pba_527.001 Anleitung zum Guten und Edlen, zur Zucht und Übung der Gemütskräfte pba_527.002 ein hochbedeutsames Mittel sein; endlich kann sie im Dienste pba_527.003 anderer Mächte, nicht nur des religiösen Kultus, sondern auch des pba_527.004 politischen und geselligen Lebens, für unmittelbare praktische Zwecke pba_527.005 nutzbar gemacht werden: ihre höchste Würde wird sie immer nur da pba_527.006 behaupten, wo sie auf rein ästhetische Wirkung und auf nichts anderes pba_527.007 gerichtet ist als auf diese. Eine solche ungemischt ästhetische Wirkung pba_527.008 wäre die Sollicitation zum Zwecke der Entladung aber keineswegs. pba_527.009 Das Mittel der Wirkung wäre zwar dabei ein lediglich ästhetisches, der pba_527.010 Zweck aber wäre gerade die Negation ästhetischer Bethätigung zu pba_527.011 Gunsten von Ansprüchen, die ganz außerhalb aller Beziehungen pba_527.012 der Kunst im wirklichen Leben liegen. Wird dies aber geleugnet pba_527.013 und statt dessen als der Endzweck jenes Gefühl "freudiger Erleichterung" pba_527.014 gesetzt, das bei Bernays eine so große Rolle spielt, so gelangt pba_527.015 man zu einem Widerspruch, bei dem sich die Anhänger seiner pba_527.016 Theorie unmöglich beruhigen können: die Freude, die das Endziel der pba_527.017 Tragödie bildet, soll in der Entladung von denselben Affekten ihren pba_527.018 Grund haben, deren möglichst starke Sollicitation während ihrer pba_527.019 Dauer den eigentlichen Genuß des tragischen Kunstwerkspba_527.020 verschafft.
pba_527.021 Der Begriff der aristotelischen Katharsis setzt die höchste Würde pba_527.022 der rein ästhetisch wirkenden Kunst in die Herstellung der durch sie erregten pba_527.023 Affekte zur höchsten Reinheit, so daß die Frucht des Kunstwerks pba_527.024 für die Seele die Freude an der möglichst vollkommenen Ausübung pba_527.025 eines der höchsten Vermögen ist, dessen sie durch ihre Organisation teilhaftig pba_527.026 gemacht wurde.
pba_527.027 Mit seiner Forderung der Reinigung des Mitleids durch die Furcht pba_527.028 und dieser durch jenes war Lessing also im Recht.
pba_527.029 5. Jn den neuplatonischen Zeugnissen steht das Gegenteil von dem, pba_527.030 was Bernays zur Bestätigung seiner Theorie darin zu finden meinte.
pba_527.031 a) Obwohl bei Jamblichus der schiefe Gedanke obwaltet, die phallischen pba_527.032 Ceremonien dadurch in Schutz zu nehmen, daß er sie hinsichtlich pba_527.033 ihrer ableitenden Wirkung mit dem Erfolg der tragischen und komischenpba_527.034 (!) Katharsis vergleicht, so schlägt dennoch die Begründung, die pba_527.035 er dafür vorausschickt, gegen Bernays, sogar, wenn man seiner pba_527.036 eigenen Übersetzung folgt: die gänzlich zurückgehaltenen Affekte werden pba_527.037 um so heftiger; "lockt man sie dagegen zu kurzer Äußerung in richtigem pba_527.038 Maße hervor (akhri tou summetrou proagomenai, das lautet genauer: pba_527.039 ,bis zu der Höhe des Gleichmaßes hervorgerufen'), pba_527.040 so wird ihnen eine maßhaltende Freude (khairousi metrios, genauer:
pba_527.001 Anleitung zum Guten und Edlen, zur Zucht und Übung der Gemütskräfte pba_527.002 ein hochbedeutsames Mittel sein; endlich kann sie im Dienste pba_527.003 anderer Mächte, nicht nur des religiösen Kultus, sondern auch des pba_527.004 politischen und geselligen Lebens, für unmittelbare praktische Zwecke pba_527.005 nutzbar gemacht werden: ihre höchste Würde wird sie immer nur da pba_527.006 behaupten, wo sie auf rein ästhetische Wirkung und auf nichts anderes pba_527.007 gerichtet ist als auf diese. Eine solche ungemischt ästhetische Wirkung pba_527.008 wäre die