pba_515.001 mung mit derselben auch noch bei dem jungen Lessing gefunden werden; pba_515.002 und so mußte es der Lessing der Dramaturgie sich gefallen lassen, sein pba_515.003 eigenes jugendliches Jch von Bernays wider sich ins Feld geführt zu pba_515.004 sehen. Jn dem Aufsatz "Ergänzung zu Aristoteles' Poetik" (Rhein. pba_515.005 Museum. N. F. VIII. S. 567) citiert Bernays eine Stelle aus dem pba_515.006 Brief Lessings vom 2. Februar 1757 an Mendelssohn: "Darin sind pba_515.007 wir doch wohl einig, lieber Freund, daß alle Leidenschaften entweder pba_515.008 heftige Begierden oder heftige Verabscheuungen sind? Auch darin, daß pba_515.009 wir uns bei jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung eines größeren pba_515.010 Grads unserer Realität bewußt sind und daß dieses Bewußtsein nicht pba_515.011 anders als angenehm sein kann? Folglich sind alle Leidenschaften, auch pba_515.012 die allerunangenehmsten, als Leidenschaften angenehm. Jhnen darf ich pba_515.013 es aber nicht erst sagen: daß die Lust, die mit der stärkeren Bestimmung pba_515.014 unserer Kraft verbunden ist, von der Unlust, die wir über die Gegenstände pba_515.015 haben, worauf die Bestimmung unserer Kraft geht, so unendlich pba_515.016 kann überwogen werden, daß wir uns ihrer gar nicht mehr bewußt pba_515.017 sind;" und ebenso, wie dort weiter ausgeführt ist, kann die durch den pba_515.018 Gegenstand erregte Unlust von der Lust, die in der stärkeren Bestimmung pba_515.019 der Kraft liegt, zu einem Minimum herabgedrückt werden. -- "Hätte pba_515.020 Lessing," fährt Bernays fort, "zehn Jahre später, als er die Dramaturgie pba_515.021 schrieb, diesen Gedankengang eingeschlagen, so wäre er zu einer pba_515.022 ganz anderen und viel richtigeren, nicht zu seiner moralischen, sondern pba_515.023 zu einer psychologischen Auffassung der aristotelischen Katharsis geführt pba_515.024 worden. Es ist dies nicht das einzige Mal, daß Lessing in seinen früheren pba_515.025 Briefen seine späteren Schriften übertrifft." Jn diesen Sätzen, pba_515.026 hat man gemeint, sei Lessing dem Kernpunkt der aristotelischen Theorie pba_515.027 am nächsten gekommen: daß nämlich die tragische Lust auf der bloßen pba_515.028 starken Sollicitation der tragischen Affekte beruhe, denn das anhaftende pba_515.029 Unangenehme derseben falle durch das Bewußtsein von der "Unwirklichkeit" pba_515.030 ihrer Gegenstände fort.1 Aber es ist ein handgreiflicher Jrrtum, pba_515.031 wenn behauptet wird, Lessing habe hier die Gedanken des Abbe Dubos,pba_515.032 denn um dessen Theorie handelt es sich, "schlechterdings angenommen"; pba_515.033 gerade dieses verweist er in dem Briefe vom 2. April 1757 seinem pba_515.034 Freunde Nicolai und verlangt, "daß sie, wenn sie nicht leeres Gewäsch pba_515.035 sein sollen, ein wenig philosophischer ausgedrückt werden müßten". pba_515.036 Allerdings hatte Nicolai sich den "Gedanken des Dubos schlechterdings pba_515.037 angeschlossen", wenn er (Brief vom 31. August 1756) "das Trauerspiel
1pba_515.038 So auch Döring, "Kunstlehre des Aristoteles", 1876, S. 341. "Hier kommt pba_515.039 Lessing, ohne es zu ahnen, der aristotelischen ek phobou kai eleou edone nahe."
