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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.
London, dass die Anwendung des Spektroskops zur Bestimmung des
richtigen Punktes der Entkohlung bei John Brown in Sheffield
praktisch eingeführt sei 1).

Weniger sorgfältig waren bis zum Jahre 1865 noch die chemischen
Vorgänge in den verschiedenen Perioden des Bessemerprozesses er-
forscht worden.

Ullgren in Schweden hatte Analysen der Hochofenbeschickung
für Bessemereisen in Edsken und des daraus erblasenen Roheisens
gemacht, die Grill in seinem Berichte von 1861 veröffentlichte.
Ebenso hatte Boman Analysen schwedischer Bessemerroheisensorten
mitgeteilt 2).

Abel in Woolwich analysierte das ganz entkohlte Produkt, über
dessen chemische Reinheit er erstaunt war. Percy veröffentlichte
Analysen von Tookey von Roheisen und dem daraus erhaltenen
Bessemereisen, aus denen hervorging, dass Schwefel und Phosphor
nicht abgeschieden wurden 3). An einer analytischen Untersuchung
der Vorgänge während des Prozesses fehlte es noch gänzlich.

Über das erhaltene Produkt waren die Ansichten verschieden,
während man das gute Material in Schweden anstandslos als Stahl
bezeichnete und als solchen behandelte, erkannte man es in England
nicht als solchen an, man erklärte es vielmehr für ein kohlenstoff-
reiches, sehr hartes Schmiedeeisen von gleichmässiger Struktur, aber
geringer Elastizität, welches kaum eine brauchbare Härte annähme.
John Brown und selbst Bessemer teilten diese Ansicht, letzterer
nannte es daher Homogeneisen. Dagegen hatte das zu Turrach und
in der Heft erzeugte Material ebenfalls wirklichen Stahlcharakter.

Der grösste Mangel des Bessemerprozesses bestand entschieden
darin, dass man aus schwefel- und phosphorhaltigem Roheisen kein
brauchbares Produkt erhielt. Da aber die meisten Roheisensorten, in
England wie auch in Frankreich, Deutschland und Belgien, Schwefel
und Phosphor enthielten, so war der Prozess auf den grössten Teil
des Roheisens nicht anwendbar. Percy, der aus diesem Grunde
selbst im Jahre 1864 noch keine grosse Hoffnung auf die Zukunft des
Bessemerprozesses setzte, sagte in seiner Metallurgie des Eisens:
"Damit das Bessemerverfahren für unser Land allgemein brauchbar
werde, muss erst eine Methode erfunden werden, Roheisen frei von
Schwefel und Phosphor aus unseren Erzen und den gebräuchlichen Brenn-

1) Vergl. Roscoe, Spektralanalytische Untersuchung der Bessemerflamme.
Philos. Magaz. 1864, Vol. 28, Nr. 168, S. 318.
2) Siehe Kerl a. a. O. III, 655.
3) Siehe Percy, Iron and Steel, p. 819.

Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.
London, dass die Anwendung des Spektroskops zur Bestimmung des
richtigen Punktes der Entkohlung bei John Brown in Sheffield
praktisch eingeführt sei 1).

Weniger sorgfältig waren bis zum Jahre 1865 noch die chemischen
Vorgänge in den verschiedenen Perioden des Bessemerprozesses er-
forscht worden.

Ullgren in Schweden hatte Analysen der Hochofenbeschickung
für Bessemereisen in Edsken und des daraus erblasenen Roheisens
gemacht, die Grill in seinem Berichte von 1861 veröffentlichte.
Ebenso hatte Boman Analysen schwedischer Bessemerroheisensorten
mitgeteilt 2).

Abel in Woolwich analysierte das ganz entkohlte Produkt, über
dessen chemische Reinheit er erstaunt war. Percy veröffentlichte
Analysen von Tookey von Roheisen und dem daraus erhaltenen
Bessemereisen, aus denen hervorging, daſs Schwefel und Phosphor
nicht abgeschieden wurden 3). An einer analytischen Untersuchung
der Vorgänge während des Prozesses fehlte es noch gänzlich.

Über das erhaltene Produkt waren die Ansichten verschieden,
während man das gute Material in Schweden anstandslos als Stahl
bezeichnete und als solchen behandelte, erkannte man es in England
nicht als solchen an, man erklärte es vielmehr für ein kohlenstoff-
reiches, sehr hartes Schmiedeeisen von gleichmäſsiger Struktur, aber
geringer Elastizität, welches kaum eine brauchbare Härte annähme.
John Brown und selbst Bessemer teilten diese Ansicht, letzterer
nannte es daher Homogeneisen. Dagegen hatte das zu Turrach und
in der Heft erzeugte Material ebenfalls wirklichen Stahlcharakter.