Sollicitation zum Zwecke der Entladung aber keineswegs. pba_527.009 Das Mittel der Wirkung wäre zwar dabei ein lediglich ästhetisches, der pba_527.010 Zweck aber wäre gerade die Negation ästhetischer Bethätigung zu pba_527.011 Gunsten von Ansprüchen, die ganz außerhalb aller Beziehungen pba_527.012 der Kunst im wirklichen Leben liegen. Wird dies aber geleugnet pba_527.013 und statt dessen als der Endzweck jenes Gefühl „freudiger Erleichterung“ pba_527.014 gesetzt, das bei Bernays eine so große Rolle spielt, so gelangt pba_527.015 man zu einem Widerspruch, bei dem sich die Anhänger seiner pba_527.016 Theorie unmöglich beruhigen können: die Freude, die das Endziel der pba_527.017 Tragödie bildet, soll in der Entladung von denselben Affekten ihren pba_527.018 Grund haben, deren möglichst starke Sollicitation während ihrer pba_527.019 Dauer den eigentlichen Genuß des tragischen Kunstwerkspba_527.020 verschafft.
pba_527.021 Der Begriff der aristotelischen Katharsis setzt die höchste Würde pba_527.022 der rein ästhetisch wirkenden Kunst in die Herstellung der durch sie erregten pba_527.023 Affekte zur höchsten Reinheit, so daß die Frucht des Kunstwerks pba_527.024 für die Seele die Freude an der möglichst vollkommenen Ausübung pba_527.025 eines der höchsten Vermögen ist, dessen sie durch ihre Organisation teilhaftig pba_527.026 gemacht wurde.
pba_527.027 Mit seiner Forderung der Reinigung des Mitleids durch die Furcht pba_527.028 und dieser durch jenes war Lessing also im Recht.
pba_527.029 5. Jn den neuplatonischen Zeugnissen steht das Gegenteil von dem, pba_527.030 was Bernays zur Bestätigung seiner Theorie darin zu finden meinte.
pba_527.031 a) Obwohl bei Jamblichus der schiefe Gedanke obwaltet, die phallischen pba_527.032 Ceremonien dadurch in Schutz zu nehmen, daß er sie hinsichtlich pba_527.033 ihrer ableitenden Wirkung mit dem Erfolg der tragischen und komischenpba_527.034 (!) Katharsis vergleicht, so schlägt dennoch die Begründung, die pba_527.035 er dafür vorausschickt, gegen Bernays, sogar, wenn man seiner pba_527.036 eigenen Übersetzung folgt: die gänzlich zurückgehaltenen Affekte werden pba_527.037 um so heftiger; „lockt man sie dagegen zu kurzer Äußerung in richtigem pba_527.038 Maße hervor (ἄχρι τοῦ συμμέτρου προαγόμεναι, das lautet genauer: pba_527.039 ‚bis zu der Höhe des Gleichmaßes hervorgerufen‘), pba_527.040 so wird ihnen eine maßhaltende Freude (χαίρουσι μετρίως, genauer:
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Anleitung zum Guten und Edlen, zur Zucht und Übung der Gemütskräfte pba_527.002
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wäre die Sollicitation zum Zwecke der Entladung aber keineswegs. pba_527.009
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Zweck aber wäre gerade die Negation ästhetischer Bethätigung zu pba_527.011
Gunsten von Ansprüchen, die ganz außerhalb aller Beziehungen pba_527.012
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Der Begriff der aristotelischen Katharsis setzt die höchste Würde pba_527.022
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pba_527.029
5. Jn den neuplatonischen Zeugnissen steht das Gegenteil von dem, pba_527.030
was Bernays zur Bestätigung seiner Theorie darin zu finden meinte.
pba_527.031
a) Obwohl bei Jamblichus der schiefe Gedanke obwaltet, die phallischen pba_527.032
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so wird ihnen eine maßhaltende Freude (χαίρουσι μετρίως, genauer:
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/545>, abgerufen am 22.11.2024.
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