Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

dichtgefüllten Opernhauses in glühender Spannung das
Erscheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den
überwältigenden Eindruck vergessen, als Sappho, im
weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz,
auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden
wollenden Jubel des ganzen großen Hauses -- imposant,
majestätisch wie eine Königin des idealen klassischen
Griechenthums -- edel, berauschend, anbetungswürdig,
wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬
geisterte Dichterin auf der prächtigen Szene erschien ...
Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen
im Kreise umher und von ihren Lippen klang es wie
Musik:

"Dank, Freunde, Dank!
Um Euretwillen freut mich dieser Kranz ..."
-- Dann schwoll ihre herrliche sonore, so überaus mo¬
dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört
habe, gleich Orgelton an, bis sie in voller, seltener
Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬
rauschte. Und wie erschütternd -- überwältigend klang
dann ihr Schmerzensgrollen:

"Undank! Undank!
Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!"

Wer da nicht sein Herz in allen Fibern erbeben
fühlte -- der hatte eben kein Herz!

Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptstärke; sie hatte
aus der edlen Redekunst ihr ganzes Bühnenleben lang
ein ernstes, unermüdliches Studium gemacht und es

dichtgefüllten Opernhauſes in glühender Spannung das
Erſcheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den
überwältigenden Eindruck vergeſſen, als Sappho, im
weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz,
auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden
wollenden Jubel des ganzen großen Hauſes — impoſant,
majeſtätiſch wie eine Königin des idealen klaſſiſchen
Griechenthums — edel, berauſchend, anbetungswürdig,
wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬
geiſterte Dichterin auf der prächtigen Szene erſchien …
Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen
im Kreiſe umher und von ihren Lippen klang es wie
Muſik:

»Dank, Freunde, Dank!
Um Euretwillen freut mich dieſer Kranz …«
— Dann ſchwoll ihre herrliche ſonore, ſo überaus mo¬
dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört
habe, gleich Orgelton an, bis ſie in voller, ſeltener
Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬
rauſchte. Und wie erſchütternd — überwältigend klang
dann ihr Schmerzensgrollen:

»Undank! Undank!
Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!«

Wer da nicht ſein Herz in allen Fibern erbeben
fühlte — der hatte eben kein Herz!

Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptſtärke; ſie hatte
aus der edlen Redekunſt ihr ganzes Bühnenleben lang
ein ernſtes, unermüdliches Studium gemacht und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0352" n="324"/>
dichtgefüllten Opernhau&#x017F;es in glühender Spannung das<lb/>
Er&#x017F;cheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den<lb/>
überwältigenden Eindruck verge&#x017F;&#x017F;en, als Sappho, im<lb/>
weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz,<lb/>
auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden<lb/>
wollenden Jubel des ganzen großen Hau&#x017F;es &#x2014; impo&#x017F;ant,<lb/>
maje&#x017F;täti&#x017F;ch wie eine Königin des idealen kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Griechenthums &#x2014; edel, berau&#x017F;chend, anbetungswürdig,<lb/>
wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬<lb/>
gei&#x017F;terte Dichterin auf der prächtigen Szene er&#x017F;chien &#x2026;<lb/>
Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen<lb/>
im Krei&#x017F;e umher und von ihren Lippen klang es wie<lb/>
Mu&#x017F;ik:<lb/><lg type="poem"><l>»Dank, Freunde, Dank!</l><lb/><l>Um Euretwillen freut mich die&#x017F;er Kranz &#x2026;«</l><lb/></lg> &#x2014; Dann &#x017F;chwoll ihre herrliche &#x017F;onore, &#x017F;o überaus mo¬<lb/>
dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört<lb/>
habe, gleich Orgelton an, bis &#x017F;ie in voller, &#x017F;eltener<lb/>
Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬<lb/>
rau&#x017F;chte. Und wie er&#x017F;chütternd &#x2014; überwältigend klang<lb/>
dann ihr Schmerzensgrollen:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>»Undank! Undank!</l><lb/>
          <l>Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!«</l><lb/>
        </lg>
        <p>Wer da nicht &#x017F;ein Herz in allen Fibern erbeben<lb/>
fühlte &#x2014; der hatte eben kein Herz!</p><lb/>
        <p>Ja, ihr Vortrag war ihre Haupt&#x017F;tärke; &#x017F;ie hatte<lb/>
aus der edlen Redekun&#x017F;t ihr ganzes Bühnenleben lang<lb/>
ein ern&#x017F;tes, unermüdliches Studium gemacht und es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0352] dichtgefüllten Opernhauſes in glühender Spannung das Erſcheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den überwältigenden Eindruck vergeſſen, als Sappho, im weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz, auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden wollenden Jubel des ganzen großen Hauſes — impoſant, majeſtätiſch wie eine Königin des idealen klaſſiſchen Griechenthums — edel, berauſchend, anbetungswürdig, wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬ geiſterte Dichterin auf der prächtigen Szene erſchien … Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen im Kreiſe umher und von ihren Lippen klang es wie Muſik: »Dank, Freunde, Dank! Um Euretwillen freut mich dieſer Kranz …« — Dann ſchwoll ihre herrliche ſonore, ſo überaus mo¬ dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört habe, gleich Orgelton an, bis ſie in voller, ſeltener Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬ rauſchte. Und wie erſchütternd — überwältigend klang dann ihr Schmerzensgrollen: »Undank! Undank! Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!« Wer da nicht ſein Herz in allen Fibern erbeben fühlte — der hatte eben kein Herz! Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptſtärke; ſie hatte aus der edlen Redekunſt ihr ganzes Bühnenleben lang ein ernſtes, unermüdliches Studium gemacht und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/352
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/352>, abgerufen am 17.05.2024.