Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_181.001 diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008 Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009 loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer pba_181.010 selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011 sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012 Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung. pba_181.013 pba_181.027 pba_181.029
gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030 Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist (!!); bei der Parabel pba_181.031 besteht eine bestimmte Wirklichkeit (!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032 weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033 u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034 [!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen Zustand durch pba_181.035 Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine höhere Wahrheit im Bilde pba_181.036 anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037 eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung (!!)." pba_181.038 Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels "Poetik, pba_181.039 Rhetorik und Stilistik" entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung pba_181.040 bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist. pba_181.001 diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008 Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009 loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer pba_181.010 selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011 sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012 Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung. pba_181.013 pba_181.027 pba_181.029
gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030 Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist (!!); bei der Parabel pba_181.031 besteht eine bestimmte Wirklichkeit (!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032 weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033 u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034 [!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen Zustand durch pba_181.035 Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine höhere Wahrheit im Bilde pba_181.036 anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037 eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung (!!).“ pba_181.038 Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels „Poetik, pba_181.039 Rhetorik und Stilistik“ entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung pba_181.040 bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0199" n="181"/> <p><lb n="pba_181.001"/><anchor xml:id="pba007"/> Jnsofern wird Lessing recht behalten, als offenbar der Begriff der <lb n="pba_181.002"/> <hi rendition="#g">Parabel</hi> (<foreign xml:lang="grc">παραβολή</foreign>) in seiner eigentlichen und weitesten Bedeutung, <lb n="pba_181.003"/> d. i. einer <hi rendition="#g">ausgeführten Gleichnisrede</hi> — die also im Unterschiede <lb n="pba_181.004"/> von der <hi rendition="#g">Metapher</hi> ein selbständiges Ganze für sich zu bilden <lb n="pba_181.005"/> fähig ist — auch die Darstellung eines bloß als möglich gedachten Falles <lb n="pba_181.006"/> einschließt: <anchor xml:id="pba008"/> <note targetEnd="#pba008" type="metapher" ana="#m1-0-2-1 #m1-2-3 #m1-3-1-0 #m1-6-2-1 #m1-8-1-6" target="#pba007"> 181.001ff. implizites Werk: Lessings Abhandlung über die Fabel (vgl. Fn. 2 auf S. 162) <bibl><author>Gotthold Ephraim Lessing</author>: Abhandlungen (über die Fabel) <ref>https://textgridrep.org/browse/-/browse/rjf5_0</ref> </bibl> </note> aber die Erzählung desselben als eines wirklichen Falles ist <lb n="pba_181.007"/> diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges <lb n="pba_181.008"/> Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich <lb n="pba_181.009"/> loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer <lb n="pba_181.010"/> selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann <lb n="pba_181.011"/> sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender <lb n="pba_181.012"/> Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung.</p> <p><lb n="pba_181.013"/><hi rendition="#g">Die unterscheidende Eigentümlichkeit der parabolischen <lb n="pba_181.014"/> Erzählung ergibt sich von selbst aus dem Wesen der Vergleichung.</hi><lb n="pba_181.015"/> Alle echt epische Dichtung stellt ihren Gegenstand, die <lb n="pba_181.016"/> Handlung, <hi rendition="#g">um ihrer selbst</hi> willen dar: wenn aus ihrer Wirkung auf <lb n="pba_181.017"/> die empfindende Wahrnehmung, die Aisthesis, sich Urteile des Erkenntnisvermögens <lb n="pba_181.018"/> <hi rendition="#g">ableiten</hi> lassen, so ist dies eine aus der Natur des epischen <lb n="pba_181.019"/> Stoffes von selbst hervorgehende Wirkung der demselben innewohnenden <lb n="pba_181.020"/> Kraft. Alle aus jeder Art epischer Poesie gezogene Nutzanwendung oder <lb n="pba_181.021"/> Lehre ist ihr nur <foreign xml:lang="lat"><hi rendition="#g">per accidens</hi></foreign> eigen (nach der Aristotelischen Terminologie <lb n="pba_181.022"/> ein <foreign xml:lang="grc">συμβεβηκὸς καθ' αὑτό</foreign>, ein an derselben seiner Natur <lb n="pba_181.023"/> nach Stattfindendes); niemals aber bildet der Gedankeninhalt das <foreign xml:lang="lat">prius</foreign>, <lb n="pba_181.024"/> das Vorausgehende, sondern immer der Stoff der Handlung; das die <lb n="pba_181.025"/> Erfindung bewirkende Vermögen erhält den bewegenden Anlaß von der <lb n="pba_181.026"/> <hi rendition="#g">sinnlichen Anschauung,</hi> nicht vom <hi rendition="#g">Jntellekt.