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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Einleitung zum Mittelalter.
sich nur auf diesen einzigen Zweig der Technik und auf diese einzige
Metalllegierung der Bronze beschränkt hätte; dass diese Nordländer
in allen übrigen Dingen in dem primitiven Zustand des Steinzeit-
alters verharrt wären und einzig in bezug auf die Verarbeitung der
Bronze die höchste Kunstfertigkeit, die höchste Erfindungsgabe und
reifen Geschmack entwickelt hätten. Läge es nicht näher zu erwarten,
dass diese hochbegabten Nordländer statt kunstvolle Prunkgeräte an-
zufertigen, sich solide Häuser gebaut hätten, um sich gegen die Härte
des rauhen Klimas zu schützen, dass sie von den Fremden, welche
ihnen die Bronze zuführten, auch den Gebrauch des Eisens gelernt
hätten, dessen Erze sich so reichlich bei ihnen fanden, dass sie end-
lich sich ausser vielen anderen Dingen auch die Kunst der Schrift
von jenen südlichen Händlern angeeignet haben würden? Von all
dem finden wir aber keine Spur. Wir finden nicht den Trieb, Städte
zu gründen zu einer Zeit, in der das stolze Niniveh schon zu einem
Schutthaufen geworden war, wir finden keine schriftliche Überlieferung
zu einer Zeit, als die Veden, der hebräische Kanon, die unsterblichen
Gesänge Homers längst niedergeschrieben waren. Auch erwähnt
kein Werk der reichen Litteratur des Südens dieser nordischen Glanz-
zeit, dieses nordischen Reichtums, dieser nordischen Kultur, wäh-
rend wir doch wissen, dass bereits Verkehr zu Wasser und zu Lande
zwischen den Ländern des Mittelmeeres und Nordeuropa bestand.
Treten wir aber der Frage in technischer Beziehung näher, so wird
sich erst recht die Unhaltbarkeit der ganzen Theorie erweisen. Die
nordischen Gelehrten behaupten, und zwar gerade die neuere Schule
mit besonderem Nachdruck, eine strikte Folge einer Bronzekultur
auf die Steinzeit, mit Ausschluss des Eisens. Dass sie diese Bronze-
periode, die etwa ein Jahrtausend bestanden haben soll, in eine
ältere und in eine jüngere teilen, ebenso wie sie dies bei der nach-
folgenden Eisenzeit thun, hat für uns hier wenig Bedeutung. Dieser
Schematismus ist in den Museen von Stockholm und Kopenhagen er-
funden worden. Diese bedeutenden Sammlungen, die ganz nach der
Theorie der nordischen Gelehrten geordnet sind, bilden überhaupt die
Grundlage und das Beweismaterial der skandinavischen Gelehrten,
nicht die Funde, wie sie wirklich gemacht worden sind, sondern die
Weise, in der sie in den nordischen Museen erhalten, aufgestellt und
gruppiert sind. Danach freilich müsste es wahr sein, dass es in der
nordischen Bronzezeit kein Eisen gegeben habe, ebensowie dass die
schönen Bronzekunstwerke nur das Erzeugnis nordischer Schmiede
gewesen wären.


Einleitung zum Mittelalter.
sich nur auf diesen einzigen Zweig der Technik und auf diese einzige
Metalllegierung der Bronze beschränkt hätte; daſs diese Nordländer
in allen übrigen Dingen in dem primitiven Zustand des Steinzeit-
alters verharrt wären und einzig in bezug auf die Verarbeitung der
Bronze die höchste Kunstfertigkeit, die höchste Erfindungsgabe und
reifen Geschmack entwickelt hätten. Läge es nicht näher zu erwarten,
daſs diese hochbegabten Nordländer statt kunstvolle Prunkgeräte an-
zufertigen, sich solide Häuser gebaut hätten, um sich gegen die Härte
des rauhen Klimas zu schützen, daſs sie von den Fremden, welche
ihnen die Bronze zuführten, auch den Gebrauch des Eisens gelernt
hätten, dessen Erze sich so reichlich bei ihnen fanden, daſs sie end-
lich sich auſser vielen anderen Dingen auch die Kunst der Schrift
von jenen südlichen Händlern angeeignet haben würden? Von all
dem finden wir aber keine Spur. Wir finden nicht den Trieb, Städte
zu gründen zu einer Zeit, in der das stolze Niniveh schon zu einem
Schutthaufen geworden war, wir finden keine schriftliche Überlieferung
zu einer Zeit, als die Veden, der hebräische Kanon, die unsterblichen
Gesänge Homers längst niedergeschrieben waren. Auch erwähnt
kein Werk der reichen Litteratur des Südens dieser nordischen Glanz-
zeit, dieses nordischen Reichtums, dieser nordischen Kultur, wäh-
rend wir doch wissen, daſs bereits Verkehr zu Wasser und zu Lande
zwischen den Ländern des Mittelmeeres und Nordeuropa bestand.
