Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung zum Mittelalter.
fallen? Wie wäre alles dem Zufall anheim gestellt gewesen, während
wir doch sehen, wie auffallend gleichmässig die Bronzen der Alten zu-
sammengesetzt waren und wie sie für jeden Zweck mit Bewusstsein
eine bestimmte Mischung wählten.

Die ganzen Behauptungen und Schlussfolgerungen des Herrn
Wibel müssen wir deshalb mit Entschiedenheit zurückweisen.

Auf eine ganz andere Basis stellen sich denn auch die skandinavi-
schen Gelehrten 1). Diese halten ebenfalls bestimmt daran fest, dass
die Bronze das älteste Metall war, welches die Völker der Steinzeit
des Nordens kennen lernten. Die meisten geben aber zu, dass dieselbe
keine eigene Erfindung der Skandinavier gewesen sein kann, weil weder
in Dänemark noch in Schweden und Norwegen Zinnerze vorkommen
und an eine Kupfergewinnung in Skandinavien in der Steinzeit nicht
gedacht werden kann, dass die Bronze vielmehr vom Auslande zuerst
eingeführt wurde. Einige nehmen an, dass ein fremdes Bronzevolk
das Steinvolk unterjocht und ihre Metallindustrie in dem neuen Lande
fortgesetzt habe. Andere räumen ein, dass die ersten Geräte aus
Bronze durch den Handel vom Auslande importiert wurden. Nach
dieser ersten Anregung hätte sich im Norden und zwar speziell in
Skandinavien aber alsbald eine selbständige Bronzetechnik entwickelt
von solcher Bedeutung, dass dieselbe ganz Nordeuropa beherrschte.
Sowohl in Beziehung auf technische Fertigkeit, als auf Erfindungsgeist,
Geschmack stände die nordische Bronzezeit der etruskischen und
griechischen Kunst selbständig und ebenbürtig zur Seite. Die Zeit
dieser Blüte der nordischen Metallindustrie fiele in das erste Jahr-
tausend v. Chr. und wird von den skandinavischen Gelehrten meist
etwa von 800 bis 600 v. Chr. bis etwa zum 2. Jahrhundert n. Chr. geschätzt.
Wir können auch dieser Darstellung der Kulturentwickelung Nord-
europas nicht beistimmen. Der erste Einwand, der sich gegen diese
Theorie sofort aufdrängt, ist der: Wie konnte eine so entwickelte Tech-
nik so spurlos verschwinden? Denn wenn es wahr wäre, dass es nor-
dische Künstler waren, welche alle diese zum Teil hervorragenden
Kunstarbeiten in Bronze ausgeführt hätten, so müssten wir für die Zeit
der sechs Jahrhunderte v. Chr. einen Kulturzustand im Norden an-
nehmen, der etwa mit dem Westasiens in derselben Zeit zu vergleichen
wäre. Wo sind aber die Spuren einer solchen Kultur hingekommen?
Unmöglich kann man doch annehmen, dass die Kultur des Nordens

1) Insbesondere Worsaae und Sophus Müller in Kopenhagen, Dr. Hildebrandt
und Montelius (Stockholm), Ingvald Undset (Christiania).

Einleitung zum Mittelalter.
fallen? Wie wäre alles dem Zufall anheim gestellt gewesen, während
wir doch sehen, wie auffallend gleichmäſsig die Bronzen der Alten zu-
sammengesetzt waren und wie sie für jeden Zweck mit Bewuſstsein
eine bestimmte Mischung wählten.

Die ganzen Behauptungen und Schluſsfolgerungen des Herrn
Wibel müssen wir deshalb mit Entschiedenheit zurückweisen.

