pba_377.001 oder in unschädlich platter Gemeinheit sich verächtlich und lächerlich darstellen. pba_377.002 Denn natürlich ist das in Caliban verkörperte schlimme Princip pba_377.003 an zielbewußter, höchst gefährlicher Konsequenz dem Pöbel, um dessen pba_377.004 Gunst es buhlt, den es sich dienstbar macht, da es seiner rohen Kraft pba_377.005 bedarf, und den es doch beherrscht, bei weitem überlegen; ein paar pba_377.006 bunter "Lumpen", ihm zur Lockspeise aufgehängt, genügen, um dessen pba_377.007 plumpe Gier abzuleiten und ernstes Unheil zu verhüten.
pba_377.008 Dagegen nun in Ariel die reizende Verkörperung jener gefälligen pba_377.009 Formen, worin einst die griechische Phantasie, in deren Gestalten er pba_377.010 nicht müde wird, sich immer aufs Neue zu kleiden, und dann die ihr pba_377.011 verwandte, anmutig dichtende Kraft im modernen Volksglauben die pba_377.012 ganze Fülle der Naturprozesse und seelischen Vorgänge als von geistigen pba_377.013 und zugleich zu persönlichen Wesenheiten verdichtete Energien geleitet pba_377.014 vorstellte: dieser ganze Jnbegriff hier als eine einzige, unendlicher pba_377.015 Verwandlungen fähige Person gedacht! Es ist gleichsam der Urstoff pba_377.016 der Poesie selbst, der durch die Elemente verbreitet ist, unendlich zart pba_377.017 und doch von gewaltigen Kräften, jetzt mit sanfter Musik die Gemüter pba_377.018 gefangen nehmend, dann sie zum Wahnsinn reizend und wieder mit pba_377.019 heiligen Weisen sie beschwichtigend; "mit ihrer Hülfe" vermag, wer diese pba_377.020 Geister beherrscht, den Naturkräften zu gebieten, "am Mittag die Sonne pba_377.021 zu umhüllen, die grüne See mit der azurnen Wölbung in Kampf zu pba_377.022 setzen", "Grüfte zu sprengen und Todte zu erwecken."
pba_377.023 Die Symbolik des Stückes löst sich nun von selbst auf.
pba_377.024 Es ist leicht verständlich, was Shakespeare im Sinne hat, wenn pba_377.025 er auch Ariel als einen abhängigen Diener der Hexe Sycorax anführt, pba_377.026 den anmutigen und ganz der Wahrheit des Natur- und Seelenlebens pba_377.027 vertrauten Wahnglauben der Poesie. Die leicht gaukelnde Phantasiethätigkeit, pba_377.028 deren Lebensatem die Freiheit ist, wird zur Entfaltung pba_377.029 der ihr innewohnenden grenzenlosen Macht allein fähig durch die strenge pba_377.030 und planvolle Leitung der Weisheit. Ohne ihre ebenso liebevolle als pba_377.031 unbeugsame Herrschaft liegt die poetische Phantasie in unlösbarem Banne, pba_377.032 unterjocht von den finstern und verderblichen Fiktionen des dumpfen pba_377.033 Aberglaubens. "Ein allzu zarter Geist" ist Ariel von der schnöden pba_377.034 Hexe "in ihrer höchsten, unbezähmbaren Wut" in das engste Gewahrsam pba_377.035 verschlossen, wo er für ewig gebannt geblieben wäre, wenn ihn nicht pba_377.036 Prospero's aus "seinen geliebten Büchern" geschöpfte tiefe Kunde erlöst pba_377.037 und zu neuem Leben erweckt hätte: ein herrliches Bild für die pba_377.038 Zaubergewalt, mit der aus langem Schlafe die Wunder der Poesie pba_377.039 gleichsam wie auf einen Schlag zum höchsten, reichsten Leben erweckt pba_377.040 wurden, zu Shakespeares dramatischer Welt!
