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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Syrien.
an der Küste Griechenlands entlang, sie siedelten sich auf Euböa an,
wo sie Kupferbergwerke eröffneten, gründeten Kadmos, drangen ans
Adriatische Meer, wo sie sich an der für den europäischen Landhandel
so wichtigen Mündung des Po anbauten. Sie sollen dort eine Stadt
Adria gegründet haben, von der dieses Meer noch heute seinen Namen
trägt. Es waren Sidonier, welche diese Kolonieen anlegten. Ebenso
fuhren diese der afrikanischen Küste entlang, gründeten Alt-Karthago,
Hyppo und Utika (Tunis), besiedelten Sizilien, Malta und Sardinien
und drangen bis nach Gibraltar zu den "Säulen des Herkules" vor.

Die Ansiedelung in Spanien bildet einen Wendepunkt in der Ge-
schichte Phöniziens. Er fällt zusammen mit dem Niedergange von
Sidon und mit dem Aufschwunge von Tyrus. Diese Umwälzung war
zunächst eine politische. Sidon hatte schwere Kämpfe zu bestehen
und wurde um 1200 v. Chr. von einem König von Askalon zerstört.
Obgleich es aus seinen Trümmern wieder erstand, erlangte es doch nie
mehr seinen früheren Glanz. Das jüngere Tyrus verstand es die Ober-
gewalt an sich zu reissen und von dieser Zeit an knüpft sich denn auch
die Geschichte der phönizischen Kolonisation an die Geschichte von
Tyrus. Die Hauptquelle des grossartigen Reichtums von Tyrus war
der Silberhandel und die Silbergewinnung Spaniens. Um das Jahr
1100 wurde Gades an dem Ufer des Atlantischen Ozeans jenseits der
Säulen des Herkules gegründet und diese Stadt war der wichtigste
Stapelplatz für den Silber- und den Zinnhandel und blieb es, nach-
dem auch Tyrus und die ganze Herrlichkeit Phöniziens längst ver-
blichen war.

Tarsis war Jahrhunderte lang der Inbegriff des Reichtums. Tarsis
war ursprünglich die Stadt und das Gebiet von Gades, doch nannte
man so das ganze silberreiche Land an den Ufern des Bätis, manchmal
verstand man ganz Spanien darunter. Tarsisschiffe hiessen die grossen
schweren Handelsschiffe der Phönizier. Durch ihre Grösse, Belastungs-
fähigkeit und Schnelligkeit waren sie die Bewunderung der Propheten
Judas, wie der Schriftsteller des klassischen Altertums. Tarsis war
für die Alten das, was einmal eine Zeitlang Kalifornien war, der In-
begriff des Metallreichtums. Bezeichnend ist die Anekdote 1), dass die
ersten phönizischen Schiffe, die in Spanien gelandet seien, so viel Silber
für wertlose Waren eingetauscht hätten, dass, nachdem das Schiff bis
zur Grenze seiner Tragfähigkeit beladen war, sie ihre Anker und Ketten
zurückgelassen und sich solche aus purem Silber neu angefertigt hätten.


1) Aristoteles, de mirabl. auscult. cap. 147.
Beck, Geschichte des Eisens. 12

Syrien.
an der Küste Griechenlands entlang, sie siedelten sich auf Euböa an,
wo sie Kupferbergwerke eröffneten, gründeten Kadmos, drangen ans
Adriatische Meer, wo sie sich an der für den europäischen Landhandel
so wichtigen Mündung des Po anbauten. Sie sollen dort eine Stadt
Adria gegründet haben, von der dieses Meer noch heute seinen Namen
trägt. Es waren Sidonier, welche diese Kolonieen anlegten. Ebenso
fuhren diese der afrikanischen Küste entlang, gründeten Alt-Karthago,
Hyppo und Utika (Tunis), besiedelten Sizilien, Malta und Sardinien
und drangen bis nach Gibraltar zu den „Säulen des Herkules“ vor.

Die Ansiedelung in Spanien bildet einen Wendepunkt in der Ge-
schichte Phöniziens. Er fällt zusammen mit dem Niedergange von
Sidon und mit dem Aufschwunge von Tyrus. Diese Umwälzung war
zunächst eine politische. Sidon hatte schwere Kämpfe zu bestehen
und wurde um 1200 v. Chr. von einem König von Askalon zerstört.
Obgleich es aus seinen Trümmern wieder erstand, erlangte es doch nie
mehr seinen früheren Glanz. Das jüngere Tyrus verstand es die Ober-
gewalt an sich zu reiſsen und von dieser Zeit an knüpft sich denn auch
die Geschichte der phönizischen Kolonisation an die Geschichte von
Tyrus. Die Hauptquelle des groſsartigen Reichtums von Tyrus war
der Silberhandel und die Silbergewinnung Spaniens. Um das Jahr
1100 wurde Gades an dem Ufer des Atlantischen Ozeans jenseits der
Säulen des Herkules gegründet und diese Stadt war der wichtigste
Stapelplatz für den Silber- und den Zinnhandel und blieb es, nach-
dem auch Tyrus und die ganze Herrlichkeit Phöniziens längst ver-
blichen war.

