Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Agnes: "Blutig? Schwester, um Gotteswillen,
sieh' die alte Hexe! Wie sie ihr Gesicht verzogen hat!
Sieh', Schwester!"

Mechtilde: "Kind, was ist Dir?"

Agnes: "Blutig, sagst Du? Ja, blutig, Du
wildes Scheusal, Blutig ist euer Leben, ihr Schlächter,
ihr gräßlichen Mörder, Fort, ich mag Dein grinsendes
Antlitz nicht mir gegenüber."

Mechtilde: "Das sind ja ganz besondere Einfälle."
(Geht.)

Anna: "Schwester, mäßige Dich doch!"

Agnes: "Du hast es nicht gesehen, wie sie sich
unter der Erzählung verwandelte!"

Anna: "Du bist erhitzt, das sind Einbildungen."

Agnes: "Nun, warum spricht sie auch von Blut?
Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden ..."

Beim Beginn der Märchenßene lüftete die Gräfin
Finkenstein stets ihren grünen Augenschirm und schaute
die unglücklichen, ahnungslosen Fremden mit siegessicheren
Falkenblicken an ... O, sie konnte der armen Opfer
auch sicher sein. Denn dem entsetzten Aufschrei von
Agnes: "Blutig?" aus Tieck's Munde hat kein Ohr,
kein Herz widerstanden, Und welch' ein Entzücken,
welch ein Triumph strahlte dann zwischen den zitternden
Tüllrüschen, wenn ihre Opfer, wie von einer Todtenhand
geschüttelt, zusammenfuhren und ein Frösteln selbst durch
die Reihen der gewohnten Zuhörer lief ... Aber als ich
dann dies "Blutig?" ein Dutzend Mal schauernd gehört

Agnes: »Blutig? Schweſter, um Gotteswillen,
ſieh' die alte Hexe! Wie ſie ihr Geſicht verzogen hat!
Sieh', Schweſter!«

Mechtilde: »Kind, was iſt Dir?«

Agnes: »Blutig, ſagſt Du? Ja, blutig, Du
wildes Scheuſal, Blutig iſt euer Leben, ihr Schlächter,
ihr gräßlichen Mörder, Fort, ich mag Dein grinſendes
Antlitz nicht mir gegenüber.«

Mechtilde: »Das ſind ja ganz beſondere Einfälle.«
(Geht.)

Anna: »Schweſter, mäßige Dich doch!«

Agnes: »Du haſt es nicht geſehen, wie ſie ſich
unter der Erzählung verwandelte!«

Anna: »Du biſt erhitzt, das ſind Einbildungen.«

Agnes: »Nun, warum ſpricht ſie auch von Blut?
Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden …«

Beim Beginn der Märchenſzene lüftete die Gräfin
Finkenſtein ſtets ihren grünen Augenſchirm und ſchaute
die unglücklichen, ahnungsloſen Fremden mit ſiegesſicheren
Falkenblicken an … O, ſie konnte der armen Opfer
auch ſicher ſein. Denn dem entſetzten Aufſchrei von
Agnes: »Blutig?« aus Tieck's Munde hat kein Ohr,
kein Herz widerſtanden, Und welch' ein Entzücken,
welch ein Triumph ſtrahlte dann zwiſchen den zitternden
Tüllrüſchen, wenn ihre Opfer, wie von einer Todtenhand
geſchüttelt, zuſammenfuhren und ein Fröſteln ſelbſt durch
die Reihen der gewohnten Zuhörer lief … Aber als ich
dann dies »Blutig?« ein Dutzend Mal ſchauernd gehört

