pba_604.001 Ordnung: "Drunten aber im Tiefen sitzen lichtlos, ohne Gesang und pba_604.002 Sprache, der Themis Töchter, die nie vergessen, die Untrüglichen, die pba_604.003 mit Gerechtigkeit messen!" Und weiter: "Nichts ist verloren und verschwunden, pba_604.004 was die geheimnisvoll waltenden Stunden in den dunkel pba_604.005 schaffenden Schoß aufnahmen -- die Zeit ist eine blühende Flur, ein pba_604.006 großes Lebendiges ist die Natur, und alles ist Frucht, und pba_604.007 alles ist Samen."
pba_604.008 Zu spät erfolgt die Erkennung. Zum zerschmetternden Schlage pba_604.009 hat sich gewandelt, was ein ringsum segenverbreitendes Glück hätte pba_604.010 werden können. Das Unheil ist geschehen, das nicht mehr gut zu machen pba_604.011 ist; es bleibt nur die Aussicht auf noch weiteres Leid und auf ein Leben pba_604.012 voll Schmerz und Entsagung. Hier tritt der Chor mit der ganzen pba_604.013 kathartischen "Heilungskraft" auf, deren die tragische Kunst fähig ist pba_604.014 und für die sie kein annähernd so mächtiges Organ besitzt als eben ihn. pba_604.015 Die Furcht und mit ihr das Mitleid hebt er hoch empor über die Enge pba_604.016 des schrecklichen Einzelfalles zu dem unmittelbaren Anschauen der ewigen pba_604.017 Gesetze, denen alles Menschenlos gleichmäßig unterworfen ist: wahrlich pba_604.018 nicht um von Furcht und Mitleid die Herzen der tief ergriffenen Zuschauer pba_604.019 zu entladen, sondern um sie gleichsam zu dem reinen Akkord pba_604.020 der rechten Schicksalsempfindungen zu stimmen!
pba_604.021
Durch die Straßen der Städte,pba_604.022 Von Jammer gefolget,pba_604.023 Schreitet das Unglück --pba_604.024 Lauernd umschleicht espba_604.025 Die Häuser der Menschen,pba_604.026 Heute an dieserpba_604.027 Pforte pocht es,pba_604.028 Morgen an jener,pba_604.029 Aber noch keinen hat es verschont.pba_604.030 Die unerwünschtepba_604.031 Schmerzliche Botschaftpba_604.032 Früher oder späterpba_604.033 Bestellt es an jederpba_604.034 Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
pba_604.035 Wenn die Blätter fallenpba_604.036 Jn des Jahres Kreise,pba_604.037 Wenn zum Grabe wallenpba_604.038 Entnervte Greise,pba_604.039 Da gehorcht die Naturpba_604.040 Ruhig nurpba_604.041 Jhrem alten Gesetze,pba_604.042 Jhrem ewigen Brauch,pba_604.043 Da ist nichts, was den Menschen entsetze!
pba_604.001 Ordnung: „Drunten aber im Tiefen sitzen lichtlos, ohne Gesang und pba_604.002 Sprache, der Themis Töchter, die nie vergessen, die Untrüglichen, die pba_604.003 mit Gerechtigkeit messen!“ Und weiter: „Nichts ist verloren und verschwunden, pba_604.004 was die geheimnisvoll waltenden Stunden in den dunkel pba_604.005 schaffenden Schoß aufnahmen — die Zeit ist eine blühende Flur, ein pba_604.006 großes Lebendiges ist die Natur, und alles ist Frucht, und pba_604.007 alles ist Samen.“
pba_604.008 Zu spät erfolgt die Erkennung. Zum zerschmetternden Schlage pba_604.009 hat sich gewandelt, was ein ringsum segenverbreitendes Glück hätte pba_604.010 werden können. Das Unheil ist geschehen, das nicht mehr gut zu machen pba_604.011 ist; es bleibt nur die Aussicht auf noch weiteres Leid und auf ein Leben pba_604.012 voll Schmerz und Entsagung. Hier tritt der Chor mit der ganzen pba_604.013 kathartischen „Heilungskraft“ auf, deren die tragische Kunst fähig ist pba_604.014 und für die sie kein annähernd so mächtiges Organ besitzt als eben ihn. pba_604.015 Die Furcht und mit ihr das Mitleid hebt er hoch empor über die Enge pba_604.016 des schrecklichen Einzelfalles zu dem unmittelbaren Anschauen der ewigen pba_604.017 Gesetze, denen alles Menschenlos gleichmäßig unterworfen ist: wahrlich pba_604.018 nicht um von Furcht und Mitleid die Herzen der tief ergriffenen Zuschauer pba_604.019 zu entladen, sondern um sie gleichsam zu dem reinen Akkord pba_604.020 der rechten Schicksalsempfindungen zu stimmen!
