Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_130.001 Wasser ist Körper und Boden der Fluß, das neuste Theater pba_130.010 Thut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf. pba_130.011 Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren, pba_130.012 Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund. pba_130.013 Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens; pba_130.014 Jst sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr. pba_130.015 Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander, pba_130.016 Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn. pba_130.017 Durcheinander gleiten sie her, die Schüler und Meister pba_130.018 Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält. pba_130.019 Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche. pba_130.020 Nur gelassen! Du wirst einst noch die Freude der Bahn. pba_130.021 pba_130.023Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler pba_130.022 Wie der Meister, doch stürzt dieser gefährlicher hin. u. s. f. Natürlich gilt hier dasselbe Gesetz für die Anwendung der pba_130.024 pba_130.032 Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung pba_130.038
Setzt! Wenn die Könige bau'n, haben die Kärrner zu thun. pba_130.001 Wasser ist Körper und Boden der Fluß, das neuste Theater pba_130.010 Thut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf. pba_130.011 Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren, pba_130.012 Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund. pba_130.013 Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens; pba_130.014 Jst sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr. pba_130.015 Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander, pba_130.016 Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn. pba_130.017 Durcheinander gleiten sie her, die Schüler und Meister pba_130.018 Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält. pba_130.019 Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche. pba_130.020 Nur gelassen! Du wirst einst noch die Freude der Bahn. pba_130.021 pba_130.023Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler pba_130.022 Wie der Meister, doch stürzt dieser gefährlicher hin. u. s. f. Natürlich gilt hier dasselbe Gesetz für die Anwendung der pba_130.024 pba_130.032 Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung pba_130.038
Setzt! Wenn die Könige bau'n, haben die Kärrner zu thun. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="130"/><lb n="pba_130.001"/> genannt werden können. Hier ist die konkrete Darstellung eines Dinges, <lb n="pba_130.002"/> Verhältnisses, Vorganges in der zweiteiligen Form des Epigramms gegeben, <lb n="pba_130.003"/> aber so, daß die volle Wirkung von Erwartung und Aufschluß <lb n="pba_130.004"/> sich erst ergibt, wenn man für die konkrete Darstellung die ihr entsprechende <lb n="pba_130.005"/> abstrakte Gedankenkombination setzt. Goethe liebt diese <hi rendition="#g">allegorische</hi> <lb n="pba_130.006"/> Art des Epigramms besonders; in den „<hi rendition="#g">vier Jahreszeiten</hi>“ <lb n="pba_130.007"/> sind sie sehr zahlreich, die ganze Reihe der unter der Ueberschrift <lb n="pba_130.008"/> „<hi rendition="#g">Winter</hi>“ vereinigten ist fast durchweg so beschaffen:</p> <lb n="pba_130.009"/> <lg> <l>Wasser ist Körper und Boden der Fluß, das neuste Theater</l> <lb n="pba_130.010"/> <l> Thut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.011"/> <l>Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren,</l> <lb n="pba_130.012"/> <l> Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.013"/> <l>Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens;</l> <lb n="pba_130.014"/> <l> Jst sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.015"/> <l>Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander,</l> <lb n="pba_130.016"/> <l> Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.017"/> <l>Durcheinander gleiten sie her, die Schüler und Meister</l> <lb n="pba_130.018"/> <l> Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.019"/> <l>Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche.</l> <lb n="pba_130.020"/> <l> Nur gelassen! Du wirst einst noch die Freude der Bahn. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_130.021"/> <l>Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler</l> <lb n="pba_130.022"/> <l> Wie der Meister, doch stürzt dieser gefährlicher hin.