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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Häuserreihe mit seiner Wohnung eingeklemmt ist wie ein Nagel
in der Wand, auf seine Rechnung Licht und Sonne herbeizu-
führen. Es giebt auch z. B. im Glarnerland ganze Dörfer,
da sie im Winter wochenlang keine Sonne sehen, auch wenn
sie die Dächer abdeckten, nicht blos die Vordächer herunter-
sägten. Freilich kommt dann auch wieder an solchen Orten das
vor, daß die Sonne durch ein Felsenloch in mächtiger Berg-
wand hindurch schaut und das ganze Dorf lachend begrüßt.

Reinlichkeit und Ordnung dagegen sind ganz mein Werk.
Reinlich und geordnet kann ich es überall haben, auch wenn ich
ganz arm bin. Die Reinlichkeit und Ordnung, wenn es auch
etwas zu putzen und zu fegen giebt, Seife und Lumpen und
etwas Arbeit erfordert, ist doch wohlfeiler als Schmutz und Un-
ordnung; es bringt mir's doppelt wieder ein. Jch bin gesunder
und froher, wo es sauber und reinlich ist. Ordnung erspart
viel Zeit. Jch stolpere nicht über Stühle weg, wenn jeder
Stuhl an seinem Platz steht; komme also schneller, wenn ich
nicht fallen und aufstehen oder Umwege machen muß, an meinen
Ort. Jch muß mich nicht eine Viertelstunde besinnen und eine
halbe Stunde suchen, wo ein Ding sei, wenn jedes seinen ge-
wohnten und stätigen Ort hat, nicht heute da und morgen dort.
Abgesehen davon, daß durch Unordnung und Unreinlichkeit
manche Sache geradezu zu Grunde geht.

Wenn nun also Reinlichkeit und Ordnung und umgekehrt
Unsauberkeit und Unordnung ganz mein Werk sind, Licht und
gesunde Luft, oder Finsterniß und Gestank, Trockenheit oder
Feuchtigkeit, Wärme oder Kälte, Schönheit oder Häßlichkeit
wenigstens zum großen Theil mein Werk sind; wenn ich das
Haus schön und gesund oder häßlich und ungesund mache, wie
es ja durch das Leben hundertfach erwiesen ist, daß ein rein-
licher, ordentlicher Mensch auch eine unliebliche Wohnung bald
zu einem freundlichen Aufenthalt umgestaltet hat und ein wüster
Mensch eine schöne Wohnung bald in einen Schweinstall ver-
wandelt: wie kann ich denn sagen, die Wohnung übe auf mich
einen Einfluß aus? wie kann ich überhaupt von Einfluß der
Wohnung auf den Menschen reden? Sollte ich nicht eher
umgekehrt sagen: der Mensch übt einen Einfluß auf die

Häuſerreihe mit ſeiner Wohnung eingeklemmt iſt wie ein Nagel
in der Wand, auf ſeine Rechnung Licht und Sonne herbeizu-
führen. Es giebt auch z. B. im Glarnerland ganze Dörfer,
da ſie im Winter wochenlang keine Sonne ſehen, auch wenn
ſie die Dächer abdeckten, nicht blos die Vordächer herunter-
ſägten. Freilich kommt dann auch wieder an ſolchen Orten das
vor, daß die Sonne durch ein Felſenloch in mächtiger Berg-
wand hindurch ſchaut und das ganze Dorf lachend begrüßt.

Reinlichkeit und Ordnung dagegen ſind ganz mein Werk.
Reinlich und geordnet kann ich es überall haben, auch wenn ich
ganz arm bin. Die Reinlichkeit und Ordnung, wenn es auch
etwas zu putzen und zu fegen giebt, Seife und Lumpen und
etwas Arbeit erfordert, iſt doch wohlfeiler als Schmutz und Un-
ordnung; es bringt mir's doppelt wieder ein. Jch bin geſunder
und froher, wo es ſauber und reinlich iſt. Ordnung erſpart
viel Zeit. Jch ſtolpere nicht über Stühle weg, wenn jeder
Stuhl an ſeinem Platz ſteht; komme alſo ſchneller, wenn ich
nicht fallen und aufſtehen oder Umwege machen muß, an meinen
Ort. Jch muß mich nicht eine Viertelſtunde beſinnen und eine
halbe Stunde ſuchen, wo ein Ding ſei, wenn jedes ſeinen ge-
wohnten und ſtätigen Ort hat, nicht heute da und morgen dort.
Abgeſehen davon, daß durch Unordnung und Unreinlichkeit
manche Sache geradezu zu Grunde geht.

