pba_376.001 ders steht Caliban zu Prospero; lediglich um dies Verhältnis zu zeigen pba_376.002 läßt Shakespeare den Prospero ihn herbeirufen; und auf Mirandas pba_376.003 Gegenrede: "er ist ein Bösewicht, den ich nicht anseh'n mag," erwidert pba_376.004 jener: "Doch, wie's nun steht, ist er uns nötig: denn er macht pba_376.005 uns Feuer, holt unser Holz, verrichtet mancherlei, das Nutzen pba_376.006 schafft." Dazu nun Calibans wütender Ausbruch: "Dieses Eiland pba_376.007 ist mein, von meiner Mutter Sycorax, das du mir wegnimmst. Wie pba_376.008 du erstlich kamst, da streicheltest du mich und hielt'st auf mich, gabst pba_376.009 Wasser mir mit Beeren drein, und lehrtest das große Licht mich kennen pba_376.010 und das kleine, die brennen tags und nachts; da liebt' ich dich, und pba_376.011 wies dir jede Eigenschaft der Jnsel: Salzbrunnen, Quellen, fruchtbar pba_376.012 Land und dürres. Fluch, daß ich's that, mir! Alle Zauberei der Sycorax, pba_376.013 Molch, Schröter, Fledermaus befall' euch. Denn ich bin, was pba_376.014 ihr habt an Unterthanen, mein eigner König sonst; und stallt mich hier pba_376.015 in diesen harten Fels, derweil ihr mir den Rest des Eilands wehrt." pba_376.016 Das Folgende hebt diesen Zusammenhang der fiktiven Natur des Aberglaubens pba_376.017 mit dem Material, dessen die Dichtkunst sich bedient, noch pba_376.018 deutlicher hervor, während seine grob gemeine Natur ihn dennoch aus pba_376.019 ihrer Gemeinschaft ausschließt.1 Nur ein frappanter Zug sei noch erwähnt: pba_376.020 Prospero hat den niedern Gesellen aus seiner Zelle verwiesen pba_376.021 und ihn in enges Gefängnis gesperrt, weil "er versucht, die Ehre seines pba_376.022 Kindes zu schänden", der holdseligen "Miranda", die das "Wundergebild" pba_376.023 der Schönheit selbst ist. Dazu nun die keines Kommentars bedürfende pba_376.024 Erwiderung des Unholds: "Ho, ho! Jch wollt', es wär' gescheh'n. pba_376.025 Du kamst mir nur zuvor, ich hätte sonst die Jnsel mit Calibans pba_376.026 bevölkert."
pba_376.027 Wenn Prospero somit den Sklaven nur zu gröberem und mechanischem pba_376.028 Dienst für seine Zwecke heranzieht, so ist andrerseits dieser selbst pba_376.029 -- und, wie er, sind es die mit ihm Verbrüderten -- der vollen, von pba_376.030 ihnen aufs Höchste gefürchteten Wirkung seiner mächtigen Kunst preisgegeben. pba_376.031 Die Dichtung schwelgt geradezu darin, an den verschiedensten pba_376.032 Stellen und in den grellsten Farben die ängstigende, stechende, geißelnde, pba_376.033 krampfig folternde Pein zu schildern, mit der die rächende Kunst die pba_376.034 Äußerungen jener dumpfen Verstocktheit und boshaften Brutalität verfolgt, pba_376.035 mögen sie nun in verderblichen Anschlägen sich gefährlich zeigen
1pba_376.036 Es zeigt durchweg die grenzenlose Macht hoher Bildung und Kunst über die pba_376.037 in tierischer Dumpfheit gebundene Phantasie; wenn auch widerwillig, selbst haßerfüllt, pba_376.038 beugt sich die wüste Roheit ihrem Machtgebot, durch die Furcht vor ihrer drohenden pba_376.039 Strafgewalt bezwungen: "Jch muß gehorchen; seine Kunst bezwänge Wohl meiner pba_376.040 Mutter Gott, den Setebos, Und macht ihn zum Vasallen."
