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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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der Schröder als ihre "Kreusa" vorstellte, reichte sie mir
herzlich die Hand und ein mildes, wohlwollendes Lächeln
verschönte ihre unregelmäßigen Züge, indem sie, meine
Befangenheit bemerkend, mir sagte, wie viel Schönes sie
schon über mein Talent gehört habe.

Und Krüger hatte Recht. Schon nach meiner ersten
Szene mit Medea hatte Kreusa -- die Kreuzbänder, das
kurze Indiennekleid, das kokette Häubchen und die ganze
Unschönheit ihrer Medea total vergessen. Und das war
gerade der Zauber ihrer Kunst. Wie wenig äußerliche
Schönheit sie in die Theater-Garderobe mitbrachte, spricht
sich am deutlichsten in dem bekannten Wort König Lud¬
wig's I. von Bayern aus: "Schröder, Ihre ganze Grazie
liegt in Ihrem griechischen Oberarm!"

Ein solcher Beifallssturm, wie am Abend der Vor¬
stellung nach den Worten:

"Zurück, wer wagt's Medeen zu berühren!"
losbrach, soll im Berliner Opernhause noch nie gehört
sein, und noch heute steht die grauenhaft schöne, dämo¬
nische Zauberin Medea lebensvoll vor meinen Geistesaugen.

Sie gab die "Isabella" in der "Braut von
Messina" -- ich die "Beatrice" -- und in diesem Augen¬
blicke, wo mein erinnerungswehmüthiges, altes Herz
sehnsüchtig in jene Zeiten zurücktaucht, höre ich Isa¬
bella's markdurchdringenden, herzerschütternden Schrei
im letzten Akt:

"Er ist mein Sohn!"

der Schröder als ihre »Kreuſa« vorſtellte, reichte ſie mir
herzlich die Hand und ein mildes, wohlwollendes Lächeln
verſchönte ihre unregelmäßigen Züge, indem ſie, meine
Befangenheit bemerkend, mir ſagte, wie viel Schönes ſie
ſchon über mein Talent gehört habe.

Und Krüger hatte Recht. Schon nach meiner erſten
Szene mit Medea hatte Kreuſa — die Kreuzbänder, das
kurze Indiennekleid, das kokette Häubchen und die ganze
Unſchönheit ihrer Medea total vergeſſen. Und das war
gerade der Zauber ihrer Kunſt. Wie wenig äußerliche
Schönheit ſie in die Theater-Garderobe mitbrachte, ſpricht
ſich am deutlichſten in dem bekannten Wort König Lud¬
wig's I. von Bayern aus: »Schröder, Ihre ganze Grazie
liegt in Ihrem griechiſchen Oberarm!«

Ein ſolcher Beifallsſturm, wie am Abend der Vor¬
ſtellung nach den Worten:

»Zurück, wer wagt's Medeen zu berühren!«
losbrach, ſoll im Berliner Opernhauſe noch nie gehört
ſein, und noch heute ſteht die grauenhaft ſchöne, dämo¬
niſche Zauberin Medea lebensvoll vor meinen Geiſtesaugen.

Sie gab die »Iſabella« in der »Braut von
Meſſina« — ich die »Beatrice« — und in dieſem Augen¬
blicke, wo mein erinnerungswehmüthiges, altes Herz
ſehnſüchtig in jene Zeiten zurücktaucht, höre ich Iſa¬
bella's markdurchdringenden, herzerſchütternden Schrei
im letzten Akt:

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[326/0354] der Schröder als ihre »Kreuſa« vorſtellte, reichte ſie mir herzlich die Hand und ein mildes, wohlwollendes Lächeln verſchönte ihre unregelmäßigen Züge, indem ſie, meine Befangenheit bemerkend, mir ſagte, wie viel Schönes ſie ſchon über mein Talent gehört habe. Und Krüger hatte Recht. Schon nach meiner erſten Szene mit Medea hatte Kreuſa — die Kreuzbänder, das kurze Indiennekleid, das kokette Häubchen und die ganze Unſchönheit ihrer Medea total vergeſſen. Und das war gerade der Zauber ihrer Kunſt. Wie wenig äußerliche Schönheit ſie in die Theater-Garderobe mitbrachte, ſpricht ſich am deutlichſten in dem bekannten Wort König Lud¬ wig's I. von Bayern aus: »Schröder, Ihre ganze Grazie liegt in Ihrem griechiſchen Oberarm!« Ein ſolcher Beifallsſturm, wie am Abend der Vor¬ ſtellung nach den Worten: »Zurück, wer wagt's Medeen zu berühren!« losbrach, ſoll im Berliner Opernhauſe noch nie gehört ſein, und noch heute ſteht die grauenhaft ſchöne, dämo¬ niſche Zauberin Medea lebensvoll vor meinen Geiſtesaugen. Sie gab die »Iſabella« in der »Braut von Meſſina« — ich die »Beatrice« — und in dieſem Augen¬ blicke, wo mein erinnerungswehmüthiges, altes Herz ſehnſüchtig in jene Zeiten zurücktaucht, höre ich Iſa¬ bella's markdurchdringenden, herzerſchütternden Schrei im letzten Akt: »Er iſt mein Sohn!«

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/354>, abgerufen am 17.05.2024.