Auf eine ganz andere Basis stellen sich denn auch die skandinavi-
schen Gelehrten 1). Diese halten ebenfalls bestimmt daran fest, daſs
die Bronze das älteste Metall war, welches die Völker der Steinzeit
des Nordens kennen lernten. Die meisten geben aber zu, daſs dieselbe
keine eigene Erfindung der Skandinavier gewesen sein kann, weil weder
in Dänemark noch in Schweden und Norwegen Zinnerze vorkommen
und an eine Kupfergewinnung in Skandinavien in der Steinzeit nicht
gedacht werden kann, daſs die Bronze vielmehr vom Auslande zuerst
eingeführt wurde. Einige nehmen an, daſs ein fremdes Bronzevolk
das Steinvolk unterjocht und ihre Metallindustrie in dem neuen Lande
fortgesetzt habe. Andere räumen ein, daſs die ersten Geräte aus
Bronze durch den Handel vom Auslande importiert wurden. Nach
dieser ersten Anregung hätte sich im Norden und zwar speziell in
Skandinavien aber alsbald eine selbständige Bronzetechnik entwickelt
von solcher Bedeutung, daſs dieselbe ganz Nordeuropa beherrschte.
Sowohl in Beziehung auf technische Fertigkeit, als auf Erfindungsgeist,
Geschmack stände die nordische Bronzezeit der etruskischen und
griechischen Kunst selbständig und ebenbürtig zur Seite. Die Zeit
dieser Blüte der nordischen Metallindustrie fiele in das erste Jahr-
tausend v. Chr. und wird von den skandinavischen Gelehrten meist
etwa von 800 bis 600 v. Chr. bis etwa zum 2. Jahrhundert n. Chr. geschätzt.
Wir können auch dieser Darstellung der Kulturentwickelung Nord-
europas nicht beistimmen. Der erste Einwand, der sich gegen diese
Theorie sofort aufdrängt, ist der: Wie konnte eine so entwickelte Tech-
nik so spurlos verschwinden? Denn wenn es wahr wäre, daſs es nor-
dische Künstler waren, welche alle diese zum Teil hervorragenden
Kunstarbeiten in Bronze ausgeführt hätten, so müſsten wir für die Zeit
der sechs Jahrhunderte v. Chr. einen Kulturzustand im Norden an-
nehmen, der etwa mit dem Westasiens in derselben Zeit zu vergleichen
wäre. Wo sind aber die Spuren einer solchen Kultur hingekommen?
Unmöglich kann man doch annehmen, daſs die Kultur des Nordens