pba_604.021
Durch die Straßen der Städte,pba_604.022 Von Jammer gefolget,pba_604.023 Schreitet das Unglück —pba_604.024 Lauernd umschleicht espba_604.025 Die Häuser der Menschen,pba_604.026 Heute an dieserpba_604.027 Pforte pocht es,pba_604.028 Morgen an jener,pba_604.029 Aber noch keinen hat es verschont.pba_604.030 Die unerwünschtepba_604.031 Schmerzliche Botschaftpba_604.032 Früher oder späterpba_604.033 Bestellt es an jederpba_604.034 Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
pba_604.035 Wenn die Blätter fallenpba_604.036 Jn des Jahres Kreise,pba_604.037 Wenn zum Grabe wallenpba_604.038 Entnervte Greise,pba_604.039 Da gehorcht die Naturpba_604.040 Ruhig nurpba_604.041 Jhrem alten Gesetze,pba_604.042 Jhrem ewigen Brauch,pba_604.043 Da ist nichts, was den Menschen entsetze!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0622"n="604"/><lbn="pba_604.001"/>
Ordnung: „Drunten aber im Tiefen sitzen lichtlos, ohne Gesang und <lbn="pba_604.002"/>
Sprache, der Themis Töchter, die nie vergessen, die Untrüglichen, die <lbn="pba_604.003"/>
mit Gerechtigkeit messen!“ Und weiter: „Nichts ist verloren und verschwunden, <lbn="pba_604.004"/>
was die geheimnisvoll waltenden Stunden in den dunkel <lbn="pba_604.005"/>
schaffenden Schoß aufnahmen — die Zeit ist eine blühende Flur, <hirendition="#g">ein <lbn="pba_604.006"/>
großes Lebendiges ist die Natur, und alles ist Frucht, und <lbn="pba_604.007"/>
alles ist Samen.</hi>“</p><p><lbn="pba_604.008"/>
Zu spät erfolgt die Erkennung. Zum zerschmetternden Schlage <lbn="pba_604.009"/>
hat sich gewandelt, was ein ringsum segenverbreitendes Glück hätte <lbn="pba_604.010"/>
werden können. Das Unheil ist geschehen, das nicht mehr gut zu machen <lbn="pba_604.011"/>
ist; es bleibt nur die Aussicht auf noch weiteres Leid und auf ein Leben <lbn="pba_604.012"/>
voll Schmerz und Entsagung. Hier tritt der Chor mit der ganzen <lbn="pba_604.013"/>
kathartischen „Heilungskraft“ auf, deren die tragische Kunst fähig ist <lbn="pba_604.014"/>
und für die sie kein annähernd so mächtiges Organ besitzt als eben ihn. <lbn="pba_604.015"/>
Die Furcht und mit ihr das Mitleid hebt er hoch empor über die Enge <lbn="pba_604.016"/>
des schrecklichen Einzelfalles zu dem unmittelbaren Anschauen der ewigen <lbn="pba_604.017"/>
Gesetze, denen <hirendition="#g">alles</hi> Menschenlos gleichmäßig unterworfen ist: wahrlich <lbn="pba_604.018"/><hirendition="#g">nicht</hi> um von Furcht und Mitleid die Herzen der tief ergriffenen Zuschauer <lbn="pba_604.019"/>
zu <hirendition="#g">entladen,</hi> sondern um sie gleichsam <hirendition="#g">zu dem reinen Akkord <lbn="pba_604.020"/>
der rechten Schicksalsempfindungen</hi> zu stimmen!</p><lbn="pba_604.021"/><lg><l>Durch die Straßen der Städte,</l><lbn="pba_604.022"/><l>Von Jammer gefolget,</l><lbn="pba_604.023"/><l>Schreitet das Unglück —</l><lbn="pba_604.024"/><l>Lauernd umschleicht es</l><lbn="pba_604.025"/><l>Die Häuser der Menschen,</l><lbn="pba_604.026"/><l>Heute an dieser</l><lbn="pba_604.027"/><l>Pforte pocht es,</l><lbn="pba_604.028"/><l>Morgen an jener,</l><lbn="pba_604.029"/><l>Aber noch keinen hat es verschont.