dichtgefüllten Opernhauses in glühender Spannung das Erscheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den überwältigenden Eindruck vergessen, als Sappho, im weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz, auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden wollenden Jubel des ganzen großen Hauses -- imposant, majestätisch wie eine Königin des idealen klassischen Griechenthums -- edel, berauschend, anbetungswürdig, wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬ geisterte Dichterin auf der prächtigen Szene erschien ... Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen im Kreise umher und von ihren Lippen klang es wie Musik:
"Dank, Freunde, Dank! Um Euretwillen freut mich dieser Kranz ..."
-- Dann schwoll ihre herrliche sonore, so überaus mo¬ dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört habe, gleich Orgelton an, bis sie in voller, seltener Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬ rauschte. Und wie erschütternd -- überwältigend klang dann ihr Schmerzensgrollen:
"Undank! Undank! Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!"
Wer da nicht sein Herz in allen Fibern erbeben fühlte -- der hatte eben kein Herz!
Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptstärke; sie hatte aus der edlen Redekunst ihr ganzes Bühnenleben lang ein ernstes, unermüdliches Studium gemacht und es
dichtgefüllten Opernhauſes in glühender Spannung das Erſcheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den überwältigenden Eindruck vergeſſen, als Sappho, im weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz, auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden wollenden Jubel des ganzen großen Hauſes — impoſant, majeſtätiſch wie eine Königin des idealen klaſſiſchen Griechenthums — edel, berauſchend, anbetungswürdig, wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬ geiſterte Dichterin auf der prächtigen Szene erſchien … Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen im Kreiſe umher und von ihren Lippen klang es wie Muſik:
»Dank, Freunde, Dank! Um Euretwillen freut mich dieſer Kranz …«
— Dann ſchwoll ihre herrliche ſonore, ſo überaus mo¬ dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört habe, gleich Orgelton an, bis ſie in voller, ſeltener Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬ rauſchte. Und wie erſchütternd — überwältigend klang dann ihr Schmerzensgrollen:
»Undank! Undank! Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!«
Wer da nicht ſein Herz in allen Fibern erbeben fühlte — der hatte eben kein Herz!
Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptſtärke; ſie hatte aus der edlen Redekunſt ihr ganzes Bühnenleben lang ein ernſtes, unermüdliches Studium gemacht und es
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dichtgefüllten Opernhauſes in glühender Spannung das
Erſcheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den
überwältigenden Eindruck vergeſſen, als Sappho, im
weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz,
auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden
wollenden Jubel des ganzen großen Hauſes — impoſant,
majeſtätiſch wie eine Königin des idealen klaſſiſchen
Griechenthums — edel, berauſchend, anbetungswürdig,
wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬
geiſterte Dichterin auf der prächtigen Szene erſchien …
Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen
im Kreiſe umher und von ihren Lippen klang es wie
Muſik:
»Dank, Freunde, Dank!
Um Euretwillen freut mich dieſer Kranz …«
— Dann ſchwoll ihre herrliche ſonore, ſo überaus mo¬
dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört
habe, gleich Orgelton an, bis ſie in voller, ſeltener
Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬
rauſchte. Und wie erſchütternd — überwältigend klang
dann ihr Schmerzensgrollen:
»Undank! Undank!
Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?!«
Wer da nicht ſein Herz in allen Fibern erbeben
fühlte — der hatte eben kein Herz!
Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptſtärke; ſie hatte
aus der edlen Redekunſt ihr ganzes Bühnenleben lang
ein ernſtes, unermüdliches Studium gemacht und es
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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