</l> </lg> <lb n="pba_130.023"/> <p>u. s. f. Natürlich gilt hier dasselbe Gesetz für die Anwendung der <lb n="pba_130.024"/> Allegorie, welches schon oben entwickelt wurde: poetisch ist sie nur, wenn <lb n="pba_130.025"/> sie auch als konkrete Darstellung an und für sich selbst Bestand hat; <lb n="pba_130.026"/> von jeder andern konkreten Darstellung und auch von jedem derselben <lb n="pba_130.027"/> eingefügten Bilde unterscheidet sie sich dadurch, daß sie einmal ein selbständiges, <lb n="pba_130.028"/> abgeschlossenes Ganze bildet, sodann aber sowohl im ganzen <lb n="pba_130.029"/> als in jedem einzelnen Teile durch die ihr innewohnende Kraft der <lb n="pba_130.030"/> Aehnlichkeit entsprechende Gedanken und ihre Verbindung zu vergegenwärtigen <lb n="pba_130.031"/> geeignet und bestimmt ist.</p> <p><lb n="pba_130.032"/> Mit Vorliebe bedient sich das satirische Epigramm der allegorischen <lb n="pba_130.033"/> Darstellungsweise, indem es seinen eigentlichen Gegenstand gar nicht ausspricht, <lb n="pba_130.034"/> sondern ihn ganz und gar durch das gewählte Bild vertreten <lb n="pba_130.035"/> sein läßt; so Schiller, indem er das Verhältnis zwischen Kant und seinen <lb n="pba_130.036"/> Auslegern im Sinne hat:</p> <lb n="pba_130.037"/> <lg> <l>Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung</l> <lb n="pba_130.038"/> <l> Setzt! Wenn die Könige bau'n, haben die Kärrner zu thun.</l> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [130/0148]
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genannt werden können. Hier ist die konkrete Darstellung eines Dinges, pba_130.002
Verhältnisses, Vorganges in der zweiteiligen Form des Epigramms gegeben, pba_130.003
aber so, daß die volle Wirkung von Erwartung und Aufschluß pba_130.004
sich erst ergibt, wenn man für die konkrete Darstellung die ihr entsprechende pba_130.005
abstrakte Gedankenkombination setzt. Goethe liebt diese allegorische pba_130.006
Art des Epigramms besonders; in den „vier Jahreszeiten“ pba_130.007
sind sie sehr zahlreich, die ganze Reihe der unter der Ueberschrift pba_130.008
„Winter“ vereinigten ist fast durchweg so beschaffen:
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Wasser ist Körper und Boden der Fluß, das neuste Theater pba_130.010
Thut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf.
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Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren, pba_130.012
Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund.
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Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens; pba_130.014
Jst sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr.
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Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander, pba_130.016
Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn.
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Durcheinander gleiten sie her, die Schüler und Meister pba_130.018
Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.
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Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche. pba_130.020
Nur gelassen! Du wirst einst noch die Freude der Bahn.
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Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler pba_130.022
Wie der Meister, doch stürzt dieser gefährlicher hin.
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u. s. f. Natürlich gilt hier dasselbe Gesetz für die Anwendung der pba_130.024
Allegorie, welches schon oben entwickelt wurde: poetisch ist sie nur, wenn pba_130.025
sie auch als konkrete Darstellung an und für sich selbst Bestand hat; pba_130.026
von jeder andern konkreten Darstellung und auch von jedem derselben pba_130.027
eingefügten Bilde unterscheidet sie sich dadurch, daß sie einmal ein selbständiges, pba_130.028
abgeschlossenes Ganze bildet, sodann aber sowohl im ganzen pba_130.029
als in jedem einzelnen Teile durch die ihr innewohnende Kraft der pba_130.030
Aehnlichkeit entsprechende Gedanken und ihre Verbindung zu vergegenwärtigen pba_130.031
geeignet und bestimmt ist.
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Mit Vorliebe bedient sich das satirische Epigramm der allegorischen pba_130.033
Darstellungsweise, indem es seinen eigentlichen Gegenstand gar nicht ausspricht, pba_130.034
sondern ihn ganz und gar durch das gewählte Bild vertreten pba_130.035
sein läßt; so Schiller, indem er das Verhältnis zwischen Kant und seinen pba_130.036
Auslegern im Sinne hat:
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Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung pba_130.038
Setzt! Wenn die Könige bau'n, haben die Kärrner zu thun.
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