pba_365.001 freier Entschließung das für die Wahrung ihrer Jntegrität scheinbar pba_365.002 unvermeidliche Unglück erwählen, und dasselbe sich durch die Erkennung pba_365.003 ihnen in das freiwillig verloren gegebene Glück verwandelt. Ein Blick pba_365.004 auf die als Beispiele angezogenen Stücke zeigt, wie mannigfacher Variationen pba_365.005 diese eine Form fähig ist. So hat in "Maß für Maß" der pba_365.006 Herzog die ganze Verwickelung fortwährend in seiner Hand, die ganze pba_365.007 Tragik derselben existiert nur scheinbar für die Beteiligten, sie kann das pba_365.008 Gemüt des Zuschauers keinen Augenblick ernstlich belasten, wohl aber pba_365.009 hat sie zur Folge, daß der auf das Präziseste bestimmten Handlungssituation, pba_365.010 die sie erschafft, gegenüber sich fast alle denkbar möglichen pba_365.011 Arten des Verhaltens hinsichtlich der geforderten Wahrheit und Richtigkeitpba_365.012 im Fühlen, Denken, Begehren und Handeln in typischer pba_365.013 Weise auf das Klarste dem Empfindungsurteil darstellen. Die Erkennung pba_365.014 bringt der Heldin das verdiente Glück, den Bedrohten Rettung; pba_365.015 die Peripetie zeigt, wie gerade die härteste Entsagung der Heldin den pba_365.016 sichersten Weg zu diesem Glücke ebnete, während sie auch für Angelopba_365.017 keineswegs eine Wandlung von Glück in Unglück bedeutet, sondern, indem pba_365.018 sie ihm die verdiente tiefe Demütigung zuzieht, durch Abwendung pba_365.019 der verderblichen Folgen seiner Verirrung ihm die Möglichkeit der Umkehr pba_365.020 gewährt; zugleich wird damit dem Zuschauer das volle Gefühl der pba_365.021 befriedigten Nemesis erregt, mit welchem Ausdruck die Griechen die pba_365.022 Empfindung des gerechten Unwillens bezeichnen. Ein unvergleichliches pba_365.023 Muster dieser ganzen Gattung.
pba_365.024 Schon an dem Beispiele von "Maß für Maß" tritt eine fernere pba_365.025 dieser Gattung eigentümliche Eigenschaft hervor, deren genaue Erörterung pba_365.026 wichtig ist, weil aus dem starken Vorwalten derselben, in ähnlichen pba_365.027 Fällen wie der vorliegende, höchst verwirrende Schlüsse für das Wesen pba_365.028 der ganzen dramatischen Dichtung gezogen sind.
pba_365.029 Bei dieser speziellen Gattung hat die Komposition des Stückes pba_365.030 den Zweck, durch Handlungen, in denen die Phronesis und die Abweichungen pba_365.031 von derselben bis in ihr Gegenteil hinein zur Erscheinung pba_365.032 kommen, vermöge ästhetischen Urteils die Empfindungen des Wohlgefallens pba_365.033 und der Nemesis in wechselseitiger Läuterung zur höchsten Klarheit pba_365.034 und Gewißheit herzustellen und so der Seele in freudiger Erhebung pba_365.035 den Genuß vollster Kraftentfaltung nach dieser Seite hin zu verschaffen. pba_365.036 Dazu können nun zwar die verschiedenartigsten bedeutenden Handlungen pba_365.037 den Anlaß geben: es kann sich dabei um Vaterlandsgefühl, um Freiheitsliebe, pba_365.038 um Gatten- und Freundestreue, um jedwedes wichtiges Lebensverhältnis pba_365.039 handeln; überall bedeutet ja doch die Phronesis die den pba_365.040 bleibenden Besitz bildende, das ganze Wesen durchdringende Wahrheit
