Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_137.001 Nasutus sis usque licet, sis denique nasus, pba_137.004 Quantum noluerat ferre rogatus Atlas, pba_137.005 Et possis ipsum tu deridere Latinum: pba_137.006 Non potes in nugas dicere plura meas, pba_137.007 Ipse ego quam dixi. Quid dentem dente juvabit pba_137.008 Rodere? carne opus est, si satur esse velis. pba_137.009 Ne perdas operam: qui se mirantur, in illos pba_137.010 Virus habe, nos haec novimus esse nihil. pba_137.011 Non tamen hoc nimium nihil est, si candidus aure, pba_137.012 Nec matutina si mihi fronte venis. pba_137.013 pba_137.023Nichts ist gleich deiner Nase! Es sei, ja du seist ganz Nase, pba_137.014 Riesengroß, zu groß selbst für des Atlas Gesicht, pba_137.015 Ja, du könntest getrost Trotz bieten sogar dem Latinus: pba_137.016 Strenger verklagst du doch meine Gedichtchen mir nicht, pba_137.017 Als ich selbst es gethan. Was nützt es, den Zahn an dem Zahne pba_137.018 Wetzen? Suche dir Fleisch, wenn du dich sättigen willst. pba_137.019 Hier verlierst du die Müh': die sich selber bewundern, für jene pba_137.020 Spare dein Gift! Was sind meine Gedichte? Ein Nichts! pba_137.021 Und doch nicht so völlig ein Nichts, wenn du nur willigen Ohres pba_137.022 Nicht mit zartester Stirn unter den Hörern erscheinst! Jmmer aber bleibt eine beträchtliche Zahl von Epigrammen übrig, in pba_137.024 pba_137.001 Nasutus sis usque licet, sis denique nasus, pba_137.004 Quantum noluerat ferre rogatus Atlas, pba_137.005 Et possis ipsum tu deridere Latinum: pba_137.006 Non potes in nugas dicere plura meas, pba_137.007 Ipse ego quam dixi. 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Um ein <hi rendition="#g">spezielles</hi> Ethos handelt es sich in diesen <lb n="pba_137.029"/> <hi rendition="#g">rein komischen</hi> Epigrammen allerdings nicht; das Objekt der Mimesis <lb n="pba_137.030"/> ist bei ihnen allen immer ein und dasselbe, es ist die <hi rendition="#g">heitere Stimmung,</hi> <lb n="pba_137.031"/> wie sie jeder treffende Witz, jede glücklich erfundene Anekdote, <lb n="pba_137.032"/> auch abgesehen von ihrem etwaigen gnomischen oder satirischen Jnhalt, <lb n="pba_137.033"/> durch die bloße Kontrastwirkung erzeugt, und auch diese ist ein berechtigtes <lb n="pba_137.034"/> Ethos. Es ist die harmlose Freude an dem völlig freien Spiel der <lb n="pba_137.035"/> Phantasie, wie sie ebenso durch die groteske Karikatur, wo dieselbe sich <lb n="pba_137.036"/> von Satire möglichst freihält, erzeugt wird; doch sind der Dichtung <lb n="pba_137.037"/> hier unendlich weitere Grenzen gesteckt als den bildenden Künsten. <lb n="pba_137.038"/> Während diese immer doch die Glaubwürdigkeit der realen Erscheinung <lb n="pba_137.039"/> aufrecht erhalten müssen, erzielt jene Art von Dichtung ihre Wirkung <lb n="pba_137.040"/> gerade damit, daß sie auf Grund eines einzigen festgehaltenen Aehnlichkeitsmomentes <lb n="pba_137.041"/> nun in allem Uebrigen den Kontrast soweit als möglich </p> </div> </body> </text> </TEI> [137/0155]
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ganz nahe gelegt haben. Aber auch für uns gewinnt diese Auffassung pba_137.002
Gewißheit, wenn wir das zweite Epigramm des XIII. Buches vergleichen:
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Nasutus sis usque licet, sis denique nasus, pba_137.004
Quantum noluerat ferre rogatus Atlas, pba_137.005
Et possis ipsum tu deridere Latinum: pba_137.006
Non potes in nugas dicere plura meas, pba_137.007
Ipse ego quam dixi. Quid dentem dente juvabit pba_137.008
Rodere? carne opus est, si satur esse velis. pba_137.009
Ne perdas operam: qui se mirantur, in illos pba_137.010
Virus habe, nos haec novimus esse nihil. pba_137.011
Non tamen hoc nimium nihil est, si candidus aure, pba_137.012
Nec matutina si mihi fronte venis.
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Nichts ist gleich deiner Nase! Es sei, ja du seist ganz Nase, pba_137.014
Riesengroß, zu groß selbst für des Atlas Gesicht, pba_137.015
Ja, du könntest getrost Trotz bieten sogar dem Latinus: pba_137.016
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Hier verlierst du die Müh': die sich selber bewundern, für jene pba_137.020
Spare dein Gift! Was sind meine Gedichte? Ein Nichts! pba_137.021
Und doch nicht so völlig ein Nichts, wenn du nur willigen Ohres pba_137.022
Nicht mit zartester Stirn unter den Hörern erscheinst!
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Jmmer aber bleibt eine beträchtliche Zahl von Epigrammen übrig, in pba_137.024
denen es an einer solchen tieferen Beziehung fehlt. Wie steht es bei pba_137.025
diesen mit der im Obigen entwickelten Theorie, nach der das Epigramm pba_137.026
gleich der gnomisch-satirischen Dichtung die Nachahmung eines bei dem pba_137.027
Dichter vorhandenen Ethos enthalten muß? Die Theorie läßt uns auch pba_137.028
hier nicht im Stich. Um ein spezielles Ethos handelt es sich in diesen pba_137.029
rein komischen Epigrammen allerdings nicht; das Objekt der Mimesis pba_137.030
ist bei ihnen allen immer ein und dasselbe, es ist die heitere Stimmung, pba_137.031
wie sie jeder treffende Witz, jede glücklich erfundene Anekdote, pba_137.032
auch abgesehen von ihrem etwaigen gnomischen oder satirischen Jnhalt, pba_137.033
durch die bloße Kontrastwirkung erzeugt, und auch diese ist ein berechtigtes pba_137.034
Ethos. Es ist die harmlose Freude an dem völlig freien Spiel der pba_137.035
Phantasie, wie sie ebenso durch die groteske Karikatur, wo dieselbe sich pba_137.036
von Satire möglichst freihält, erzeugt wird; doch sind der Dichtung pba_137.037
hier unendlich weitere Grenzen gesteckt als den bildenden Künsten. pba_137.038
Während diese immer doch die Glaubwürdigkeit der realen Erscheinung pba_137.039
aufrecht erhalten müssen, erzielt jene Art von Dichtung ihre Wirkung pba_137.040
gerade damit, daß sie auf Grund eines einzigen festgehaltenen Aehnlichkeitsmomentes pba_137.041
nun in allem Uebrigen den Kontrast soweit als möglich
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