Treten wir aber der Frage in technischer Beziehung näher, so wird
sich erst recht die Unhaltbarkeit der ganzen Theorie erweisen. Die
nordischen Gelehrten behaupten, und zwar gerade die neuere Schule
mit besonderem Nachdruck, eine strikte Folge einer Bronzekultur
auf die Steinzeit, mit Ausschluſs des Eisens. Daſs sie diese Bronze-
periode, die etwa ein Jahrtausend bestanden haben soll, in eine
ältere und in eine jüngere teilen, ebenso wie sie dies bei der nach-
folgenden Eisenzeit thun, hat für uns hier wenig Bedeutung. Dieser
Schematismus ist in den Museen von Stockholm und Kopenhagen er-
funden worden. Diese bedeutenden Sammlungen, die ganz nach der
Theorie der nordischen Gelehrten geordnet sind, bilden überhaupt die
Grundlage und das Beweismaterial der skandinavischen Gelehrten,
nicht die Funde, wie sie wirklich gemacht worden sind, sondern die
Weise, in der sie in den nordischen Museen erhalten, aufgestellt und
gruppiert sind. Danach freilich müſste es wahr sein, daſs es in der
nordischen Bronzezeit kein Eisen gegeben habe, ebensowie daſs die
schönen Bronzekunstwerke nur das Erzeugnis nordischer Schmiede
gewesen wären.


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[592/0614] Einleitung zum Mittelalter. sich nur auf diesen einzigen Zweig der Technik und auf diese einzige Metalllegierung der Bronze beschränkt hätte; daſs diese Nordländer in allen übrigen Dingen in dem primitiven Zustand des Steinzeit- alters verharrt wären und einzig in bezug auf die Verarbeitung der Bronze die höchste Kunstfertigkeit, die höchste Erfindungsgabe und reifen Geschmack entwickelt hätten. Läge es nicht näher zu erwarten, daſs diese hochbegabten Nordländer statt kunstvolle Prunkgeräte an- zufertigen, sich solide Häuser gebaut hätten, um sich gegen die Härte des rauhen Klimas zu schützen, daſs sie von den Fremden, welche ihnen die Bronze zuführten, auch den Gebrauch des Eisens gelernt hätten, dessen Erze sich so reichlich bei ihnen fanden, daſs sie end- lich sich auſser vielen anderen Dingen auch die Kunst der Schrift von jenen südlichen Händlern angeeignet haben würden? Von all dem finden wir aber keine Spur. Wir finden nicht den Trieb, Städte zu gründen zu einer Zeit, in der das stolze Niniveh schon zu einem Schutthaufen geworden war, wir finden keine schriftliche Überlieferung zu einer Zeit, als die Veden, der hebräische Kanon, die unsterblichen Gesänge Homers längst niedergeschrieben waren. Auch erwähnt kein Werk der reichen Litteratur des Südens dieser nordischen Glanz- zeit, dieses nordischen Reichtums, dieser nordischen Kultur, wäh- rend wir doch wissen, daſs bereits Verkehr zu Wasser und zu Lande zwischen den Ländern des Mittelmeeres und Nordeuropa bestand. Treten wir aber der Frage in technischer Beziehung näher, so wird sich erst recht die Unhaltbarkeit der ganzen Theorie erweisen. Die nordischen Gelehrten behaupten, und zwar gerade die neuere Schule mit besonderem Nachdruck, eine strikte Folge einer Bronzekultur auf die Steinzeit, mit Ausschluſs des Eisens. Daſs sie diese Bronze- periode, die etwa ein Jahrtausend bestanden haben soll, in eine ältere und in eine jüngere teilen, ebenso wie sie dies bei der nach- folgenden Eisenzeit thun, hat für uns hier wenig Bedeutung. Dieser Schematismus ist in den Museen von Stockholm und Kopenhagen er- funden worden. Diese bedeutenden Sammlungen, die ganz nach der Theorie der nordischen Gelehrten geordnet sind, bilden überhaupt die Grundlage und das Beweismaterial der skandinavischen Gelehrten, nicht die Funde, wie sie wirklich gemacht worden sind, sondern die Weise, in der sie in den nordischen Museen erhalten, aufgestellt und gruppiert sind. Danach freilich müſste es wahr sein, daſs es in der nordischen Bronzezeit kein Eisen gegeben habe, ebensowie daſs die schönen Bronzekunstwerke nur das Erzeugnis nordischer Schmiede gewesen wären.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/614>, abgerufen am 16.06.2024.