Die Nähnadeln wurden im Mittelalter, abweichend von dem heutigen Verfahren, in der Weise hergestellt, dass man mit der Schere ein Stück Draht entsprechend der Länge der Nadel abschnitt, dies an einem Ende zuspitzte, am andern Ende platt schlug. In dieses abgeplattete Ende wurde in der Mitte vom äusseren Rande aus ein Spalt eingeschlagen, den man zur Haltung des Fadens vorn wieder zusammenschlug. Der Faden wurde in diesen Spalt ein- geklemmt. Diese Art von Nadeln nannte man Glufen, und die Leute, die sie anfertigten, Glufner oder Glufenmacher. Solche Glufenmacher gab es in Augsburg noch im 15. Jahrhundert. Damals aber war es schon üblich geworden, die Löcher der Nähnadeln in das abgeplattete Ende zu bohren und sie mit einer kleinen spitzen Feile -- der Fitz- feile -- länglich zu feilen. Dieser Art waren jedenfalls auch die sogenannten "spanischen Nadeln", welche in Aachen gemacht wurden. Dorthin hatte um das Jahr 1520 ein spanischer Niederländer, Wolter Vollmar, dieses Gewerbe gebracht und die erste Nadelfabrik an- gelegt, deren Produkt als "spanische Nadeln" in den Handel gebracht wurden, bis dies vom Senat der Stadt im Jahre 1631 verboten wurde, von wo ab diese Nadeln als Aachener Nadeln verkauft wurden. In England war zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Fabrikation der Nähnadeln noch etwas ganz Unbekanntes; 1545 soll ein Neger in London die ersten Nadeln verfertigt haben, aber er hielt seine Kunst so geheim, dass sie mit ihm ausstarb. Erst gegen Ende des Jahr- hunderts liess Königin Elisabeth deutsche Nadler nach England kommen, welche die erste englische Nadelfabrik in Whitechapel an- legten. Von der weitgehenden Arbeitsteilung, welche später die Nadelfabrikation so sehr auszeichnete, hatte man damals noch keinen Begriff. Der Betrieb war ein handwerksmässiger. Garzoni sagt: "Die Nadelmacher bedürfen keiner sonderlichen Beschreibung, sintemal der Name das ganze Handwerk begreifet, und wird die Invention desselben den Phrygibus von den Alten zugemessen. Die besten Meister sind heutigen Tags die Lanzaneser und Milaneser. Es sind aber allerhandt Gattungen der Nadeln, wie jedermänniglichen bewusst, denn etliche dienen den Schneidern, etliche den Seiden- stickern, etliche den Näterinnen, so beydes in Leinwand und Seiden arbeiten: und sind sonderlich bei den Weibern hoch angesehen. Es werden deren aber wenig gemacht, so ihre gebührliche Härtung haben, dann es sind die Nadelmacher auch Schälke und fürchten, sie möchten zu lange wären. Denn wenn die Schneider eine Nadel so lange sollten brauchen, wie jene Frau, die achtundzwanzig Jahre
Draht- und Nadelfabrikation.
Die Nähnadeln wurden im Mittelalter, abweichend von dem heutigen Verfahren, in der Weise hergestellt, daſs man mit der Schere ein Stück Draht entsprechend der Länge der Nadel abschnitt, dies an einem Ende zuspitzte, am andern Ende platt schlug. In dieses abgeplattete Ende wurde in der Mitte vom äuſseren Rande aus ein Spalt eingeschlagen, den man zur Haltung des Fadens vorn wieder zusammenschlug. Der Faden wurde in diesen Spalt ein- geklemmt. Diese Art von Nadeln nannte man Glufen, und die Leute, die sie anfertigten, Glufner oder Glufenmacher. Solche Glufenmacher gab es in Augsburg noch im 15. Jahrhundert. Damals aber war es schon üblich geworden, die Löcher der Nähnadeln in das abgeplattete Ende zu bohren und sie mit einer kleinen spitzen Feile — der Fitz- feile — länglich zu feilen. Dieser Art waren jedenfalls auch die sogenannten „spanischen Nadeln“, welche in Aachen gemacht wurden. Dorthin hatte um das Jahr 1520 ein spanischer Niederländer, Wolter Vollmar, dieses Gewerbe gebracht und die erste Nadelfabrik an- gelegt, deren Produkt als „spanische Nadeln“ in den Handel gebracht wurden, bis dies vom Senat der Stadt im Jahre 1631 verboten wurde, von wo ab diese Nadeln als Aachener Nadeln verkauft wurden. In England war zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Fabrikation der Nähnadeln noch etwas ganz Unbekanntes; 1545 soll ein Neger in London die ersten