pba_376.001 ders steht Caliban zu Prospero; lediglich um dies Verhältnis zu zeigen pba_376.002 läßt Shakespeare den Prospero ihn herbeirufen; und auf Mirandas pba_376.003 Gegenrede: „er ist ein Bösewicht, den ich nicht anseh'n mag,“ erwidert pba_376.004 jener: „Doch, wie's nun steht, ist er uns nötig: denn er macht pba_376.005 uns Feuer, holt unser Holz, verrichtet mancherlei, das Nutzen pba_376.006 schafft.“ Dazu nun Calibans wütender Ausbruch: „Dieses Eiland pba_376.007 ist mein, von meiner Mutter Sycorax, das du mir wegnimmst. Wie pba_376.008 du erstlich kamst, da streicheltest du mich und hielt'st auf mich, gabst pba_376.009 Wasser mir mit Beeren drein, und lehrtest das große Licht mich kennen pba_376.010 und das kleine, die brennen tags und nachts; da liebt' ich dich, und pba_376.011 wies dir jede Eigenschaft der Jnsel: Salzbrunnen, Quellen, fruchtbar pba_376.012 Land und dürres. Fluch, daß ich's that, mir! Alle Zauberei der Sycorax, pba_376.013 Molch, Schröter, Fledermaus befall' euch. Denn ich bin, was pba_376.014 ihr habt an Unterthanen, mein eigner König sonst; und stallt mich hier pba_376.015 in diesen harten Fels, derweil ihr mir den Rest des Eilands wehrt.“ pba_376.016 Das Folgende hebt diesen Zusammenhang der fiktiven Natur des Aberglaubens pba_376.017 mit dem Material, dessen die Dichtkunst sich bedient, noch pba_376.018 deutlicher hervor, während seine grob gemeine Natur ihn dennoch aus pba_376.019 ihrer Gemeinschaft ausschließt.1 Nur ein frappanter Zug sei noch erwähnt: pba_376.020 Prospero hat den niedern Gesellen aus seiner Zelle verwiesen pba_376.021 und ihn in enges Gefängnis gesperrt, weil „er versucht, die Ehre seines pba_376.022 Kindes zu schänden“, der holdseligen „Miranda“, die das „Wundergebild“ pba_376.023 der Schönheit selbst ist. Dazu nun die keines Kommentars bedürfende pba_376.024 Erwiderung des Unholds: „Ho, ho! Jch wollt', es wär' gescheh'n. pba_376.025 Du kamst mir nur zuvor, ich hätte sonst die Jnsel mit Calibans pba_376.026 bevölkert.“
pba_376.027 Wenn Prospero somit den Sklaven nur zu gröberem und mechanischem pba_376.028 Dienst für seine Zwecke heranzieht, so ist andrerseits dieser selbst pba_376.029 — und, wie er, sind es die mit ihm Verbrüderten — der vollen, von pba_376.030 ihnen aufs Höchste gefürchteten Wirkung seiner mächtigen Kunst preisgegeben. pba_376.031 Die Dichtung schwelgt geradezu darin, an den verschiedensten pba_376.032 Stellen und in den grellsten Farben die ängstigende, stechende, geißelnde, pba_376.033 krampfig folternde Pein zu schildern, mit der die rächende Kunst die pba_376.034 Äußerungen jener dumpfen Verstocktheit und boshaften Brutalität verfolgt, pba_376.035 mögen sie nun in verderblichen Anschlägen sich gefährlich zeigen
1pba_376.036 Es zeigt durchweg die grenzenlose Macht hoher Bildung und Kunst über die pba_376.037 in tierischer Dumpfheit gebundene Phantasie; wenn auch widerwillig, selbst haßerfüllt, pba_376.038 beugt sich die wüste Roheit ihrem Machtgebot, durch die Furcht vor ihrer drohenden pba_376.039 Strafgewalt bezwungen: „Jch muß gehorchen; seine Kunst bezwänge Wohl meiner pba_376.040 Mutter Gott, den Setebos, Und macht ihn zum Vasallen.“
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/394>, abgerufen am 28.11.2024.
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