hierin zu einer Meisterschaft gebracht, wovon unsere heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie stammte aus der alten klassischen, ernsthaften Schule von Ludwig Schröder in Hamburg und hat diese nie verleugnet. Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt und -- vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in reinster Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬ sichtlichkeit und langem, mühsamen Studium nichts merkte, -- -- das war eben die nie übertroffene Kunst von Sophie Schröder. Mit diesem wunderbaren Vor¬ trage gingen ihre seelenvolle Mimik und klassische Plastik Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur diesem Lieblinge der Musen und Grazien so bitterwenig Hülfs¬ mittel und Zehrung mit auf die Reise über die bretterne Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals schon 45jährige Schröder in der Probe zur "Medea" zum ersten Mal mitten im alltäglichen Leben sah, erschrak ich förmlich. War diese kleine, dicke, starkknochige Frau mit dem robusten Gesicht und der kurzen starken Nase, -- im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen ... die königliche, ideale, berauschende Sappho von gestern Abend? Nichts erinnerte mehr an die -- Auferstandene des schönen Griechenthums, als das seelenvolle, große, leuchtende Auge.
Freund Krüger, der den Jason geben sollte, sah mein Erstaunen. Er lächelte: "Nur Geduld -- Sie werden trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige Schwester der Sappho wiederfinden. Als er mich dann
hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet. Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt und — vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬ ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts merkte, — — das war eben die nie übertroffene Kunſt von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬ trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬ mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur »Medea« zum erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe, — im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen … die königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend? Nichts erinnerte mehr an die — Auferſtandene des ſchönen Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge.
Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein Erſtaunen. Er lächelte: »Nur Geduld — Sie werden trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige Schweſter der Sappho wiederfinden. Als er mich dann
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0353"n="325"/>
hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere<lb/>
heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte<lb/>
aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig<lb/>
Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet.<lb/>
Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt<lb/>
und — vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in<lb/>
reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬<lb/>ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts<lb/>
merkte, —— das war eben die nie übertroffene Kunſt<lb/>
von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬<lb/>
trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik<lb/>
Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem<lb/>
Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬<lb/>
mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne<lb/>
Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals<lb/>ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur »Medea« zum<lb/>
erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak<lb/>
ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau<lb/>
mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe,<lb/>— im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten<lb/>
Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen … die<lb/>
königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend?<lb/>
Nichts erinnerte mehr an die — Auferſtandene des ſchönen<lb/>
Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge.</p><lb/><p>Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein<lb/>
Erſtaunen. Er lächelte: »Nur Geduld — Sie werden<lb/>
trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige<lb/>
Schweſter der Sappho wiederfinden. Als er mich dann<lb/></p></div></body></text></TEI>
[325/0353]
hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere
heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte
aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig
Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet.
Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt
und — vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in
reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬
ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts
merkte, — — das war eben die nie übertroffene Kunſt
von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬
trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik
Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem
Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬
mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne
Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals
ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur »Medea« zum
erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak
ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau
mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe,
— im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten
Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen … die
königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend?
Nichts erinnerte mehr an die — Auferſtandene des ſchönen
Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge.
Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein
Erſtaunen. Er lächelte: »Nur Geduld — Sie werden
trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige
Schweſter der Sappho wiederfinden. Als er mich dann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/353>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.