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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Die Arier in Asien.
fortleben, während die Semiten in Mesopotamien Prachtbauten aus-
führen und durch Bild und Schrift ihre Thaten verherrlichen,
während die Hebräer die älteste Geschichte ihres Volkes aufzeichnen
und diese Aufzeichnungen als Heiligtümer verehren und bewahren,
fehlt den indischen Ariern aller Sinn für die Geschichte, sie leben so
ganz im Genuss der Gegenwart, dass ihnen Vergangenheit und Zukunft
fast gleichgültig ist. Ihr Leben erscheint wie der Somarausch, den
sie als höchstes Opfer betrachten. Die Phantasie überkleidet die
rauhe Wirklichkeit mit den buntschillernsten Gewändern und schwer
ist es, dahinter die wahre Gestalt zu erkennen. Die Poesie führt den
Griffel der indischen Geschichtsschreiber und Gesetzgeber, die nackte
Wirklichkeit verbirgt sich hinter blendenden Feuergarben wunderbarer
Traumbilder. Dies erschwert die Arbeit jeder historischen Forschung,
namentlich wenn sie auf so reale Ziele ausgeht, wie die unserige.
Aber des Zaubers der Schönheit, der in dieser indischen Dichtung und
Philosophie liegt, kann sich keiner entziehen, der ihnen nahetritt. Wir
fühlen, dass es verwandte Töne sind, die zu uns klingen. Freuen wir
uns des Glanzes der olympischen Götter, so stört uns doch überall die
interessierte Herzlosigkeit ihrer semitischen Vorbilder, erhebt uns das
Walhalla der nordischen Götter, so lastet auf ihnen doch der Druck
einer strengen, unfreundlichen Natur, versenken wir uns aber in die
vedischen Gesänge, so fühlen wir neben der Blutsverwandtschaft die
reine Freude an der Natur, an einer schönen, reichen, wunderbaren
Natur, die das Dasein nicht zu einem Kampfe, sondern zu einem Ge-
nusse macht.

Aus solcher Stimmung erklärt sich das geringe Interesse an Ver-
gangenheit und Zukunft und das poetische Genie der arischen Indier.

Indessen ist die Geschichte der Arier in Indien eine wechselvolle und
ihre Entwickelung eine scharf ausgeprägte. Wir haben schon erwähnt,
dass die Arier aus einem nordwestlichen Berglande in das weite Gefilde
des Indus, das Fünfstromland, einwanderten. Diese Erinnerung hat
sich einigermassen erhalten, doch betrachten sie sich in diesem Gebiete
weder als Fremde, noch als Einwanderer oder Eroberer. Sie wissen
nur, dass ihre Väter nördlicher wohnten. Vielmehr betrachten sie sich
als Kinder des Bodens auf dem sie wohnen und wissen von keinem
anderen Volke vor ihnen.

Im Pendschab entwickelte sich das arische Wesen voll und breit.
Sie bildeten Gemeinwesen, aber viele nebeneinander, die sich ihrer
gemeinsamen Abstammung bewusst waren, gemeinsame Sprache, Sitten
und Religion bewahrten, sich aber untereinander in häufigen Kämpfen

Die Arier in Asien.
fortleben, während die Semiten in Mesopotamien Prachtbauten aus-
führen und durch Bild und Schrift ihre Thaten verherrlichen,
während die Hebräer die älteste Geschichte ihres Volkes aufzeichnen
und diese Aufzeichnungen als Heiligtümer verehren und bewahren,
fehlt den indischen Ariern aller Sinn für die Geschichte, sie leben so
ganz im Genuſs der Gegenwart, daſs ihnen Vergangenheit und Zukunft
fast gleichgültig ist. Ihr Leben erscheint wie der Somarausch, den
sie als höchstes Opfer betrachten. Die Phantasie überkleidet die
rauhe Wirklichkeit mit den buntschillernsten Gewändern und schwer
ist es, dahinter die wahre Gestalt zu erkennen. Die Poesie führt den
Griffel der indischen Geschichtsschreiber und Gesetzgeber, die nackte
Wirklichkeit verbirgt sich hinter blendenden Feuergarben wunderbarer
Traumbilder. Dies erschwert die Arbeit jeder historischen Forschung,
namentlich wenn sie auf so reale Ziele ausgeht, wie die unserige.
Aber des Zaubers der Schönheit, der in dieser indischen Dichtung und
Philosophie liegt, kann sich keiner entziehen, der ihnen nahetritt. Wir
fühlen, daſs es verwandte Töne sind, die zu uns klingen. Freuen wir
uns des Glanzes der olympischen Götter, so stört uns doch überall die
interessierte Herzlosigkeit ihrer semitischen Vorbilder, erhebt uns das
Walhalla der nordischen Götter, so lastet auf ihnen doch der Druck
einer strengen, unfreundlichen Natur, versenken wir uns aber in die
vedischen Gesänge, so fühlen wir neben der Blutsverwandtschaft die
reine Freude an der Natur, an einer schönen, reichen, wunderbaren
Natur, die das Dasein nicht zu einem Kampfe, sondern zu einem Ge-
nusse macht.