pba_515.001 mung mit derselben auch noch bei dem jungen Lessing gefunden werden; pba_515.002 und so mußte es der Lessing der Dramaturgie sich gefallen lassen, sein pba_515.003 eigenes jugendliches Jch von Bernays wider sich ins Feld geführt zu pba_515.004 sehen. Jn dem Aufsatz „Ergänzung zu Aristoteles' Poetik“ (Rhein. pba_515.005 Museum. N. F. VIII. S. 567) citiert Bernays eine Stelle aus dem pba_515.006 Brief Lessings vom 2. Februar 1757 an Mendelssohn: „Darin sind pba_515.007 wir doch wohl einig, lieber Freund, daß alle Leidenschaften entweder pba_515.008 heftige Begierden oder heftige Verabscheuungen sind? Auch darin, daß pba_515.009 wir uns bei jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung eines größeren pba_515.010 Grads unserer Realität bewußt sind und daß dieses Bewußtsein nicht pba_515.011 anders als angenehm sein kann? Folglich sind alle Leidenschaften, auch pba_515.012 die allerunangenehmsten, als Leidenschaften angenehm. Jhnen darf ich pba_515.013 es aber nicht erst sagen: daß die Lust, die mit der stärkeren Bestimmung pba_515.014 unserer Kraft verbunden ist, von der Unlust, die wir über die Gegenstände pba_515.015 haben, worauf die Bestimmung unserer Kraft geht, so unendlich pba_515.016 kann überwogen werden, daß wir uns ihrer gar nicht mehr bewußt pba_515.017 sind;“ und ebenso, wie dort weiter ausgeführt ist, kann die durch den pba_515.018 Gegenstand erregte Unlust von der Lust, die in der stärkeren Bestimmung pba_515.019 der Kraft liegt, zu einem Minimum herabgedrückt werden. — „Hätte pba_515.020 Lessing,“ fährt Bernays fort, „zehn Jahre später, als er die Dramaturgie pba_515.021 schrieb, diesen Gedankengang eingeschlagen, so wäre er zu einer pba_515.022 ganz anderen und viel richtigeren, nicht zu seiner moralischen, sondern pba_515.023 zu einer psychologischen Auffassung der aristotelischen Katharsis geführt pba_515.024 worden. Es ist dies nicht das einzige Mal, daß Lessing in seinen früheren pba_515.025 Briefen seine späteren Schriften übertrifft.“ Jn diesen Sätzen, pba_515.026 hat man gemeint, sei Lessing dem Kernpunkt der aristotelischen Theorie pba_515.027 am nächsten gekommen: daß nämlich die tragische Lust auf der bloßen pba_515.028 starken Sollicitation der tragischen Affekte beruhe, denn das anhaftende pba_515.029 Unangenehme derseben falle durch das Bewußtsein von der „Unwirklichkeit“ pba_515.030 ihrer Gegenstände fort.1 Aber es ist ein handgreiflicher Jrrtum, pba_515.031 wenn behauptet wird, Lessing habe hier die Gedanken des Abbé Dubos,pba_515.032 denn um dessen Theorie handelt es sich, „schlechterdings angenommen“; pba_515.033 gerade dieses verweist er in dem Briefe vom 2. April 1757 seinem pba_515.034 Freunde Nicolai und verlangt, „daß sie, wenn sie nicht leeres Gewäsch pba_515.035 sein sollen, ein wenig philosophischer ausgedrückt werden müßten“. pba_515.036 Allerdings hatte Nicolai sich den „Gedanken des Dubos schlechterdings pba_515.037 angeschlossen“, wenn er (Brief vom 31. August 1756) „das Trauerspiel
1pba_515.038 So auch Döring, „Kunstlehre des Aristoteles“, 1876, S. 341. „Hier kommt pba_515.039 Lessing, ohne es zu ahnen, der aristotelischen ἐκ φόβου καὶ ἐλέου ἡδονή nahe.“
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So auch Döring, „Kunstlehre des Aristoteles“, 1876, S. 341. „Hier kommt pba_515.039
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/533>, abgerufen am 23.11.2024.
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