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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Selbst für die Zeiten, in denen der Glaube an sie längst geschwunden, pba_474.002
behalten sie noch diese durch nichts zu ersetzende Kraft, eben weil sie pba_474.003
Symbole sind, d. h. Kennzeichen für Jdeen, die der realen Erscheinungswelt pba_474.004
entnommen sind.
Eben weil solche Symbole aber pba_474.005
nicht das Wesen der Dinge selbst enthalten, sondern nur die Ähnlichkeit pba_474.006
im großen
mit denselben festhalten, vertragen sie nicht die pba_474.007
volle Beleuchtung der dramatischen Pragmatik, sondern verlangen ein pba_474.008
gewisses Dunkel der Behandlung. So ist Sophokles hier verfahren, und pba_474.009
so hat jeder große Dichter nach ihm sich Dingen derart gegenüber verhalten.

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Daher gelingt es auch den Modernen, mögen sie selbst von griechischer pba_474.012
Religion nicht die geringste gelehrte Kenntnis haben, sich völlig mit pba_474.013
der Gesinnung zu durchdringen, die der Dichter das ganze Stück hindurch pba_474.014
vom Chor und allen beteiligten Personen feierlichst bestätigen läßt, daß pba_474.015
hier ein Geschick sich entrollt, das trotz seiner grausigen Abnormität pba_474.016
göttlich gewollt, gesetzlich geordnet und daher gläubig hinzunehmen und pba_474.017
zu verehren ist.

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Erst im "Öedipus auf Kolonos", in welchem die rückwärts pba_474.019
gewandte Betrachtung eine so überwiegende Rolle spielt, läßt der Dichter pba_474.020
Wendungen einfließen, die eine pragmatische Beurteilung der Voraussetzungen pba_474.021
des Ganzen anbahnen. So, wenn Ödipus auf die Vorwürfe pba_474.022
des Kreon erwidert (v. 964 ff.):

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theois gar en outo philon, pba_474.024
takh' an ti meniousin eis genos palai. pba_474.025
epei kath' auton g' ouk \an exeurois emoi pba_474.026
omartias oneidos ouden, anth' otou pba_474.027
tad' eis emauton tous emous th' emartanon pba_474.028
epei didaxon, ei ti thesphaton patri pba_474.029
khresmoisin ikneith', oste pros paidon thanein, pba_474.030
pos \an dikaios tout' oneidizois emoi; pba_474.031
os oute blastas po genethlious patros, pba_474.032
ou metros eikhon, all' agennetos tot' en.
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"So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034
Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht. pba_474.035
Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036
Ein schimpfliches Vergehen aus,1 mit dem ich so pba_474.037
An mir und meinem Stamme mich versündigte.
1 pba_474.038
Donner übersetzt amartias oneidos mit "den Flecken eines Frevels" pba_474.039
doppelt verfehlt: amartia = "Jrrtum, Verfehlung" wird Ödipus nicht abweisen, pba_474.040
wohl aber oneidos = "Schmach, Schimpf, Schande". Er hat "geirrt", wie pba_474.041
jeder Mensch, aber "nicht schimpflich geirrt".

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Selbst für die Zeiten, in denen der Glaube an sie längst geschwunden, pba_474.002
behalten sie noch diese durch nichts zu ersetzende Kraft, eben weil sie pba_474.003
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so hat jeder große Dichter nach ihm sich Dingen derart gegenüber verhalten.

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Daher gelingt es auch den Modernen, mögen sie selbst von griechischer pba_474.012
Religion nicht die geringste gelehrte Kenntnis haben, sich völlig mit pba_474.013
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göttlich gewollt, gesetzlich geordnet und daher gläubig hinzunehmen und pba_474.017
zu verehren ist.

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Erst im „Öedipus auf Kolonos“, in welchem die rückwärts pba_474.019
gewandte Betrachtung eine so überwiegende Rolle spielt, läßt der Dichter pba_474.020
Wendungen einfließen, die eine pragmatische Beurteilung der Voraussetzungen pba_474.021
des Ganzen anbahnen. So, wenn Ödipus auf die Vorwürfe pba_474.022
des Kreon erwidert (v. 964 ff.):