Aus solcher Stimmung erklärt sich das geringe Interesse an Ver-
gangenheit und Zukunft und das poetische Genie der arischen Indier.

Indessen ist die Geschichte der Arier in Indien eine wechselvolle und
ihre Entwickelung eine scharf ausgeprägte. Wir haben schon erwähnt,
daſs die Arier aus einem nordwestlichen Berglande in das weite Gefilde
des Indus, das Fünfstromland, einwanderten. Diese Erinnerung hat
sich einigermaſsen erhalten, doch betrachten sie sich in diesem Gebiete
weder als Fremde, noch als Einwanderer oder Eroberer. Sie wissen
nur, daſs ihre Väter nördlicher wohnten. Vielmehr betrachten sie sich
als Kinder des Bodens auf dem sie wohnen und wissen von keinem
anderen Volke vor ihnen.

Im Pendschab entwickelte sich das arische Wesen voll und breit.
Sie bildeten Gemeinwesen, aber viele nebeneinander, die sich ihrer
gemeinsamen Abstammung bewuſst waren, gemeinsame Sprache, Sitten
und Religion bewahrten, sich aber untereinander in häufigen Kämpfen

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[204/0226] Die Arier in Asien. fortleben, während die Semiten in Mesopotamien Prachtbauten aus- führen und durch Bild und Schrift ihre Thaten verherrlichen, während die Hebräer die älteste Geschichte ihres Volkes aufzeichnen und diese Aufzeichnungen als Heiligtümer verehren und bewahren, fehlt den indischen Ariern aller Sinn für die Geschichte, sie leben so ganz im Genuſs der Gegenwart, daſs ihnen Vergangenheit und Zukunft fast gleichgültig ist. Ihr Leben erscheint wie der Somarausch, den sie als höchstes Opfer betrachten. Die Phantasie überkleidet die rauhe Wirklichkeit mit den buntschillernsten Gewändern und schwer ist es, dahinter die wahre Gestalt zu erkennen. Die Poesie führt den Griffel der indischen Geschichtsschreiber und Gesetzgeber, die nackte Wirklichkeit verbirgt sich hinter blendenden Feuergarben wunderbarer Traumbilder. Dies erschwert die Arbeit jeder historischen Forschung, namentlich wenn sie auf so reale Ziele ausgeht, wie die unserige. Aber des Zaubers der Schönheit, der in dieser indischen Dichtung und Philosophie liegt, kann sich keiner entziehen, der ihnen nahetritt. Wir fühlen, daſs es verwandte Töne sind, die zu uns klingen. Freuen wir uns des Glanzes der olympischen Götter, so stört uns doch überall die interessierte Herzlosigkeit ihrer semitischen Vorbilder, erhebt uns das Walhalla der nordischen Götter, so lastet auf ihnen doch der Druck einer strengen, unfreundlichen Natur, versenken wir uns aber in die vedischen Gesänge, so fühlen wir neben der Blutsverwandtschaft die reine Freude an der Natur, an einer schönen, reichen, wunderbaren Natur, die das Dasein nicht zu einem Kampfe, sondern zu einem Ge- nusse macht. Aus solcher Stimmung erklärt sich das geringe Interesse an Ver- gangenheit und Zukunft und das poetische Genie der arischen Indier. Indessen ist die Geschichte der Arier in Indien eine wechselvolle und ihre Entwickelung eine scharf ausgeprägte. Wir haben schon erwähnt, daſs die Arier aus einem nordwestlichen Berglande in das weite Gefilde des Indus, das Fünfstromland, einwanderten. Diese Erinnerung hat sich einigermaſsen erhalten, doch betrachten sie sich in diesem Gebiete weder als Fremde, noch als Einwanderer oder Eroberer. Sie wissen nur, daſs ihre Väter nördlicher wohnten. Vielmehr betrachten sie sich als Kinder des Bodens auf dem sie wohnen und wissen von keinem anderen Volke vor ihnen. Im Pendschab entwickelte sich das arische Wesen voll und breit. Sie bildeten Gemeinwesen, aber viele nebeneinander, die sich ihrer gemeinsamen Abstammung bewuſst waren, gemeinsame Sprache, Sitten und Religion bewahrten, sich aber untereinander in häufigen Kämpfen

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/226>, abgerufen am 25.11.2024.