ich
durch Ordnung, Reinlichkeit, und etwas Schönheitsſinn nichts
mehr zuwege bringe, wo die Wohnung ſo entſetzlich iſt, wie in
Matt im Kanton Glarus lange Jahre eine war, daß das Dach
eingeſunken, die großen Mauern geborſten und einzelne Dach-
hölzer wie von einem Galgen in die Luft hinausragten, da
laufe ich lieber davon und laſſe ſolche Wohnung den Hexen und
Geſpenſtern, für die man immer auch noch Quartier behalten
muß, und bezahle ordentlichen Leuten einen kleinen Miethzins,
als daß ich mich mein Lebenlang mit einem ſolchen Anblick
quälte.

Die reine Luft iſt auch nicht ganz mein Werk. Jch kann
wohl die Fenſter öffnen und die Thüren, ſogar eine künſtliche
Ventilation herrichten. Jch kann auf Gängen, Abtritten, in
der Küche alles fern halten, was eine ſchädliche Ausdünſtung
veranlaßt. Aber wenn mir der Nachbar einen Stock Miſt dicht
unter das Fenſter ſtellt, den Abtritt überlaufen läßt oder gar
keinen Abtritt hat; wenn Gerbereien, Fabriken chemiſcher Pro-
dukte in meiner Nähe ſind; wenn das Dorf, die Stadt nichts
für die öffentliche Reinlichkeit thut, alles ungeſcheut walten und
ſchalten läßt: ſo kann ich hundertmal meine Fenſter öffnen,
wenn die Luft draußen nicht rein iſt, bekomme ich auch keine
reine in mein Haus. Aehnlich iſt es mit dem guten Brunnen-
waſſer. Da wird es mir auch ſchwer halten, allein und auf
eigene Rechnung gutes Brunnenwaſſer zu erhalten. Das kann
ich nur in Verbindung mit mehrern; das kann meiſtens nur
das Gemeinweſen in's Werk ſetzen. Mit dem Lichte iſt es etwas
von dem obigen verſchieden. Fenſter kann ich genugſam an-
bringen, ſofern es mir nicht etwa verleidet wird wie in Eng-
land, auf das ich auch einmal ſchimpfen will, wenn ſie die
Fenſtertaxe, die ich hier meine, nicht abgeſchafft haben. Jch kann
auch die Fenſter ordentlich waſchen; kann Bäume und Zu-
gebäude, die mir gehören, entfernen, die zu breiten Vordächer
herunter ſägen. Aber über alles bin ich nicht Meiſter. Es kann
vieles dem Nachbar gehören, das ich nicht wegthun kann; oder
z. B. in Städten ſoll es einer probieren, wenn er in einer engen

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[13/0013] Haus herum ſtellen, wenn ich kein Geld habe. Dagegen ent- ſchiedene Häßlichkeit, die iſt ſchon eher mein Werk. Wo ich durch Ordnung, Reinlichkeit, und etwas Schönheitsſinn nichts mehr zuwege bringe, wo die Wohnung ſo entſetzlich iſt, wie in Matt im Kanton Glarus lange Jahre eine war, daß das Dach eingeſunken, die großen Mauern geborſten und einzelne Dach- hölzer wie von einem Galgen in die Luft hinausragten, da laufe ich lieber davon und laſſe ſolche Wohnung den Hexen und Geſpenſtern, für die man immer auch noch Quartier behalten muß, und bezahle ordentlichen Leuten einen kleinen Miethzins, als daß ich mich mein Lebenlang mit einem ſolchen Anblick quälte. Die reine Luft iſt auch nicht ganz mein Werk. Jch kann wohl die Fenſter öffnen und die Thüren, ſogar eine künſtliche Ventilation herrichten. Jch kann auf Gängen, Abtritten, in der Küche alles fern halten, was eine ſchädliche Ausdünſtung veranlaßt. Aber wenn mir der Nachbar einen Stock Miſt dicht unter das Fenſter ſtellt, den Abtritt überlaufen läßt oder gar keinen Abtritt hat; wenn Gerbereien, Fabriken chemiſcher Pro- dukte in meiner Nähe ſind; wenn das Dorf, die Stadt nichts für die öffentliche Reinlichkeit thut, alles ungeſcheut walten und ſchalten läßt: ſo kann ich hundertmal meine Fenſter öffnen, wenn die Luft draußen nicht rein iſt, bekomme ich auch keine reine in mein Haus. Aehnlich iſt es mit dem guten Brunnen- waſſer. Da wird es mir auch ſchwer halten, allein und auf eigene Rechnung gutes Brunnenwaſſer zu erhalten. Das kann ich nur in Verbindung mit mehrern; das kann meiſtens nur das Gemeinweſen in's Werk ſetzen. Mit dem Lichte iſt es etwas von dem obigen verſchieden. Fenſter kann ich genugſam an- bringen, ſofern es mir nicht etwa verleidet wird wie in Eng- land, auf das ich auch einmal ſchimpfen will, wenn ſie die Fenſtertaxe, die ich hier meine, nicht abgeſchafft haben. Jch kann auch die Fenſter ordentlich waſchen; kann Bäume und Zu- gebäude, die mir gehören, entfernen, die zu breiten Vordächer herunter ſägen. Aber über alles bin ich nicht Meiſter. Es kann vieles dem Nachbar gehören, das ich nicht wegthun kann; oder z. B. in Städten ſoll es einer probieren, wenn er in einer engen

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/13>, abgerufen am 24.04.2024.