pba_377.001 oder in unschädlich platter Gemeinheit sich verächtlich und lächerlich darstellen. pba_377.002 Denn natürlich ist das in Caliban verkörperte schlimme Princip pba_377.003 an zielbewußter, höchst gefährlicher Konsequenz dem Pöbel, um dessen pba_377.004 Gunst es buhlt, den es sich dienstbar macht, da es seiner rohen Kraft pba_377.005 bedarf, und den es doch beherrscht, bei weitem überlegen; ein paar pba_377.006 bunter „Lumpen“, ihm zur Lockspeise aufgehängt, genügen, um dessen pba_377.007 plumpe Gier abzuleiten und ernstes Unheil zu verhüten.
pba_377.008 Dagegen nun in Ariel die reizende Verkörperung jener gefälligen pba_377.009 Formen, worin einst die griechische Phantasie, in deren Gestalten er pba_377.010 nicht müde wird, sich immer aufs Neue zu kleiden, und dann die ihr pba_377.011 verwandte, anmutig dichtende Kraft im modernen Volksglauben die pba_377.012 ganze Fülle der Naturprozesse und seelischen Vorgänge als von geistigen pba_377.013 und zugleich zu persönlichen Wesenheiten verdichtete Energien geleitet pba_377.014 vorstellte: dieser ganze Jnbegriff hier als eine einzige, unendlicher pba_377.015 Verwandlungen fähige Person gedacht! Es ist gleichsam der Urstoff pba_377.016 der Poesie selbst, der durch die Elemente verbreitet ist, unendlich zart pba_377.017 und doch von gewaltigen Kräften, jetzt mit sanfter Musik die Gemüter pba_377.018 gefangen nehmend, dann sie zum Wahnsinn reizend und wieder mit pba_377.019 heiligen Weisen sie beschwichtigend; „mit ihrer Hülfe“ vermag, wer diese pba_377.020 Geister beherrscht, den Naturkräften zu gebieten, „am Mittag die Sonne pba_377.021 zu umhüllen, die grüne See mit der azurnen Wölbung in Kampf zu pba_377.022 setzen“, „Grüfte zu sprengen und Todte zu erwecken.“
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pba_377.024 Es ist leicht verständlich, was Shakespeare im Sinne hat, wenn pba_377.025 er auch Ariel als einen abhängigen Diener der Hexe Sycorax anführt, pba_377.026 den anmutigen und ganz der Wahrheit des Natur- und Seelenlebens pba_377.027 vertrauten Wahnglauben der Poesie. Die leicht gaukelnde Phantasiethätigkeit, pba_377.028 deren Lebensatem die Freiheit ist, wird zur Entfaltung pba_377.029 der ihr innewohnenden grenzenlosen Macht allein fähig durch die strenge pba_377.030 und planvolle Leitung der Weisheit. Ohne ihre ebenso liebevolle als pba_377.031 unbeugsame Herrschaft liegt die poetische Phantasie in unlösbarem Banne, pba_377.032 unterjocht von den finstern und verderblichen Fiktionen des dumpfen pba_377.033 Aberglaubens. „Ein allzu zarter Geist“ ist Ariel von der schnöden pba_377.034 Hexe „in ihrer höchsten, unbezähmbaren Wut“ in das engste Gewahrsam pba_377.035 verschlossen, wo er für ewig gebannt geblieben wäre, wenn ihn nicht pba_377.036 Prospero's aus „seinen geliebten Büchern“ geschöpfte tiefe Kunde erlöst pba_377.037 und zu neuem Leben erweckt hätte: ein herrliches Bild für die pba_377.038 Zaubergewalt, mit der aus langem Schlafe die Wunder der Poesie pba_377.039 gleichsam wie auf einen Schlag zum höchsten, reichsten Leben erweckt pba_377.040 wurden, zu Shakespeares dramatischer Welt!
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/395>, abgerufen am 24.11.2024.
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