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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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dramatischen Kunst und zeigt uns das Wesen der dort thätigen Kräfte pba_375.002
bei ihrer Arbeit und in ihren Wirkungen.

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Es greift also jener Sinn der echten Phronesis, um seine Geltung pba_375.004
im Leben zurückzugewinnen, sich kund zu thun, zu dem Mittel, durch pba_375.005
Kunst die Geister nach seinem Willen zu zwingen, die dunkeln und pba_375.006
wunderbaren Kräfte der Phantasie sich unterthan zu machen. Noch ist pba_375.007
dies Gebiet wüst, unangebaut; was findet er dort vor? Jene Kräfte, pba_375.008
welche die Kunst zu heilsamster Übung erzieht, sind auch zuvor in starker pba_375.009
Thätigkeit; aber sich selbst überlassen, sind sie verwildert und wirken pba_375.010
höchst unheilvoll. Die Hexe Sycorax, die Mond und Flut bezwingt, pba_375.011
ist das Bild des wüsten, dunkeln Wahnes, der in der langen Nacht pba_375.012
des Mittelalters dem "gift'gen Moor" der Unwissenheit und Trägheit, pba_375.013
der rohen Sinnlichkeit und feigen Angst entstieg; Bosheit und Sünde pba_375.014
gesellen sich ihr zu: mit jener Hexe erzeugt der Teufel das groteske pba_375.015
Gebilde des sklavisch niedrigen Aberglaubens. Häßlich, abschreckend pba_375.016
von Gestalt, tierisch und gefährlich in seinen Äußerungen, pba_375.017
von Angst erfüllt und Angst denen erregend, denen er überlegen ist, pba_375.018
den seiner Macht Entzogenen ein Gegenstand der Verachtung und des pba_375.019
Hohnes, ist Caliban das unübertrefflich erfundene Symbol dieser pba_375.020
kranken Ausgeburt verwilderter Phantasie: ein "gift'ger Sklav" dem pba_375.021
weisen Prospero, ein "Mondkalb" und "Monstrum" dem trunkenen pba_375.022
Stephano, dem schwachköpfigen Trinculo ein Schreckensgebild und eine pba_375.023
"marktbare Kuriosität" den weltmännischen Kavalieren des Hofes.

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Dieser rohe Aberglaube hat so lange die Gemüter beherrscht und pba_375.025
jede freiere Regung daraus verbannt; in der überlegenen Weisheit und pba_375.026
klaren Einsicht, die einer heiteren, bewußt sich selbst gestaltenden Thätigkeit pba_375.027
der Einbildungskräfte freies und segensreiches Walten eröffnet, pba_375.028
sieht er die gehaßte und gefürchtete Usurpation, die ihn unterjocht, aus pba_375.029
seinem Besitze verdrängt. Jhn unterjocht, nicht aber ihn vernichtet, der pba_375.030
nicht zu vernichten ist! Mit höchst bewundernswerter Feinheit hat pba_375.031
Shakespeare dieses Verhältnis bis ins Kleinste ausgestaltet. Die vielhundertjährige pba_375.032
Herrschaft des Aberglaubens hat ihm eine Macht über pba_375.033
die Gemüter verliehen, die der Dichter keineswegs gesonnen ist zu entbehren; pba_375.034
ja er verdankt, wie Prospero dem Caliban, seinem Studium pba_375.035
mancherlei willkommene Kunde. Er lehrte ihn gewissermaßen sprechen pba_375.036
und erfuhr von ihm manches fruchtbare Geheimnis, wie die Gemüter pba_375.037
zu fassen, zu erschüttern, zu bändigen sind. So nimmt er ihn denn pba_375.038
auch in seine Dienste, aber in die engsten Grenzen schließt er ihn ein, pba_375.039
und gebraucht ihn nur zu streng bemessener, mechanischer Verrichtung, pba_375.040
die durch seinen höheren Zweck erst die Bedeutung erhält. Nicht an-

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dramatischen Kunst und zeigt uns das Wesen der dort thätigen Kräfte pba_375.002
bei ihrer Arbeit und in ihren Wirkungen.

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Es greift also jener Sinn der echten Phronesis, um seine Geltung pba_375.004
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Kunst die Geister nach seinem Willen zu zwingen, die dunkeln und pba_375.006
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kranken Ausgeburt verwilderter Phantasie: ein „gift'ger Sklav“ dem pba_375.021
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Stephano, dem schwachköpfigen Trinculo ein Schreckensgebild und eine pba_375.023
„marktbare Kuriosität“ den weltmännischen Kavalieren des Hofes.

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Dieser rohe Aberglaube hat so lange die Gemüter beherrscht und pba_375.025
jede freiere Regung daraus verbannt; in der überlegenen Weisheit und pba_375.026
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Shakespeare dieses Verhältnis bis ins Kleinste ausgestaltet. Die vielhundertjährige pba_375.032
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/393>, abgerufen am 24.11.2024.