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θεοῖς γὰρ ἦν οὕτω φίλον, pba_474.024
τάχ' ἄν τι μηνίουσιν εἰς γένος πάλαι. pba_474.025
ἐπεὶ καθ' αὑτόν γ' οὐκ \̓αν ἐξεύροις ἐμοὶ pba_474.026
ὁμαρτίας ὄνειδος οὐδὲν, ἀνθ' ὅτου pba_474.027
τάδ' εἰς ἐμαυτὸν τοὺς ἐμούς θ' ἡμάρτανον pba_474.028
ἐπεὶ δίδαξον, εἴ τι θέσφατον πατρὶ pba_474.029
χρησμοῖσιν ἱκνεῖθ', ὥστε πρὸς παίδων θανεῖν, pba_474.030
πῶς \̓αν δικαίως τοῦτ' ὀνειδίζοις ἐμοί; pba_474.031
ὅς οὔτε βλάστας πω γενεθλίους πατρὸς, pba_474.032
οὐ μητρὸς εἶχον, ἀλλ' ἀγέννητος τότ' ἦν.
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So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034
Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht. pba_474.035
Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036
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[474/0492] pba_474.001 Selbst für die Zeiten, in denen der Glaube an sie längst geschwunden, pba_474.002 behalten sie noch diese durch nichts zu ersetzende Kraft, eben weil sie pba_474.003 Symbole sind, d. h. Kennzeichen für Jdeen, die der realen Erscheinungswelt pba_474.004 entnommen sind. Eben weil solche Symbole aber pba_474.005 nicht das Wesen der Dinge selbst enthalten, sondern nur die Ähnlichkeit pba_474.006 im großen mit denselben festhalten, vertragen sie nicht die pba_474.007 volle Beleuchtung der dramatischen Pragmatik, sondern verlangen ein pba_474.008 gewisses Dunkel der Behandlung. So ist Sophokles hier verfahren, und pba_474.009 so hat jeder große Dichter nach ihm sich Dingen derart gegenüber verhalten. pba_474.010 pba_474.011 Daher gelingt es auch den Modernen, mögen sie selbst von griechischer pba_474.012 Religion nicht die geringste gelehrte Kenntnis haben, sich völlig mit pba_474.013 der Gesinnung zu durchdringen, die der Dichter das ganze Stück hindurch pba_474.014 vom Chor und allen beteiligten Personen feierlichst bestätigen läßt, daß pba_474.015 hier ein Geschick sich entrollt, das trotz seiner grausigen Abnormität pba_474.016 göttlich gewollt, gesetzlich geordnet und daher gläubig hinzunehmen und pba_474.017 zu verehren ist. pba_474.018 Erst im „Öedipus auf Kolonos“, in welchem die rückwärts pba_474.019 gewandte Betrachtung eine so überwiegende Rolle spielt, läßt der Dichter pba_474.020 Wendungen einfließen, die eine pragmatische Beurteilung der Voraussetzungen pba_474.021 des Ganzen anbahnen. So, wenn Ödipus auf die Vorwürfe pba_474.022 des Kreon erwidert (v. 964 ff.): pba_474.023 θεοῖς γὰρ ἦν οὕτω φίλον, pba_474.024 τάχ' ἄν τι μηνίουσιν εἰς γένος πάλαι. pba_474.025 ἐπεὶ καθ' αὑτόν γ' οὐκ \̓αν ἐξεύροις ἐμοὶ pba_474.026 ὁμαρτίας ὄνειδος οὐδὲν, ἀνθ' ὅτου pba_474.027 τάδ' εἰς ἐμαυτὸν τοὺς ἐμούς θ' ἡμάρτανον pba_474.028 ἐπεὶ δίδαξον, εἴ τι θέσφατον πατρὶ pba_474.029 χρησμοῖσιν ἱκνεῖθ', ὥστε πρὸς παίδων θανεῖν, pba_474.030 πῶς \̓αν δικαίως τοῦτ' ὀνειδίζοις ἐμοί; pba_474.031 ὅς οὔτε βλάστας πω γενεθλίους πατρὸς, pba_474.032 οὐ μητρὸς εἶχον, ἀλλ' ἀγέννητος τότ' ἦν. pba_474.033 „So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034 Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht. pba_474.035 Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036 Ein schimpfliches Vergehen aus, 1 mit dem ich so pba_474.037 An mir und meinem Stamme mich versündigte. 1 pba_474.038 Donner übersetzt ἁμαρτίας ὄνειδος mit „den Flecken eines Frevels“ pba_474.039 doppelt verfehlt: ἁμαρτία = „Jrrtum, Verfehlung“ wird Ödipus nicht abweisen, pba_474.040 wohl aber ὄνειδος = „Schmach, Schimpf, Schande“. Er hat „geirrt“, wie pba_474.041 jeder Mensch, aber „nicht schimpflich geirrt“.

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Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/492>, abgerufen am 04.05.2024.