Tarsis war Jahrhunderte lang der Inbegriff des Reichtums. Tarsis
war ursprünglich die Stadt und das Gebiet von Gades, doch nannte
man so das ganze silberreiche Land an den Ufern des Bätis, manchmal
verstand man ganz Spanien darunter. Tarsisschiffe hieſsen die groſsen
schweren Handelsschiffe der Phönizier. Durch ihre Gröſse, Belastungs-
fähigkeit und Schnelligkeit waren sie die Bewunderung der Propheten
Judas, wie der Schriftsteller des klassischen Altertums. Tarsis war
für die Alten das, was einmal eine Zeitlang Kalifornien war, der In-
begriff des Metallreichtums. Bezeichnend ist die Anekdote 1), daſs die
ersten phönizischen Schiffe, die in Spanien gelandet seien, so viel Silber
für wertlose Waren eingetauscht hätten, daſs, nachdem das Schiff bis
zur Grenze seiner Tragfähigkeit beladen war, sie ihre Anker und Ketten
zurückgelassen und sich solche aus purem Silber neu angefertigt hätten.


1) Aristoteles, de mirabl. auscult. cap. 147.
Beck, Geschichte des Eisens. 12
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[177/0199] Syrien. an der Küste Griechenlands entlang, sie siedelten sich auf Euböa an, wo sie Kupferbergwerke eröffneten, gründeten Kadmos, drangen ans Adriatische Meer, wo sie sich an der für den europäischen Landhandel so wichtigen Mündung des Po anbauten. Sie sollen dort eine Stadt Adria gegründet haben, von der dieses Meer noch heute seinen Namen trägt. Es waren Sidonier, welche diese Kolonieen anlegten. Ebenso fuhren diese der afrikanischen Küste entlang, gründeten Alt-Karthago, Hyppo und Utika (Tunis), besiedelten Sizilien, Malta und Sardinien und drangen bis nach Gibraltar zu den „Säulen des Herkules“ vor. Die Ansiedelung in Spanien bildet einen Wendepunkt in der Ge- schichte Phöniziens. Er fällt zusammen mit dem Niedergange von Sidon und mit dem Aufschwunge von Tyrus. Diese Umwälzung war zunächst eine politische. Sidon hatte schwere Kämpfe zu bestehen und wurde um 1200 v. Chr. von einem König von Askalon zerstört. Obgleich es aus seinen Trümmern wieder erstand, erlangte es doch nie mehr seinen früheren Glanz. Das jüngere Tyrus verstand es die Ober- gewalt an sich zu reiſsen und von dieser Zeit an knüpft sich denn auch die Geschichte der phönizischen Kolonisation an die Geschichte von Tyrus. Die Hauptquelle des groſsartigen Reichtums von Tyrus war der Silberhandel und die Silbergewinnung Spaniens. Um das Jahr 1100 wurde Gades an dem Ufer des Atlantischen Ozeans jenseits der Säulen des Herkules gegründet und diese Stadt war der wichtigste Stapelplatz für den Silber- und den Zinnhandel und blieb es, nach- dem auch Tyrus und die ganze Herrlichkeit Phöniziens längst ver- blichen war. Tarsis war Jahrhunderte lang der Inbegriff des Reichtums. Tarsis war ursprünglich die Stadt und das Gebiet von Gades, doch nannte man so das ganze silberreiche Land an den Ufern des Bätis, manchmal verstand man ganz Spanien darunter. Tarsisschiffe hieſsen die groſsen schweren Handelsschiffe der Phönizier. Durch ihre Gröſse, Belastungs- fähigkeit und Schnelligkeit waren sie die Bewunderung der Propheten Judas, wie der Schriftsteller des klassischen Altertums. Tarsis war für die Alten das, was einmal eine Zeitlang Kalifornien war, der In- begriff des Metallreichtums. Bezeichnend ist die Anekdote 1), daſs die ersten phönizischen Schiffe, die in Spanien gelandet seien, so viel Silber für wertlose Waren eingetauscht hätten, daſs, nachdem das Schiff bis zur Grenze seiner Tragfähigkeit beladen war, sie ihre Anker und Ketten zurückgelassen und sich solche aus purem Silber neu angefertigt hätten. 1) Aristoteles, de mirabl. auscult. cap. 147. Beck, Geschichte des Eisens. 12

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/199>, abgerufen am 27.11.2024.