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0430" n="402"/>
        <p>Agnes: »<hi rendition="#g">Blutig</hi>? Schwe&#x017F;ter, um Gotteswillen,<lb/>
&#x017F;ieh' die alte Hexe! Wie &#x017F;ie ihr Ge&#x017F;icht verzogen hat!<lb/>
Sieh', Schwe&#x017F;ter!«</p><lb/>
        <p>Mechtilde: »Kind, was i&#x017F;t Dir?«</p><lb/>
        <p>Agnes: »<hi rendition="#g">Blutig</hi>, &#x017F;ag&#x017F;t Du? Ja, <hi rendition="#g">blutig</hi>, Du<lb/>
wildes Scheu&#x017F;al, <hi rendition="#g">Blutig</hi> i&#x017F;t euer Leben, ihr Schlächter,<lb/>
ihr gräßlichen Mörder, Fort, ich mag Dein grin&#x017F;endes<lb/>
Antlitz nicht mir gegenüber.«</p><lb/>
        <p>Mechtilde: »Das &#x017F;ind ja ganz be&#x017F;ondere Einfälle.«<lb/>
(Geht.)</p><lb/>
        <p>Anna: »Schwe&#x017F;ter, mäßige Dich doch!«</p><lb/>
        <p>Agnes: »Du ha&#x017F;t es nicht ge&#x017F;ehen, wie &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
unter der Erzählung verwandelte!«</p><lb/>
        <p>Anna: »Du bi&#x017F;t erhitzt, das &#x017F;ind Einbildungen.«</p><lb/>
        <p>Agnes: »Nun, warum &#x017F;pricht &#x017F;ie auch von <hi rendition="#g">Blut</hi>?<lb/>
Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden &#x2026;«</p><lb/>
        <p>Beim Beginn der Märchen&#x017F;zene lüftete die Gräfin<lb/>
Finken&#x017F;tein &#x017F;tets ihren grünen Augen&#x017F;chirm und &#x017F;chaute<lb/>
die unglücklichen, ahnungslo&#x017F;en Fremden mit &#x017F;ieges&#x017F;icheren<lb/>
Falkenblicken an &#x2026; O, &#x017F;ie konnte der armen Opfer<lb/>
auch &#x017F;icher &#x017F;ein. Denn dem ent&#x017F;etzten Auf&#x017F;chrei von<lb/>
Agnes: »Blutig?« aus Tieck's Munde hat kein Ohr,<lb/>
kein Herz wider&#x017F;tanden, Und welch' ein Entzücken,<lb/>
welch ein Triumph &#x017F;trahlte dann zwi&#x017F;chen den zitternden<lb/>
Tüllrü&#x017F;chen, wenn ihre Opfer, wie von einer Todtenhand<lb/>
ge&#x017F;chüttelt, zu&#x017F;ammenfuhren und ein Frö&#x017F;teln &#x017F;elb&#x017F;t durch<lb/>
die Reihen der gewohnten Zuhörer lief &#x2026; Aber als ich<lb/>
dann dies »Blutig?« ein Dutzend Mal &#x017F;chauernd gehört<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0430] Agnes: »Blutig? Schweſter, um Gotteswillen, ſieh' die alte Hexe! Wie ſie ihr Geſicht verzogen hat! Sieh', Schweſter!« Mechtilde: »Kind, was iſt Dir?« Agnes: »Blutig, ſagſt Du? Ja, blutig, Du wildes Scheuſal, Blutig iſt euer Leben, ihr Schlächter, ihr gräßlichen Mörder, Fort, ich mag Dein grinſendes Antlitz nicht mir gegenüber.« Mechtilde: »Das ſind ja ganz beſondere Einfälle.« (Geht.) Anna: »Schweſter, mäßige Dich doch!« Agnes: »Du haſt es nicht geſehen, wie ſie ſich unter der Erzählung verwandelte!« Anna: »Du biſt erhitzt, das ſind Einbildungen.« Agnes: »Nun, warum ſpricht ſie auch von Blut? Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden …« Beim Beginn der Märchenſzene lüftete die Gräfin Finkenſtein ſtets ihren grünen Augenſchirm und ſchaute die unglücklichen, ahnungsloſen Fremden mit ſiegesſicheren Falkenblicken an … O, ſie konnte der armen Opfer auch ſicher ſein. Denn dem entſetzten Aufſchrei von Agnes: »Blutig?« aus Tieck's Munde hat kein Ohr, kein Herz widerſtanden, Und welch' ein Entzücken, welch ein Triumph ſtrahlte dann zwiſchen den zitternden Tüllrüſchen, wenn ihre Opfer, wie von einer Todtenhand geſchüttelt, zuſammenfuhren und ein Fröſteln ſelbſt durch die Reihen der gewohnten Zuhörer lief … Aber als ich dann dies »Blutig?« ein Dutzend Mal ſchauernd gehört

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/430
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/430>, abgerufen am 15.05.2024.