</hi></p> <p><lb n="pba_181.027"/> Der entgegengesetzte Fall ist der der <hi rendition="#g">Parabel.</hi> Während jede <lb n="pba_181.028"/> epische Handlung, und so auch die der Fabel, zunächst ihren Bestand für <note xml:id="pba_180_2b" prev="#pba_180_2a" place="foot" n="2"><lb n="pba_181.029"/><hi rendition="#g">gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein <lb n="pba_181.030"/> Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist</hi> (!!); <hi rendition="#g">bei der Parabel <lb n="pba_181.031"/> besteht eine bestimmte Wirklichkeit</hi> (!!): die Wirklichkeit <hi rendition="#g">menschlicher</hi> Verhältnisse, <lb n="pba_181.032"/> weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel <lb n="pba_181.033"/> u. s. w. u. s. w. Von der <hi rendition="#g">Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen</hi> <lb n="pba_181.034"/> [!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen <hi rendition="#g">Zustand</hi> durch <lb n="pba_181.035"/> Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine <hi rendition="#g">höhere Wahrheit</hi> im Bilde <lb n="pba_181.036"/> anschaulich macht. <hi rendition="#g">Während man daher bei der Allegorie schließlich nur <lb n="pba_181.037"/> eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung</hi> (!!).“ <lb n="pba_181.038"/> Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus <hi rendition="#g">Wackernagels</hi> „Poetik, <lb n="pba_181.039"/> Rhetorik und Stilistik“ entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung <lb n="pba_181.040"/> bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist.</note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [181/0199]
pba_181.001
Jnsofern wird Lessing recht behalten, als offenbar der Begriff der pba_181.002
Parabel (παραβολή) in seiner eigentlichen und weitesten Bedeutung, pba_181.003
d. i. einer ausgeführten Gleichnisrede — die also im Unterschiede pba_181.004
von der Metapher ein selbständiges Ganze für sich zu bilden pba_181.005
fähig ist — auch die Darstellung eines bloß als möglich gedachten Falles pba_181.006
einschließt: 181.001ff. implizites Werk: Lessings Abhandlung über die Fabel (vgl. Fn. 2 auf S. 162) Gotthold Ephraim Lessing: Abhandlungen (über die Fabel) https://textgridrep.org/browse/-/browse/rjf5_0 aber die Erzählung desselben als eines wirklichen Falles ist pba_181.007
diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008
Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009
loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer pba_181.010
selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011
sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012
Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung.
pba_181.013
Die unterscheidende Eigentümlichkeit der parabolischen pba_181.014
Erzählung ergibt sich von selbst aus dem Wesen der Vergleichung. pba_181.015
Alle echt epische Dichtung stellt ihren Gegenstand, die pba_181.016
Handlung, um ihrer selbst willen dar: wenn aus ihrer Wirkung auf pba_181.017
die empfindende Wahrnehmung, die Aisthesis, sich Urteile des Erkenntnisvermögens pba_181.018
ableiten lassen, so ist dies eine aus der Natur des epischen pba_181.019
Stoffes von selbst hervorgehende Wirkung der demselben innewohnenden pba_181.020
Kraft. Alle aus jeder Art epischer Poesie gezogene Nutzanwendung oder pba_181.021
Lehre ist ihr nur per accidens eigen (nach der Aristotelischen Terminologie pba_181.022
ein συμβεβηκὸς καθ' αὑτό, ein an derselben seiner Natur pba_181.023
nach Stattfindendes); niemals aber bildet der Gedankeninhalt das prius, pba_181.024
das Vorausgehende, sondern immer der Stoff der Handlung; das die pba_181.025
Erfindung bewirkende Vermögen erhält den bewegenden Anlaß von der pba_181.026
sinnlichen Anschauung, nicht vom Jntellekt.
pba_181.027
Der entgegengesetzte Fall ist der der Parabel. Während jede pba_181.028
epische Handlung, und so auch die der Fabel, zunächst ihren Bestand für 2
2 pba_181.029
gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030
Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist (!!); bei der Parabel pba_181.031
besteht eine bestimmte Wirklichkeit (!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032
weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033
u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034
[!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen Zustand durch pba_181.035
Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine höhere Wahrheit im Bilde pba_181.036
anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037
eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung (!!).“ pba_181.038
Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels „Poetik, pba_181.039
Rhetorik und Stilistik“ entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung pba_181.040
bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |