Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].

Bild:
<< vorherige Seite
Seelen-Weißheit.
143. Phil.

Bringt sich dann der jenige nicht sel-
ber umb/ welcher sich zu Wasser oder Lande mit
Pulver in die Lufft sprengt/ welcher sich in einer Ve-
stung/ wider alle Hülff und Hoffnung/ zu schanden
schiessen/ bestürmen/ und auff den letzten Mann
umbringen läst/ und gleichwol thun die Soldaten
solches/ werden vor prave Leute derentwegen gehal-
ten/ ja sie müssen etlicher Orten einen Eyd schwö-
ren/ solches zu thun/ und wann sie es nicht thun/ am
Leben gestrafft/ ist also die Autocheirisis, oder das
Selbst umbringen/ nicht so absolute verbotten/ auch
in grossen Schmertzen und Elend/ dessen man keine
Enderung noch Ende zu hoffen/ besser/ daß der
Mensch mit einem tapffern Gemüth daraus scheide/
und sich generos umbringe/ als daß er bernheuteri-
scher Weise leide/ anderen Leuten beschwehrlich und
ein spectacul sey/ hingegen selbsten aus übergrosser
Noth und Schmertzen endlich doch verzweiffele.
Erasmus sagt: Multi felicius moriuntur in rota, quam
in calculo:
Das ist/ viel sterben glücklicher auff dem
Rad/ als an dem Stein. Jst je derhalben besser ge-
neros.
als verzweiffelt zu sterben. Dannenhero die
Stoici großmütig zu dem Epicteto gesprochen: Epi-
ctete, nos corpusculo huic cibum potumque dando,
dormiendo lassi sumus, sunt qui tyiannidem in id
exercent, sine, ostendamus illis, quam nihil in nos ha-
beant juris, libet, libet abire: Quocunque respexeris,
ibi malorum finis est, vides istam arborem, exinde
libertas pendet, vides istud flumen, illum puteum,
in ejus imo libertas sedet, vides jugulum tuum, cor
tuum, quamlibet venam, effugia servitutis sunt, qui
mori didicit, servite dedidicit, quid ad ipsum carcer
& custodia, liberum ostium habet. Stultus, qui do-
loris cauia vivit, non refert sapienti, quam diu vivat,

sed
M jv
Seelen-Weißheit.
143. Phil.

Bringt ſich dann der jenige nicht ſel-
ber umb/ welcher ſich zu Waſſer oder Lande mit
Pulver in die Lufft ſprengt/ welcher ſich in einer Ve-
ſtung/ wider alle Huͤlff und Hoffnung/ zu ſchanden
ſchieſſen/ beſtuͤrmen/ und auff den letzten Mann
umbringen laͤſt/ und gleichwol thun die Soldaten
ſolches/ werden vor prave Leute derentwegen gehal-
ten/ ja ſie muͤſſen etlicher Orten einen Eyd ſchwoͤ-
ren/ ſolches zu thun/ und wann ſie es nicht thun/ am
Leben geſtrafft/ iſt alſo die Autocheiriſis, oder das
Selbſt umbringen/ nicht ſo abſolutè verbotten/ auch
in groſſen Schmertzen und Elend/ deſſen man keine
Enderung noch Ende zu hoffen/ beſſer/ daß der
Menſch mit einem tapffern Gemuͤth daraus ſcheide/
und ſich generôs umbringe/ als daß er bernheuteri-
ſcher Weiſe leide/ anderen Leuten beſchwehrlich und
ein ſpectacul ſey/ hingegen ſelbſten aus uͤbergroſſer
Noth und Schmertzen endlich doch verzweiffele.
Eraſmus ſagt: Multi felicius moriuntur in rota, quàm
in calculo:
Das iſt/ viel ſterben gluͤcklicher auff dem
Rad/ als an dem Stein. Jſt je derhalben beſſer ge-
nerôs.
als verzweiffelt zu ſterben. Dannenhero die
Stoici großmuͤtig zu dem Epicteto geſprochen: Epi-
ctete, nos corpuſculo huic cibum potumq́ue dando,
dormiendo laſſi ſumus, ſunt qui tyiannidem in id
exercent, ſine, oſtendamus illis, quàm nihil in nos ha-
beant juris, libet, libet abire: Quocunque reſpexeris,
ibi malorum finis eſt, vides iſtam arborem, exinde
libertas pendet, vides iſtud flumen, illum puteum,
in ejus imo libertas ſedet, vides jugulum tuum, cor
tuum, quamlibet venam, effugia ſervitutis ſunt, qui
mori didicit, ſervite dedidicit, quid ad ipſum carcer
& cuſtodia, liberum oſtium habet. Stultus, qui do-
loris cauiâ vivit, non refert ſapienti, quàm diu vivat,

ſed
M jv
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0329" n="271"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Seelen-Weißheit.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>143. <hi rendition="#aq">Phil.</hi></head>
            <p> Bringt &#x017F;ich dann der jenige nicht &#x017F;el-<lb/>
ber umb/ welcher &#x017F;ich zu Wa&#x017F;&#x017F;er oder Lande mit<lb/>
Pulver in die Lufft &#x017F;prengt/ welcher &#x017F;ich in einer Ve-<lb/>
&#x017F;tung/ wider alle Hu&#x0364;lff und Hoffnung/ zu &#x017F;chanden<lb/>
&#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en/ be&#x017F;tu&#x0364;rmen/ und auff den letzten Mann<lb/>
umbringen la&#x0364;&#x017F;t/ und gleichwol thun die Soldaten<lb/>
&#x017F;olches/ werden vor prave Leute derentwegen gehal-<lb/>
ten/ ja &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en etlicher Orten einen Eyd &#x017F;chwo&#x0364;-<lb/>
ren/ &#x017F;olches zu thun/ und wann &#x017F;ie es nicht thun/ am<lb/>
Leben ge&#x017F;trafft/ i&#x017F;t al&#x017F;o die <hi rendition="#aq">Autocheiri&#x017F;is,</hi> oder das<lb/>
Selb&#x017F;t umbringen/ nicht &#x017F;o <hi rendition="#aq">ab&#x017F;olutè</hi> verbotten/ auch<lb/>
in gro&#x017F;&#x017F;en Schmertzen und Elend/ de&#x017F;&#x017F;en man keine<lb/>
Enderung noch Ende zu hoffen/ be&#x017F;&#x017F;er/ daß der<lb/>
Men&#x017F;ch mit einem tapffern Gemu&#x0364;th daraus &#x017F;cheide/<lb/>
und &#x017F;ich <hi rendition="#aq">generôs</hi> umbringe/ als daß er bernheuteri-<lb/>
&#x017F;cher Wei&#x017F;e leide/ anderen Leuten be&#x017F;chwehrlich und<lb/>
ein <hi rendition="#aq">&#x017F;pectacul</hi> &#x017F;ey/ hingegen &#x017F;elb&#x017F;ten aus u&#x0364;bergro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Noth und Schmertzen endlich doch verzweiffele.<lb/><hi rendition="#aq">Era&#x017F;mus</hi> &#x017F;agt: <hi rendition="#aq">Multi felicius moriuntur in rota, quàm<lb/>
in calculo:</hi> Das i&#x017F;t/ viel &#x017F;terben glu&#x0364;cklicher auff dem<lb/>
Rad/ als an dem Stein. J&#x017F;t je derhalben be&#x017F;&#x017F;er <hi rendition="#aq">ge-<lb/>
nerôs.</hi> als verzweiffelt zu &#x017F;terben. Dannenhero die<lb/><hi rendition="#aq">Stoici</hi> großmu&#x0364;tig zu dem <hi rendition="#aq">Epicteto</hi> ge&#x017F;prochen: <hi rendition="#aq">Epi-<lb/>
ctete, nos corpu&#x017F;culo huic cibum potumq&#x0301;ue dando,<lb/>
dormiendo la&#x017F;&#x017F;i &#x017F;umus, &#x017F;unt qui tyiannidem in id<lb/>
exercent, &#x017F;ine, o&#x017F;tendamus illis, quàm nihil in  nos ha-<lb/>
beant juris, libet, libet abire: Quocunque re&#x017F;pexeris,<lb/>
ibi malorum finis e&#x017F;t, vides i&#x017F;tam arborem, exinde<lb/>
libertas pendet, vides i&#x017F;tud flumen, illum puteum,<lb/>
in ejus imo libertas &#x017F;edet, vides jugulum tuum, cor<lb/>
tuum, quamlibet venam, effugia &#x017F;ervitutis &#x017F;unt, qui<lb/>
mori didicit, &#x017F;ervite dedidicit, quid ad ip&#x017F;um carcer<lb/>
&amp; cu&#x017F;todia, liberum o&#x017F;tium habet. Stultus, qui do-<lb/>
loris cauiâ vivit, non refert &#x017F;apienti, quàm diu vivat,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M jv</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">&#x017F;ed</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0329] Seelen-Weißheit. 143. Phil. Bringt ſich dann der jenige nicht ſel- ber umb/ welcher ſich zu Waſſer oder Lande mit Pulver in die Lufft ſprengt/ welcher ſich in einer Ve- ſtung/ wider alle Huͤlff und Hoffnung/ zu ſchanden ſchieſſen/ beſtuͤrmen/ und auff den letzten Mann umbringen laͤſt/ und gleichwol thun die Soldaten ſolches/ werden vor prave Leute derentwegen gehal- ten/ ja ſie muͤſſen etlicher Orten einen Eyd ſchwoͤ- ren/ ſolches zu thun/ und wann ſie es nicht thun/ am Leben geſtrafft/ iſt alſo die Autocheiriſis, oder das Selbſt umbringen/ nicht ſo abſolutè verbotten/ auch in groſſen Schmertzen und Elend/ deſſen man keine Enderung noch Ende zu hoffen/ beſſer/ daß der Menſch mit einem tapffern Gemuͤth daraus ſcheide/ und ſich generôs umbringe/ als daß er bernheuteri- ſcher Weiſe leide/ anderen Leuten beſchwehrlich und ein ſpectacul ſey/ hingegen ſelbſten aus uͤbergroſſer Noth und Schmertzen endlich doch verzweiffele. Eraſmus ſagt: Multi felicius moriuntur in rota, quàm in calculo: Das iſt/ viel ſterben gluͤcklicher auff dem Rad/ als an dem Stein. Jſt je derhalben beſſer ge- nerôs. als verzweiffelt zu ſterben. Dannenhero die Stoici großmuͤtig zu dem Epicteto geſprochen: Epi- ctete, nos corpuſculo huic cibum potumq́ue dando, dormiendo laſſi ſumus, ſunt qui tyiannidem in id exercent, ſine, oſtendamus illis, quàm nihil in nos ha- beant juris, libet, libet abire: Quocunque reſpexeris, ibi malorum finis eſt, vides iſtam arborem, exinde libertas pendet, vides iſtud flumen, illum puteum, in ejus imo libertas ſedet, vides jugulum tuum, cor tuum, quamlibet venam, effugia ſervitutis ſunt, qui mori didicit, ſervite dedidicit, quid ad ipſum carcer & cuſtodia, liberum oſtium habet. Stultus, qui do- loris cauiâ vivit, non refert ſapienti, quàm diu vivat, ſed M jv

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/329
Zitationshilfe: Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683], S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/329>, abgerufen am 22.11.2024.