1) Insbesondere Worsaae und Sophus Müller in Kopenhagen, Dr. Hildebrandt
und Montelius (Stockholm), Ingvald Undset (Christiania).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0613" n="591"/><fw place="top" type="header">Einleitung zum Mittelalter.</fw><lb/>
fallen? Wie wäre alles dem Zufall anheim gestellt gewesen, während<lb/>
wir doch sehen, wie auffallend gleichmä&#x017F;sig die Bronzen der Alten zu-<lb/>
sammengesetzt waren und wie sie für jeden Zweck mit Bewu&#x017F;stsein<lb/>
eine bestimmte Mischung wählten.</p><lb/>
          <p>Die ganzen Behauptungen und Schlu&#x017F;sfolgerungen des Herrn<lb/>
Wibel müssen wir deshalb mit Entschiedenheit zurückweisen.</p><lb/>
          <p>Auf eine ganz andere Basis stellen sich denn auch die skandinavi-<lb/>
schen Gelehrten <note place="foot" n="1)">Insbesondere Worsaae und Sophus Müller in Kopenhagen, Dr. Hildebrandt<lb/>
und Montelius (Stockholm), Ingvald Undset (Christiania).</note>. Diese halten ebenfalls bestimmt daran fest, da&#x017F;s<lb/>
die Bronze das älteste Metall war, welches die Völker der Steinzeit<lb/>
des Nordens kennen lernten. Die meisten geben aber zu, da&#x017F;s dieselbe<lb/>
keine eigene Erfindung der Skandinavier gewesen sein kann, weil weder<lb/>
in Dänemark noch in Schweden und Norwegen Zinnerze vorkommen<lb/>
und an eine Kupfergewinnung in Skandinavien in der Steinzeit nicht<lb/>
gedacht werden kann, da&#x017F;s die Bronze vielmehr vom Auslande zuerst<lb/>
eingeführt wurde. Einige nehmen an, da&#x017F;s ein fremdes Bronzevolk<lb/>
das Steinvolk unterjocht und ihre Metallindustrie in dem neuen Lande<lb/>
fortgesetzt habe. Andere räumen ein, da&#x017F;s die ersten Geräte aus<lb/>
Bronze durch den Handel vom Auslande importiert wurden. Nach<lb/>
dieser ersten Anregung hätte sich im Norden und zwar speziell in<lb/>
Skandinavien aber alsbald eine selbständige Bronzetechnik entwickelt<lb/>
von solcher Bedeutung, da&#x017F;s dieselbe ganz Nordeuropa beherrschte.<lb/>
Sowohl in Beziehung auf technische Fertigkeit, als auf Erfindungsgeist,<lb/>
Geschmack stände die nordische Bronzezeit der etruskischen und<lb/>
griechischen Kunst selbständig und ebenbürtig zur Seite. Die Zeit<lb/>
dieser Blüte der nordischen Metallindustrie fiele in das erste Jahr-<lb/>
tausend v. Chr. und wird von den skandinavischen Gelehrten meist<lb/>
etwa von 800 bis 600 v. Chr. bis etwa zum 2. Jahrhundert n. Chr. geschätzt.<lb/>
Wir können auch dieser Darstellung der Kulturentwickelung Nord-<lb/>
europas nicht beistimmen. Der erste Einwand, der sich gegen diese<lb/>
Theorie sofort aufdrängt, ist der: Wie konnte eine so entwickelte Tech-<lb/>
nik so spurlos verschwinden? Denn wenn es wahr wäre, da&#x017F;s es nor-<lb/>
dische Künstler waren, welche alle diese zum Teil hervorragenden<lb/>
Kunstarbeiten in Bronze ausgeführt hätten, so mü&#x017F;sten wir für die Zeit<lb/>
der sechs Jahrhunderte v. Chr. einen Kulturzustand im Norden an-<lb/>
nehmen, der etwa mit dem Westasiens in derselben Zeit zu vergleichen<lb/>
wäre. Wo sind aber die Spuren einer solchen Kultur hingekommen?<lb/>
Unmöglich kann man doch annehmen, da&#x017F;s die Kultur des Nordens<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0613] Einleitung zum Mittelalter. fallen? Wie wäre alles dem Zufall anheim gestellt gewesen, während wir doch sehen, wie auffallend gleichmäſsig die Bronzen der Alten zu- sammengesetzt waren und wie sie für jeden Zweck mit Bewuſstsein eine bestimmte Mischung wählten. Die ganzen Behauptungen und Schluſsfolgerungen des Herrn Wibel müssen wir deshalb mit Entschiedenheit zurückweisen. Auf eine ganz andere Basis stellen sich denn auch die skandinavi- schen Gelehrten 1). Diese halten ebenfalls bestimmt daran fest, daſs die Bronze das älteste Metall war, welches die Völker der Steinzeit des Nordens kennen lernten. Die meisten geben aber zu, daſs dieselbe keine eigene Erfindung der Skandinavier gewesen sein kann, weil weder in Dänemark noch in Schweden und Norwegen Zinnerze vorkommen und an eine Kupfergewinnung in Skandinavien in der Steinzeit nicht gedacht werden kann, daſs die Bronze vielmehr vom Auslande zuerst eingeführt wurde. Einige nehmen an, daſs ein fremdes Bronzevolk das Steinvolk unterjocht und ihre Metallindustrie in dem neuen Lande fortgesetzt habe. Andere räumen ein, daſs die ersten Geräte aus Bronze durch den Handel vom Auslande importiert wurden. Nach dieser ersten Anregung hätte sich im Norden und zwar speziell in Skandinavien aber alsbald eine selbständige Bronzetechnik entwickelt von solcher Bedeutung, daſs dieselbe ganz Nordeuropa beherrschte. Sowohl in Beziehung auf technische Fertigkeit, als auf Erfindungsgeist, Geschmack stände die nordische Bronzezeit der etruskischen und griechischen Kunst selbständig und ebenbürtig zur Seite. Die Zeit dieser Blüte der nordischen Metallindustrie fiele in das erste Jahr- tausend v. Chr. und wird von den skandinavischen Gelehrten meist etwa von 800 bis 600 v. Chr. bis etwa zum 2. Jahrhundert n. Chr. geschätzt. Wir können auch dieser Darstellung der Kulturentwickelung Nord- europas nicht beistimmen. Der erste Einwand, der sich gegen diese Theorie sofort aufdrängt, ist der: Wie konnte eine so entwickelte Tech- nik so spurlos verschwinden? Denn wenn es wahr wäre, daſs es nor- dische Künstler waren, welche alle diese zum Teil hervorragenden Kunstarbeiten in Bronze ausgeführt hätten, so müſsten wir für die Zeit der sechs Jahrhunderte v. Chr. einen Kulturzustand im Norden an- nehmen, der etwa mit dem Westasiens in derselben Zeit zu vergleichen wäre. Wo sind aber die Spuren einer solchen Kultur hingekommen? Unmöglich kann man doch annehmen, daſs die Kultur des Nordens 1) Insbesondere Worsaae und Sophus Müller in Kopenhagen, Dr. Hildebrandt und Montelius (Stockholm), Ingvald Undset (Christiania).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/613
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/613>, abgerufen am 16.06.2024.