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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Den eignen freien Weg, ich seh' es wohl, pba_603.002
Will das Verhängnis gehn mit meinen Kindern. pba_603.003
Vom Berge stürzt der ungeheure Strom, pba_603.004
Wühlt sich sein Bette selbst und bricht sich Bahn; pba_603.005
Nicht des gemessnen Pfades achtet er, pba_603.006
Den ihm die Klugheit vorbedächtig baut. pba_603.007
So unterwerf' ich mich, wie kann ich's ändern? pba_603.008
Der unregiersam stärkern Götterhand, pba_603.009
Die meines Hauses Schicksal dunkel spinnt.

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Hier setzt nun voll und voller die lang vorbereitete Mitleid-Empfindung pba_603.011
ein, da immer dunkler die drohenden Wolken um die hoheitsvolle pba_603.012
edle Mutter und ihre hochherzigen Kinder sich zusammenziehen. pba_603.013
Voll berechtigt erscheint ihr Anspruch auf reichste Entfaltung eines herrlichen pba_603.014
Glückes, gering nur ihr Fehl und doch unvermeidlich ein nahe pba_603.015
bevorstehender jäher Sturz. So klagen und bangen wir mit der Fürstin pba_603.016
-- denn diese Furcht für die handelnden Personen ist nur eine Art pba_603.017
des Mitleids --:

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Wann endlich wird der alte Fluch sich lösen, pba_603.019
Der über diesem Hause lastend ruht? pba_603.020
Mit meiner Hoffnung spielt ein tückisch Wesen, pba_603.021
Und nimmer stillt sich seines Neides Wut. pba_603.022
So nahe glaubt' ich mich dem sichern Hafen, pba_603.023
So fest vertraut' ich auf des Glückes Pfand, pba_603.024
Und alle Stürme glaubt' ich eingeschlafen, pba_603.025
Und freudig winkend sah ich schon das Land pba_603.026
Jm Abendglanz der Sonne sich erhellen: pba_603.027
Da kommt ein Sturm, aus heitrer Luft gesandt, pba_603.028
Und reißt mich wieder in den Kampf der Wellen!

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Und nun die entsetzliche Katastrophe! und am Schlusse des Aktes pba_603.030
dann der großartige Chorgesang, der an Tiefe und Macht der gleichmäßig pba_603.031
ihn durchströmenden Furcht- und Mitleids-Darstellung sich dem pba_603.032
Erhabensten, das uns von den Griechen überkommen ist, an die Seite pba_603.033
stellt. Es müßte das ganze, unvergleichlich reiche Lied citiert werden, pba_603.034
um zu zeigen, wie hier die beiden Affekte unablässig sich ablösen, um pba_603.035
sich gegenseitig zu vertiefen und zu klären, gleichsam in wechselseitigem pba_603.036
Gegenstreben nach dem gemeinsamen Gleichgewicht suchend. Über dem pba_603.037
Schmerz um den Toten, über dem Jammer mit den Überlebenden, pba_603.038
über dem schmerzlichen Gefühl der menschlichen Gebrechlichkeit -- "Was pba_603.039
sind Hoffnungen, was sind Entwürfe, die der Mensch, der flüchtige pba_603.040
Sohn der Stunde, aufbaut auf dem betrüglichen Grunde?" -- erhebt pba_603.041
sich der Schauer der Verehrung vor der Majestät der ewigen göttlichen

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Die meines Hauses Schicksal dunkel spinnt.

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Hier setzt nun voll und voller die lang vorbereitete Mitleid-Empfindung pba_603.011
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edle Mutter und ihre hochherzigen Kinder sich zusammenziehen. pba_603.013
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— denn diese Furcht für die handelnden Personen ist nur eine Art pba_603.017
des Mitleids —:

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Wann endlich wird der alte Fluch sich lösen, pba_603.019
Der über diesem Hause lastend ruht? pba_603.020
Mit meiner Hoffnung spielt ein tückisch Wesen, pba_603.021
Und nimmer stillt sich seines Neides Wut. pba_603.022
So nahe glaubt' ich mich dem sichern Hafen, pba_603.023
So fest vertraut' ich auf des Glückes Pfand, pba_603.024
Und alle Stürme glaubt' ich eingeschlafen, pba_603.025
Und freudig winkend sah ich schon das Land pba_603.026
Jm Abendglanz der Sonne sich erhellen: pba_603.027
Da kommt ein Sturm, aus heitrer Luft gesandt, pba_603.028
Und reißt mich wieder in den Kampf der Wellen!

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dann der großartige Chorgesang, der an Tiefe und Macht der gleichmäßig pba_603.031
ihn durchströmenden Furcht- und Mitleids-Darstellung sich dem pba_603.032
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sich gegenseitig zu vertiefen und zu klären, gleichsam in wechselseitigem pba_603.036
Gegenstreben nach dem gemeinsamen Gleichgewicht suchend. Über dem pba_603.037
Schmerz um den Toten, über dem Jammer mit den Überlebenden, pba_603.038
über dem schmerzlichen Gefühl der menschlichen Gebrechlichkeit — „Was pba_603.039
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/621>, abgerufen am 23.11.2024.