pba_365.001 freier Entschließung das für die Wahrung ihrer Jntegrität scheinbar pba_365.002 unvermeidliche Unglück erwählen, und dasselbe sich durch die Erkennung pba_365.003 ihnen in das freiwillig verloren gegebene Glück verwandelt. Ein Blick pba_365.004 auf die als Beispiele angezogenen Stücke zeigt, wie mannigfacher Variationen pba_365.005 diese eine Form fähig ist. So hat in „Maß für Maß“ der pba_365.006 Herzog die ganze Verwickelung fortwährend in seiner Hand, die ganze pba_365.007 Tragik derselben existiert nur scheinbar für die Beteiligten, sie kann das pba_365.008 Gemüt des Zuschauers keinen Augenblick ernstlich belasten, wohl aber pba_365.009 hat sie zur Folge, daß der auf das Präziseste bestimmten Handlungssituation, pba_365.010 die sie erschafft, gegenüber sich fast alle denkbar möglichen pba_365.011 Arten des Verhaltens hinsichtlich der geforderten Wahrheit und Richtigkeitpba_365.012 im Fühlen, Denken, Begehren und Handeln in typischer pba_365.013 Weise auf das Klarste dem Empfindungsurteil darstellen. Die Erkennung pba_365.014 bringt der Heldin das verdiente Glück, den Bedrohten Rettung; pba_365.015 die Peripetie zeigt, wie gerade die härteste Entsagung der Heldin den pba_365.016 sichersten Weg zu diesem Glücke ebnete, während sie auch für Angelopba_365.017 keineswegs eine Wandlung von Glück in Unglück bedeutet, sondern, indem pba_365.018 sie ihm die verdiente tiefe Demütigung zuzieht, durch Abwendung pba_365.019 der verderblichen Folgen seiner Verirrung ihm die Möglichkeit der Umkehr pba_365.020 gewährt; zugleich wird damit dem Zuschauer das volle Gefühl der pba_365.021 befriedigten Nemesis erregt, mit welchem Ausdruck die Griechen die pba_365.022 Empfindung des gerechten Unwillens bezeichnen. Ein unvergleichliches pba_365.023 Muster dieser ganzen Gattung.
pba_365.024 Schon an dem Beispiele von „Maß für Maß“ tritt eine fernere pba_365.025 dieser Gattung eigentümliche Eigenschaft hervor, deren genaue Erörterung pba_365.026 wichtig ist, weil aus dem starken Vorwalten derselben, in ähnlichen pba_365.027 Fällen wie der vorliegende, höchst verwirrende Schlüsse für das Wesen pba_365.028 der ganzen dramatischen Dichtung gezogen sind.
pba_365.029 Bei dieser speziellen Gattung hat die Komposition des Stückes pba_365.030 den Zweck, durch Handlungen, in denen die Phronesis und die Abweichungen pba_365.031 von derselben bis in ihr Gegenteil hinein zur Erscheinung pba_365.032 kommen, vermöge ästhetischen Urteils die Empfindungen des Wohlgefallens pba_365.033 und der Nemesis in wechselseitiger Läuterung zur höchsten Klarheit pba_365.034 und Gewißheit herzustellen und so der Seele in freudiger Erhebung pba_365.035 den Genuß vollster Kraftentfaltung nach dieser Seite hin zu verschaffen. pba_365.036 Dazu können nun zwar die verschiedenartigsten bedeutenden Handlungen pba_365.037 den Anlaß geben: es kann sich dabei um Vaterlandsgefühl, um Freiheitsliebe, pba_365.038 um Gatten- und Freundestreue, um jedwedes wichtiges Lebensverhältnis pba_365.039 handeln; überall bedeutet ja doch die Phronesis die den pba_365.040 bleibenden Besitz bildende, das ganze Wesen durchdringende Wahrheit
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freier Entschließung das für die Wahrung ihrer Jntegrität scheinbar pba_365.002
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/383>, abgerufen am 25.11.2024.
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