</l><lbn="pba_604.030"/><l>Die unerwünschte</l><lbn="pba_604.031"/><l>Schmerzliche Botschaft</l><lbn="pba_604.032"/><l>Früher oder später</l><lbn="pba_604.033"/><l>Bestellt es an jeder</l><lbn="pba_604.034"/><l>Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt. </l></lg><lg><lbn="pba_604.035"/><l> Wenn die Blätter fallen</l><lbn="pba_604.036"/><l>Jn des Jahres Kreise,</l><lbn="pba_604.037"/><l>Wenn zum Grabe wallen</l><lbn="pba_604.038"/><l>Entnervte Greise,</l><lbn="pba_604.039"/><l>Da gehorcht die Natur</l><lbn="pba_604.040"/><l>Ruhig nur</l><lbn="pba_604.041"/><l>Jhrem alten Gesetze,</l><lbn="pba_604.042"/><l>Jhrem ewigen Brauch,</l><lbn="pba_604.043"/><l>Da ist nichts, was den Menschen entsetze!</l></lg></div></body></text></TEI>
[604/0622]
pba_604.001
Ordnung: „Drunten aber im Tiefen sitzen lichtlos, ohne Gesang und pba_604.002
Sprache, der Themis Töchter, die nie vergessen, die Untrüglichen, die pba_604.003
mit Gerechtigkeit messen!“ Und weiter: „Nichts ist verloren und verschwunden, pba_604.004
was die geheimnisvoll waltenden Stunden in den dunkel pba_604.005
schaffenden Schoß aufnahmen — die Zeit ist eine blühende Flur, ein pba_604.006
großes Lebendiges ist die Natur, und alles ist Frucht, und pba_604.007
alles ist Samen.“
pba_604.008
Zu spät erfolgt die Erkennung. Zum zerschmetternden Schlage pba_604.009
hat sich gewandelt, was ein ringsum segenverbreitendes Glück hätte pba_604.010
werden können. Das Unheil ist geschehen, das nicht mehr gut zu machen pba_604.011
ist; es bleibt nur die Aussicht auf noch weiteres Leid und auf ein Leben pba_604.012
voll Schmerz und Entsagung. Hier tritt der Chor mit der ganzen pba_604.013
kathartischen „Heilungskraft“ auf, deren die tragische Kunst fähig ist pba_604.014
und für die sie kein annähernd so mächtiges Organ besitzt als eben ihn. pba_604.015
Die Furcht und mit ihr das Mitleid hebt er hoch empor über die Enge pba_604.016
des schrecklichen Einzelfalles zu dem unmittelbaren Anschauen der ewigen pba_604.017
Gesetze, denen alles Menschenlos gleichmäßig unterworfen ist: wahrlich pba_604.018
nicht um von Furcht und Mitleid die Herzen der tief ergriffenen Zuschauer pba_604.019
zu entladen, sondern um sie gleichsam zu dem reinen Akkord pba_604.020
der rechten Schicksalsempfindungen zu stimmen!
pba_604.021
Durch die Straßen der Städte, pba_604.022
Von Jammer gefolget, pba_604.023
Schreitet das Unglück — pba_604.024
Lauernd umschleicht es pba_604.025
Die Häuser der Menschen, pba_604.026
Heute an dieser pba_604.027
Pforte pocht es, pba_604.028
Morgen an jener, pba_604.029
Aber noch keinen hat es verschont. pba_604.030
Die unerwünschte pba_604.031
Schmerzliche Botschaft pba_604.032
Früher oder später pba_604.033
Bestellt es an jeder pba_604.034
Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
pba_604.035
Wenn die Blätter fallen pba_604.036
Jn des Jahres Kreise, pba_604.037
Wenn zum Grabe wallen pba_604.038
Entnervte Greise, pba_604.039
Da gehorcht die Natur pba_604.040
Ruhig nur pba_604.041
Jhrem alten Gesetze, pba_604.042
Jhrem ewigen Brauch, pba_604.043
Da ist nichts, was den Menschen entsetze!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/622>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.