Leben. Ich konnte, ich wollte, ich durfte mich nicht immer und immer wieder den Launen des Dramaturgen opfern. Die Mutter war bei all' den Heinrichen, Richards und Spaniern zuletzt so nervös geworden, daß ich sie nach einigen Jahren auch nicht mehr zu kleinen Lustspielen auf den Opferstuhl vor Tieck's Lesepult führen durfte. Ich selber war verschiedene Male von den grünbeschirmten geheimen Polizeiaugen der Gräfin Finkenstein bei einem Gähnkampf auf Leben und Tod gegen einen nicht umzu¬ bringenden spanischen Don ertappt worden. Ja -- ich muß es gestehen -- ich benützte im Kreislauf der Jahre und der wiederkehrenden Vorlesungen immer öfter und lieber Gelegenheiten, dem Lesepult hinter die Schule zu gehen, so daß ich manche Woche nur einmal als getreue Zuhörerin notirt werden konnte. Im Eckhause des Alt¬ marktes ging die Gnadensonne täglich trüber für mich nieder. Tieck wurde kühler, einsylbiger, die Gräfin ge¬ reizter, kampflustiger. Und dann tauchte eines Tages in Dresden ein junges Mädchen aus Graz auf und Herr v. Lüttichau, Tieck, die Gräfin Finkenstein und die Zahl ihrer Nachbeter wurden nicht müde, täglich zu Ehren dieses jungen, glänzenden Schauspieltalentes lauter in die Lobposaunen zu blasen -- um mir bange zu machen, die Debütantin würde mich verdunkeln. Tieck studirte ihr eifrig meine liebsten Rollen ein. Schon sprach man von dem "neuen Liebling" des Dramaturgen und daß der alte nun endlich auch in Ungnade gefallen sei. Und dann trat die Grazerin auf und -- fiel mit Glanz durch.
Leben. Ich konnte, ich wollte, ich durfte mich nicht immer und immer wieder den Launen des Dramaturgen opfern. Die Mutter war bei all' den Heinrichen, Richards und Spaniern zuletzt ſo nervös geworden, daß ich ſie nach einigen Jahren auch nicht mehr zu kleinen Luſtſpielen auf den Opferſtuhl vor Tieck's Leſepult führen durfte. Ich ſelber war verſchiedene Male von den grünbeſchirmten geheimen Polizeiaugen der Gräfin Finkenſtein bei einem Gähnkampf auf Leben und Tod gegen einen nicht umzu¬ bringenden ſpaniſchen Don ertappt worden. Ja — ich muß es geſtehen — ich benützte im Kreislauf der Jahre und der wiederkehrenden Vorleſungen immer öfter und lieber Gelegenheiten, dem Leſepult hinter die Schule zu gehen, ſo daß ich manche Woche nur einmal als getreue Zuhörerin notirt werden konnte. Im Eckhauſe des Alt¬ marktes ging die Gnadenſonne täglich trüber für mich nieder. Tieck wurde kühler, einſylbiger, die Gräfin ge¬ reizter, kampfluſtiger. Und dann tauchte eines Tages in Dresden ein junges Mädchen aus Graz auf und Herr v. Lüttichau, Tieck, die Gräfin Finkenſtein und die Zahl ihrer Nachbeter wurden nicht müde, täglich zu Ehren dieſes jungen, glänzenden Schauſpieltalentes lauter in die Lobpoſaunen zu blaſen — um mir bange zu machen, die Debütantin würde mich verdunkeln. Tieck ſtudirte ihr eifrig meine liebſten Rollen ein. Schon ſprach man von dem »neuen Liebling« des Dramaturgen und daß der alte nun endlich auch in Ungnade gefallen ſei. Und dann trat die Grazerin auf und — fiel mit Glanz durch.
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Leben. Ich konnte, ich wollte, ich durfte mich nicht
immer und immer wieder den Launen des Dramaturgen
opfern. Die Mutter war bei all' den Heinrichen, Richards
und Spaniern zuletzt ſo nervös geworden, daß ich ſie nach
einigen Jahren auch nicht mehr zu kleinen Luſtſpielen auf
den Opferſtuhl vor Tieck's Leſepult führen durfte. Ich
ſelber war verſchiedene Male von den grünbeſchirmten
geheimen Polizeiaugen der Gräfin Finkenſtein bei einem
Gähnkampf auf Leben und Tod gegen einen nicht umzu¬
bringenden ſpaniſchen Don ertappt worden. Ja — ich
muß es geſtehen — ich benützte im Kreislauf der Jahre
und der wiederkehrenden Vorleſungen immer öfter und
lieber Gelegenheiten, dem Leſepult hinter die Schule zu
gehen, ſo daß ich manche Woche nur einmal als getreue
Zuhörerin notirt werden konnte. Im Eckhauſe des Alt¬
marktes ging die Gnadenſonne täglich trüber für mich
nieder. Tieck wurde kühler, einſylbiger, die Gräfin ge¬
reizter, kampfluſtiger. Und dann tauchte eines Tages
in Dresden ein junges Mädchen aus Graz auf und Herr
v. Lüttichau, Tieck, die Gräfin Finkenſtein und die Zahl
ihrer Nachbeter wurden nicht müde, täglich zu Ehren
dieſes jungen, glänzenden Schauſpieltalentes lauter in die
Lobpoſaunen zu blaſen — um mir bange zu machen, die
Debütantin würde mich verdunkeln. Tieck ſtudirte ihr
eifrig meine liebſten Rollen ein. Schon ſprach man von
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alte nun endlich auch in Ungnade gefallen ſei. Und
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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