Nadeln verfertigt haben, aber er hielt seine Kunst so geheim, daſs sie mit ihm ausstarb. Erst gegen Ende des Jahr- hunderts lieſs Königin Elisabeth deutsche Nadler nach England kommen, welche die erste englische Nadelfabrik in Whitechapel an- legten. Von der weitgehenden Arbeitsteilung, welche später die Nadelfabrikation so sehr auszeichnete, hatte man damals noch keinen Begriff. Der Betrieb war ein handwerksmäſsiger. Garzoni sagt: „Die Nadelmacher bedürfen keiner sonderlichen Beschreibung, sintemal der Name das ganze Handwerk begreifet, und wird die Invention desſelben den Phrygibus von den Alten zugemessen. Die besten Meister sind heutigen Tags die Lanzaneser und Milaneser. Es sind aber allerhandt Gattungen der Nadeln, wie jedermänniglichen bewuſst, denn etliche dienen den Schneidern, etliche den Seiden- stickern, etliche den Näterinnen, so beydes in Leinwand und Seiden arbeiten: und sind sonderlich bei den Weibern hoch angesehen. Es werden deren aber wenig gemacht, so ihre gebührliche Härtung haben, dann es sind die Nadelmacher auch Schälke und fürchten, sie möchten zu lange wären. Denn wenn die Schneider eine Nadel so lange sollten brauchen, wie jene Frau, die achtundzwanzig Jahre
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Draht- und Nadelfabrikation.
Die Nähnadeln wurden im Mittelalter, abweichend von dem
heutigen Verfahren, in der Weise hergestellt, daſs man mit der
Schere ein Stück Draht entsprechend der Länge der Nadel abschnitt,
dies an einem Ende zuspitzte, am andern Ende platt schlug. In
dieses abgeplattete Ende wurde in der Mitte vom äuſseren Rande
aus ein Spalt eingeschlagen, den man zur Haltung des Fadens vorn
wieder zusammenschlug. Der Faden wurde in diesen Spalt ein-
geklemmt. Diese Art von Nadeln nannte man Glufen, und die Leute,
die sie anfertigten, Glufner oder Glufenmacher. Solche Glufenmacher
gab es in Augsburg noch im 15. Jahrhundert. Damals aber war es
schon üblich geworden, die Löcher der Nähnadeln in das abgeplattete
Ende zu bohren und sie mit einer kleinen spitzen Feile — der Fitz-
feile — länglich zu feilen. Dieser Art waren jedenfalls auch die
sogenannten „spanischen Nadeln“, welche in Aachen gemacht wurden.
Dorthin hatte um das Jahr 1520 ein spanischer Niederländer, Wolter
Vollmar, dieses Gewerbe gebracht und die erste Nadelfabrik an-
gelegt, deren Produkt als „spanische Nadeln“ in den Handel gebracht
wurden, bis dies vom Senat der Stadt im Jahre 1631 verboten wurde,
von wo ab diese Nadeln als Aachener Nadeln verkauft wurden. In
England war zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Fabrikation der
Nähnadeln noch etwas ganz Unbekanntes; 1545 soll ein Neger in
London die ersten Nadeln verfertigt haben, aber er hielt seine Kunst
so geheim, daſs sie mit ihm ausstarb. Erst gegen Ende des Jahr-
hunderts lieſs Königin Elisabeth deutsche Nadler nach England
kommen, welche die erste englische Nadelfabrik in Whitechapel an-
legten. Von der weitgehenden Arbeitsteilung, welche später die
Nadelfabrikation so sehr auszeichnete, hatte man damals noch keinen
Begriff. Der Betrieb war ein handwerksmäſsiger. Garzoni sagt:
„Die Nadelmacher bedürfen keiner sonderlichen Beschreibung,
sintemal der Name das ganze Handwerk begreifet, und wird die
Invention desſelben den Phrygibus von den Alten zugemessen.
Die besten Meister sind heutigen Tags die Lanzaneser und Milaneser.
Es sind aber allerhandt Gattungen der Nadeln, wie jedermänniglichen
bewuſst, denn etliche dienen den Schneidern, etliche den Seiden-
stickern, etliche den Näterinnen, so beydes in Leinwand und Seiden
arbeiten: und sind sonderlich bei den Weibern hoch angesehen. Es
werden deren aber wenig gemacht, so ihre gebührliche Härtung
haben, dann es sind die Nadelmacher auch Schälke und fürchten, sie
möchten zu lange wären. Denn wenn die Schneider eine Nadel
so lange sollten brauchen, wie jene Frau, die achtundzwanzig Jahre
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/536>, abgerufen am 22.11.2024.
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