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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Nicht also die Forderung eines moralischen Läuterungsprozesses pba_275.002
in dem Zuhörer
enthält diese vielberufene Katharsis, pba_275.003
sondern das rein technische Kompositionsgesetz: das Schicksal pba_275.004
in seiner reinen und wahren Gestalt der Anschauung vorzuführen, pba_275.005
damit die reine und der Wahrheit der Dinge pba_275.006
entsprechende Empfindung dadurch geweckt werden könne pba_275.007
und müsse.

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Diese allgemeinen Bestimmungen mögen hier genügen, das Genauere pba_275.009
über die Empfindungen der Furcht und des Mitleids, über ihr Wechselverhältnis pba_275.010
und die Katharsis wird seine Stelle in dem Abschnitt finden, pba_275.011
der speziell von der Tragödie handelt, die wegen ihrer kunstvoll begrenzten pba_275.012
Form nach allen diesen Richtungen einer sehr detaillierten Gesetzgebung pba_275.013
bedarf. Die epische Darstellung bewegt sich in jeder Beziehung pba_275.014
freier: sie kann sich beliebig weit ausdehnen, sofern sie nur als Ganzes pba_275.015
übersichtlich bleibt, sie ist nicht an einen begrenzten Zeitraum der dargestellten pba_275.016
Handlung, innerhalb dessen stetiges Fortschreiten erforderlich ist, pba_275.017
gebunden, sondern kann beliebig zurück- und vorgreifen, sie wechselt nach pba_275.018
Bedürfnis den Ort und kann auch gleichzeitig Geschehendes nach Gefallen pba_275.019
vorführen, sie vermag die Haupthandlung durch Neben- und pba_275.020
Zwischenhandlungen zu unterstützen, zu erweitern und schmuckvoll zu pba_275.021
bereichern.

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So höchst wesentlich aber alle diese Verschiedenheiten von der pba_275.023
Tragödie sind, so steht sie in der Hauptsache -- was das Nachahmungsobjekt pba_275.024
und den Nachahmungszweck betrifft -- doch mit ihr auf einem pba_275.025
und demselben Boden, nur die Art der Nachahmung, durch Erzählung pba_275.026
statt durch handelnde Personen, ist verschieden, und aus ihr entspringen pba_275.027
alle die genannten Differenzen.

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Die verschiedenen Arten des heroischen Epos werden sich demnach pba_275.029
aus dem verschiedenen Anteil, welcher den die heroisch-tragische Gattung pba_275.030
konstituierenden Elementen gewährt ist, und aus der Art dieses Anteils pba_275.031
bestimmen lassen.

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Jm Vordergrunde steht das Element des Verderblichen und pba_275.033
Schmerzlichen der Handlung (des phthartikon und oduneron), welches pba_275.034
nicht entbehrt werden kann. Der Ausgang der Handlung ist darnach pba_275.035
entweder schlechthin unglücklich wie in der Jlias und den Nibelungen, pba_275.036
oder gemischt,1 so daß die Bösen verderben, die Guten glücklich pba_275.037
werden, wie in der Odyssee und der Gudrun; ein rein glücklicher pba_275.038
Ausgang, wie er für die Tragödie durch eine äußerst kunstreiche Fügung

1 pba_275.039
Vgl. Aristoteles, Poet. Kap. 13.

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Nicht also die Forderung eines moralischen Läuterungsprozesses pba_275.002
in dem Zuhörer
enthält diese vielberufene Katharsis, pba_275.003
sondern das rein technische Kompositionsgesetz: das Schicksal pba_275.004
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damit die reine und der Wahrheit der Dinge pba_275.006
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und müsse.

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Diese allgemeinen Bestimmungen mögen hier genügen, das Genauere pba_275.009
über die Empfindungen der Furcht und des Mitleids, über ihr Wechselverhältnis pba_275.010
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Bedürfnis den Ort und kann auch gleichzeitig Geschehendes nach Gefallen pba_275.019
vorführen, sie vermag die Haupthandlung durch Neben- und pba_275.020
Zwischenhandlungen zu unterstützen, zu erweitern und schmuckvoll zu pba_275.021
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So höchst wesentlich aber alle diese Verschiedenheiten von der pba_275.023
Tragödie sind, so steht sie in der Hauptsache — was das Nachahmungsobjekt pba_275.024
und den Nachahmungszweck betrifft — doch mit ihr auf einem pba_275.025
und demselben Boden, nur die Art der Nachahmung, durch Erzählung pba_275.026
statt durch handelnde Personen, ist verschieden, und aus ihr entspringen pba_275.027
alle die genannten Differenzen.

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Die verschiedenen Arten des heroischen Epos werden sich demnach pba_275.029
aus dem verschiedenen Anteil, welcher den die heroisch-tragische Gattung pba_275.030
konstituierenden Elementen gewährt ist, und aus der Art dieses Anteils pba_275.031
bestimmen lassen.

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Jm Vordergrunde steht das Element des Verderblichen und pba_275.033
Schmerzlichen der Handlung (des φθαρτικόν und ὀδυνηρόν), welches pba_275.034
nicht entbehrt werden kann. Der Ausgang der Handlung ist darnach pba_275.035
entweder schlechthin unglücklich wie in der Jlias und den Nibelungen, pba_275.036
oder gemischt,1 so daß die Bösen verderben, die Guten glücklich pba_275.037
werden, wie in der Odyssee und der Gudrun; ein rein glücklicher pba_275.038
Ausgang, wie er für die Tragödie durch eine äußerst kunstreiche Fügung

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Vgl. Aristoteles, Poet. Kap. 13.
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/293>, abgerufen am 25.11.2024.