Kaum war der Alte fuchswild fortgerannt, so ließ unser Hausgenosse, Herr von Bülow, der Vater des später so berühmt gewordenen Klaviervirtuosen Hans von Bülow, bitten, trotz der frühen Morgenstunde seinen Besuch machen zu dürfen -- in wichtiger, unaufschieb¬ barer Angelegenheit. Es mußte allerdings etwas Wich¬ tiges sein, was den gelehrten Herrn, den Tieck sehr be¬ vorzugte, so früh schon aus seiner etwas pedantischen Ruhe und aus dem Schlafrock herausgebracht hatte. Er, der sonst so leise und langsam bedächtig sprach und einher¬ schritt, trat mir in größter Aufregung, mit gerötheten Wangen entgegen und sein erstes geflügeltes Wort war: "Lola Montez!"
"Also auch Sie, Graf Oerindur? Wer löst mir die¬ sen Zwiespalt der Natur?" unterbrach ich ihn lachend.
"Lola Montez möchte Sie näher kennen lernen, Sie haben gestern Abend als "Donna Diana" das feurige Kind Spaniens im Sturm erobert. Die schöne Lola saß neben mir und schlug wie ein Kind jubelnd in die Hände und rief ein Mal über das andere fast etwas zu laut für unsere Dresdener Gewohnheiten aus: "Oh, la bella Donna! Je voudrais la connaeitre!"
"Sehr schmeichelhaft! Aber wer und was ist denn eigentlich dies "Mädchen aus der Fremde?"
"Das entzückendste, holdeste, liebenswürdigste We¬ sen ..."
"Und das sagen Sie mir in's Gesicht -- der bella Donna?" unterbrach ich neckend den Enthusiasten.
Erinnerungen etc. 29
Kaum war der Alte fuchswild fortgerannt, ſo ließ unſer Hausgenoſſe, Herr von Bülow, der Vater des ſpäter ſo berühmt gewordenen Klaviervirtuoſen Hans von Bülow, bitten, trotz der frühen Morgenſtunde ſeinen Beſuch machen zu dürfen — in wichtiger, unaufſchieb¬ barer Angelegenheit. Es mußte allerdings etwas Wich¬ tiges ſein, was den gelehrten Herrn, den Tieck ſehr be¬ vorzugte, ſo früh ſchon aus ſeiner etwas pedantiſchen Ruhe und aus dem Schlafrock herausgebracht hatte. Er, der ſonſt ſo leiſe und langſam bedächtig ſprach und einher¬ ſchritt, trat mir in größter Aufregung, mit gerötheten Wangen entgegen und ſein erſtes geflügeltes Wort war: »Lola Montez!«
»Alſo auch Sie, Graf Oerindur? Wer löſt mir die¬ ſen Zwieſpalt der Natur?« unterbrach ich ihn lachend.
»Lola Montez möchte Sie näher kennen lernen, Sie haben geſtern Abend als »Donna Diana« das feurige Kind Spaniens im Sturm erobert. Die ſchöne Lola ſaß neben mir und ſchlug wie ein Kind jubelnd in die Hände und rief ein Mal über das andere faſt etwas zu laut für unſere Dresdener Gewohnheiten aus: »Oh, la bella Donna! Je voudrais la connaître!«
»Sehr ſchmeichelhaft! Aber wer und was iſt denn eigentlich dies »Mädchen aus der Fremde?«
»Und das ſagen Sie mir in's Geſicht — der bella Donna?« unterbrach ich neckend den Enthuſiaſten.
Erinnerungen ꝛc. 29
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Kaum war der Alte fuchswild fortgerannt, ſo ließ
unſer Hausgenoſſe, Herr von Bülow, der Vater des
ſpäter ſo berühmt gewordenen Klaviervirtuoſen Hans
von Bülow, bitten, trotz der frühen Morgenſtunde ſeinen
Beſuch machen zu dürfen — in wichtiger, unaufſchieb¬
barer Angelegenheit. Es mußte allerdings etwas Wich¬
tiges ſein, was den gelehrten Herrn, den Tieck ſehr be¬
vorzugte, ſo früh ſchon aus ſeiner etwas pedantiſchen Ruhe
und aus dem Schlafrock herausgebracht hatte. Er, der
ſonſt ſo leiſe und langſam bedächtig ſprach und einher¬
ſchritt, trat mir in größter Aufregung, mit gerötheten
Wangen entgegen und ſein erſtes geflügeltes Wort war:
»Lola Montez!«
»Alſo auch Sie, Graf Oerindur? Wer löſt mir die¬
ſen Zwieſpalt der Natur?« unterbrach ich ihn lachend.
»Lola Montez möchte Sie näher kennen lernen, Sie
haben geſtern Abend als »Donna Diana« das feurige
Kind Spaniens im Sturm erobert. Die ſchöne Lola
ſaß neben mir und ſchlug wie ein Kind jubelnd in die
Hände und rief ein Mal über das andere faſt etwas zu
laut für unſere Dresdener Gewohnheiten aus: »Oh,
la bella Donna! Je voudrais la connaître!«
»Sehr ſchmeichelhaft! Aber wer und was iſt denn
eigentlich dies »Mädchen aus der Fremde?«
»Das entzückendſte, holdeſte, liebenswürdigſte We¬
ſen …«
»Und das ſagen Sie mir in's Geſicht — der bella
Donna?« unterbrach ich neckend den Enthuſiaſten.
Erinnerungen ꝛc. 29
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/477>, abgerufen am 25.11.2024.
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