Wenn nun alſo Reinlichkeit und Ordnung und umgekehrt
Unſauberkeit und Unordnung ganz mein Werk ſind, Licht und
geſunde Luft, oder Finſterniß und Geſtank, Trockenheit oder
Feuchtigkeit, Wärme oder Kälte, Schönheit oder Häßlichkeit
wenigſtens zum großen Theil mein Werk ſind; wenn ich das
Haus ſchön und geſund oder häßlich und ungeſund mache, wie
es ja durch das Leben hundertfach erwieſen iſt, daß ein rein-
licher, ordentlicher Menſch auch eine unliebliche Wohnung bald
zu einem freundlichen Aufenthalt umgeſtaltet hat und ein wüſter
Menſch eine ſchöne Wohnung bald in einen Schweinſtall ver-
wandelt: wie kann ich denn ſagen, die Wohnung übe auf mich
einen Einfluß aus? wie kann ich überhaupt von Einfluß der
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[14/0014] Häuſerreihe mit ſeiner Wohnung eingeklemmt iſt wie ein Nagel in der Wand, auf ſeine Rechnung Licht und Sonne herbeizu- führen. Es giebt auch z. B. im Glarnerland ganze Dörfer, da ſie im Winter wochenlang keine Sonne ſehen, auch wenn ſie die Dächer abdeckten, nicht blos die Vordächer herunter- ſägten. Freilich kommt dann auch wieder an ſolchen Orten das vor, daß die Sonne durch ein Felſenloch in mächtiger Berg- wand hindurch ſchaut und das ganze Dorf lachend begrüßt. Reinlichkeit und Ordnung dagegen ſind ganz mein Werk. Reinlich und geordnet kann ich es überall haben, auch wenn ich ganz arm bin. Die Reinlichkeit und Ordnung, wenn es auch etwas zu putzen und zu fegen giebt, Seife und Lumpen und etwas Arbeit erfordert, iſt doch wohlfeiler als Schmutz und Un- ordnung; es bringt mir's doppelt wieder ein. Jch bin geſunder und froher, wo es ſauber und reinlich iſt. Ordnung erſpart viel Zeit. Jch ſtolpere nicht über Stühle weg, wenn jeder Stuhl an ſeinem Platz ſteht; komme alſo ſchneller, wenn ich nicht fallen und aufſtehen oder Umwege machen muß, an meinen Ort. Jch muß mich nicht eine Viertelſtunde beſinnen und eine halbe Stunde ſuchen, wo ein Ding ſei, wenn jedes ſeinen ge- wohnten und ſtätigen Ort hat, nicht heute da und morgen dort. Abgeſehen davon, daß durch Unordnung und Unreinlichkeit manche Sache geradezu zu Grunde geht. Wenn nun alſo Reinlichkeit und Ordnung und umgekehrt Unſauberkeit und Unordnung ganz mein Werk ſind, Licht und geſunde Luft, oder Finſterniß und Geſtank, Trockenheit oder Feuchtigkeit, Wärme oder Kälte, Schönheit oder Häßlichkeit wenigſtens zum großen Theil mein Werk ſind; wenn ich das Haus ſchön und geſund oder häßlich und ungeſund mache, wie es ja durch das Leben hundertfach erwieſen iſt, daß ein rein- licher, ordentlicher Menſch auch eine unliebliche Wohnung bald zu einem freundlichen Aufenthalt umgeſtaltet hat und ein wüſter Menſch eine ſchöne Wohnung bald in einen Schweinſtall ver- wandelt: wie kann ich denn ſagen, die Wohnung übe auf mich einen Einfluß aus? wie kann ich überhaupt von Einfluß der Wohnung auf den Menſchen reden? Sollte ich nicht eher umgekehrt ſagen: der Menſch übt einen Einfluß auf die

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/14>, abgerufen am 19.04.2024.