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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche tönen, pba_311.002
Jndes auf wohlgestimmter Laute wild pba_311.003
Der Wahnsinn hin und her zu wühlen scheint pba_311.004
Und doch im schönsten Takt sich mäßig hält.
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An dem Ariostischen Epos zeigt sich deutlich die nahe und innerlich pba_311.006
notwendige Verwandtschaft, in der die romantische Epopöe zu pba_311.007
der komischen steht, sofern nur der Dichter nicht selbst im Banne des pba_311.008
romantischen Ethos sich befindet, sondern mit überlegener Freiheit es pba_311.009
als seinen Stoff verwendet. Was beide so nahe zusammen bringt, ist pba_311.010
der Umstand, daß, was dort latent mit unterläuft, starke Hamartie, pba_311.011
fehlerhaftes Ethos und Pathos und dem entsprechendes Handeln ohne pba_311.012
tragische Konsequenzen, der eigentliche Gegenstand der pba_311.013
komischen Poesie ist, sobald es mit Bewußtsein als solches pba_311.014
dargestellt wird.
Die moderne Dichtung hat daher auch nur dann pba_311.015
mit glücklichem Erfolg auf die Romantik zurückgegriffen, wenn sie dieselbe pba_311.016
ironisch und mit komischer Färbung behandelte, während alle Versuche, pba_311.017
sie ernsthaft wieder zur Geltung zu bringen, zu Verwirrungen geführt pba_311.018
haben. Das ist der Sinn des Goetheschen Spruches: "Klassisch pba_311.019
ist das Gesunde, romantisch das Kranke.
"2

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Es ist daher wohl kaum als ein Zufall zu betrachten, daß gerade pba_311.021
in der Zeit, als die epische Poesie, von allem Zusammenhange mit dem pba_311.022
Leben abgetrennt, völlig der geschilderten Entartung verfiel, sich das pba_311.023
einzige konische Epos großen Stiles, das wir besitzen, zu voller Reife pba_311.024
ausgestaltete. Der Stoff freilich ist uralt, wie bei jedem Volksepos, pba_311.025
und er hatte lange Zeit gebraucht, um sich für diese endgiltige Gestaltung pba_311.026
vorzubilden; aber daß dieselbe gerade in jener Zeit, am Ausgange pba_311.027
des fünfzehnten Jahrhunderts, erfolgte, erscheint wie das Ergebnis einer pba_311.028
logischen Notwendigkeit, ebenso, daß ihr Schauplatz der niederländische pba_311.029
Boden war.

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Es liegt in der menschlichen Natur begründet, daß wie "jedes pba_311.031
ausgesprochene Wort den Gegensinn erregt",3 so eine jede Erscheinung pba_311.032
die Vorstellung ihres Gegenbildes erweckt; daher sind von je an neben pba_311.033
den Darstellungen, in denen die Bewunderung großer Kraft und gewaltigen pba_311.034
Thuns mit der Furcht und dem Mitleid bei ihrem durch Jrrtum pba_311.035
und Fehl herbeigeführten Sturz zur Geltung kam, auch diejenigen pba_311.036
hergegangen, die vielmehr jene Jrrtümer und Fehler selbst zu ihrem

1 pba_311.037
Vgl. Goethes Tasso I, 4.
2 pba_311.038
Vgl. Goethe, Sprüche VII, Nr. 602.
3 pba_311.039
cf. Goethe, Sprüche V, 410.
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Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche tönen, pba_311.002
Jndes auf wohlgestimmter Laute wild pba_311.003
Der Wahnsinn hin und her zu wühlen scheint pba_311.004
Und doch im schönsten Takt sich mäßig hält.
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An dem Ariostischen Epos zeigt sich deutlich die nahe und innerlich pba_311.006
notwendige Verwandtschaft, in der die romantische Epopöe zu pba_311.007
der komischen steht, sofern nur der Dichter nicht selbst im Banne des pba_311.008
romantischen Ethos sich befindet, sondern mit überlegener Freiheit es pba_311.009
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fehlerhaftes Ethos und Pathos und dem entsprechendes Handeln ohne pba_311.012
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komischen Poesie ist, sobald es mit Bewußtsein als solches pba_311.014
dargestellt wird.
Die moderne Dichtung hat daher auch nur dann pba_311.015
mit glücklichem Erfolg auf die Romantik zurückgegriffen, wenn sie dieselbe pba_311.016
ironisch und mit komischer Färbung behandelte, während alle Versuche, pba_311.017
sie ernsthaft wieder zur Geltung zu bringen, zu Verwirrungen geführt pba_311.018
haben. Das ist der Sinn des Goetheschen Spruches: „Klassisch pba_311.019
ist das Gesunde, romantisch das Kranke.
2

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Es ist daher wohl kaum als ein Zufall zu betrachten, daß gerade pba_311.021
in der Zeit, als die epische Poesie, von allem Zusammenhange mit dem pba_311.022
Leben abgetrennt, völlig der geschilderten Entartung verfiel, sich das pba_311.023
einzige konische Epos großen Stiles, das wir besitzen, zu voller Reife pba_311.024
ausgestaltete. Der Stoff freilich ist uralt, wie bei jedem Volksepos, pba_311.025
und er hatte lange Zeit gebraucht, um sich für diese endgiltige Gestaltung pba_311.026
vorzubilden; aber daß dieselbe gerade in jener Zeit, am Ausgange pba_311.027
des fünfzehnten Jahrhunderts, erfolgte, erscheint wie das Ergebnis einer pba_311.028
logischen Notwendigkeit, ebenso, daß ihr Schauplatz der niederländische pba_311.029
Boden war.

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Es liegt in der menschlichen Natur begründet, daß wie „jedes pba_311.031
ausgesprochene Wort den Gegensinn erregt“,3 so eine jede Erscheinung pba_311.032
die Vorstellung ihres Gegenbildes erweckt; daher sind von je an neben pba_311.033
den Darstellungen, in denen die Bewunderung großer Kraft und gewaltigen pba_311.034
Thuns mit der Furcht und dem Mitleid bei ihrem durch Jrrtum pba_311.035
und Fehl herbeigeführten Sturz zur Geltung kam, auch diejenigen pba_311.036
hergegangen, die vielmehr jene Jrrtümer und Fehler selbst zu ihrem

1 pba_311.037
Vgl. Goethes Tasso I, 4.
2 pba_311.038
Vgl. Goethe, Sprüche VII, Nr. 602.
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/329>, abgerufen am 25.11.2024.