Der gröſste Mangel des Bessemerprozesses bestand entschieden
darin, daſs man aus schwefel- und phosphorhaltigem Roheisen kein
brauchbares Produkt erhielt. Da aber die meisten Roheisensorten, in
England wie auch in Frankreich, Deutschland und Belgien, Schwefel
und Phosphor enthielten, so war der Prozeſs auf den gröſsten Teil
des Roheisens nicht anwendbar. Percy, der aus diesem Grunde
selbst im Jahre 1864 noch keine groſse Hoffnung auf die Zukunft des
Bessemerprozesses setzte, sagte in seiner Metallurgie des Eisens:
„Damit das Bessemerverfahren für unser Land allgemein brauchbar
werde, muſs erst eine Methode erfunden werden, Roheisen frei von
Schwefel und Phosphor aus unseren Erzen und den gebräuchlichen Brenn-

1) Vergl. Roscoe, Spektralanalytische Untersuchung der Bessemerflamme.
Philos. Magaz. 1864, Vol. 28, Nr. 168, S. 318.
2) Siehe Kerl a. a. O. III, 655.
3) Siehe Percy, Iron and Steel, p. 819.
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[141/0157] Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870. London, dass die Anwendung des Spektroskops zur Bestimmung des richtigen Punktes der Entkohlung bei John Brown in Sheffield praktisch eingeführt sei 1). Weniger sorgfältig waren bis zum Jahre 1865 noch die chemischen Vorgänge in den verschiedenen Perioden des Bessemerprozesses er- forscht worden. Ullgren in Schweden hatte Analysen der Hochofenbeschickung für Bessemereisen in Edsken und des daraus erblasenen Roheisens gemacht, die Grill in seinem Berichte von 1861 veröffentlichte. Ebenso hatte Boman Analysen schwedischer Bessemerroheisensorten mitgeteilt 2). Abel in Woolwich analysierte das ganz entkohlte Produkt, über dessen chemische Reinheit er erstaunt war. Percy veröffentlichte Analysen von Tookey von Roheisen und dem daraus erhaltenen Bessemereisen, aus denen hervorging, daſs Schwefel und Phosphor nicht abgeschieden wurden 3). An einer analytischen Untersuchung der Vorgänge während des Prozesses fehlte es noch gänzlich. Über das erhaltene Produkt waren die Ansichten verschieden, während man das gute Material in Schweden anstandslos als Stahl bezeichnete und als solchen behandelte, erkannte man es in England nicht als solchen an, man erklärte es vielmehr für ein kohlenstoff- reiches, sehr hartes Schmiedeeisen von gleichmäſsiger Struktur, aber geringer Elastizität, welches kaum eine brauchbare Härte annähme. John Brown und selbst Bessemer teilten diese Ansicht, letzterer nannte es daher Homogeneisen. Dagegen hatte das zu Turrach und in der Heft erzeugte Material ebenfalls wirklichen Stahlcharakter. Der gröſste Mangel des Bessemerprozesses bestand entschieden darin, daſs man aus schwefel- und phosphorhaltigem Roheisen kein brauchbares Produkt erhielt. Da aber die meisten Roheisensorten, in England wie auch in Frankreich, Deutschland und Belgien, Schwefel und Phosphor enthielten, so war der Prozeſs auf den gröſsten Teil des Roheisens nicht anwendbar. Percy, der aus diesem Grunde selbst im Jahre 1864 noch keine groſse Hoffnung auf die Zukunft des Bessemerprozesses setzte, sagte in seiner Metallurgie des Eisens: „Damit das Bessemerverfahren für unser Land allgemein brauchbar werde, muſs erst eine Methode erfunden werden, Roheisen frei von Schwefel und Phosphor aus unseren Erzen und den gebräuchlichen Brenn- 1) Vergl. Roscoe, Spektralanalytische Untersuchung der Bessemerflamme. Philos. Magaz. 1864, Vol. 28, Nr. 168, S. 318. 2) Siehe Kerl a. a. O. III, 655. 3) Siehe Percy, Iron and Steel, p. 819.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/157>, abgerufen am 25.04.2024.