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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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hierin zu einer Meisterschaft gebracht, wovon unsere
heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie stammte
aus der alten klassischen, ernsthaften Schule von Ludwig
Schröder in Hamburg und hat diese nie verleugnet.
Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt
und -- vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in
reinster Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬
sichtlichkeit und langem, mühsamen Studium nichts
merkte, -- -- das war eben die nie übertroffene Kunst
von Sophie Schröder. Mit diesem wunderbaren Vor¬
trage gingen ihre seelenvolle Mimik und klassische Plastik
Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur diesem
Lieblinge der Musen und Grazien so bitterwenig Hülfs¬
mittel und Zehrung mit auf die Reise über die bretterne
Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals
schon 45jährige Schröder in der Probe zur "Medea" zum
ersten Mal mitten im alltäglichen Leben sah, erschrak
ich förmlich. War diese kleine, dicke, starkknochige Frau
mit dem robusten Gesicht und der kurzen starken Nase,
-- im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten
Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen ... die
königliche, ideale, berauschende Sappho von gestern Abend?
Nichts erinnerte mehr an die -- Auferstandene des schönen
Griechenthums, als das seelenvolle, große, leuchtende Auge.

Freund Krüger, der den Jason geben sollte, sah mein
Erstaunen. Er lächelte: "Nur Geduld -- Sie werden
trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige
Schwester der Sappho wiederfinden. Als er mich dann

hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere
heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte
aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig
Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet.
Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt
und — vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in
reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬
ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts
merkte, — — das war eben die nie übertroffene Kunſt
von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬
trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik
Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem
Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬
mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne
Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals
ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur »Medea« zum
erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak
ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau
mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe,
— im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten
Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen … die
königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend?
Nichts erinnerte mehr an die — Auferſtandene des ſchönen
Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge.

Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein
Erſtaunen. Er lächelte: »Nur Geduld — Sie werden
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[325/0353] hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet. Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt und — vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬ ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts merkte, — — das war eben die nie übertroffene Kunſt von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬ trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬ mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur »Medea« zum erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe, — im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen … die königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend? Nichts erinnerte mehr an die — Auferſtandene des ſchönen Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge. Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein Erſtaunen. Er lächelte: »Nur Geduld — Sie werden trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige Schweſter der Sappho wiederfinden. Als er mich dann

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/353>, abgerufen am 22.11.2024.