Winter, -- fünfter Abend Käthchen von Heilbronn, sechster der kostümirte Ball -- siebenter Morgens Probe von der Braut vom Kynast, Abends Benefizvorstellung vom Tyran domestique der französischen Truppe, den achten Tag Vorstellung der Kynastbraut, eine hochtra¬ gische, anstrengende Rolle: ich sehe meine Freier ganz ruhig von der Ringmauer stürzen, bis der wirklich Ge¬ liebte den Ritt wagen will ... Genug, ich war total erschöpft und ließ mich nicht mehr überreden, an allen Vergnügungen Theil zu nehmen
Doch alle Zerstreuungen, alle Kunstgenüsse ver¬ mochten nie das lebhafte Interesse der Petersburger an der kaiserlichen Familie zu verdrängen. Diese enthusiastische Verehrung bildete das eigentliche Lebensprinzip der Peters¬ burger. Unwillkürlich schlossen wir uns diesem Kultus an und lauschten bald jeder Anekdote, jeder Mittheilung über die hohen Herrschaften mit gleichem Interesse.
Da vernahm man, wie Bildhauer Wichmann aus Berlin, der die lebensgroße Statue der Kaiserin aus¬ führte, gerührt, entzückt erzählte: der Kaiser habe bei Besichtigung der Arbeit ausgerufen: "Ja, ja, das sind die edlen Züge meiner Matuschka (Mütterchen) -- das ist das klassische Profil meiner Alexandra, der herrliche Nacken ... So recht, Wichmann, Sie schaffen ein erhabenes Kunstwerk!" ... und wie dann die Kaiserin fröhlich über das gespendete Lob die Wangen ihres Gemahls gestreichelt, er sie iu des Künstlers Gegenwart echt bürgerlich an's Herz gedrückt und zärtlich wie ein Bräutigam geküßt habe.
Winter, — fünfter Abend Käthchen von Heilbronn, ſechſter der koſtümirte Ball — ſiebenter Morgens Probe von der Braut vom Kynaſt, Abends Benefizvorſtellung vom Tyran domestique der franzöſiſchen Truppe, den achten Tag Vorſtellung der Kynaſtbraut, eine hochtra¬ giſche, anſtrengende Rolle: ich ſehe meine Freier ganz ruhig von der Ringmauer ſtürzen, bis der wirklich Ge¬ liebte den Ritt wagen will … Genug, ich war total erſchöpft und ließ mich nicht mehr überreden, an allen Vergnügungen Theil zu nehmen
Doch alle Zerſtreuungen, alle Kunſtgenüſſe ver¬ mochten nie das lebhafte Intereſſe der Petersburger an der kaiſerlichen Familie zu verdrängen. Dieſe enthuſiaſtiſche Verehrung bildete das eigentliche Lebensprinzip der Peters¬ burger. Unwillkürlich ſchloſſen wir uns dieſem Kultus an und lauſchten bald jeder Anekdote, jeder Mittheilung über die hohen Herrſchaften mit gleichem Intereſſe.
Da vernahm man, wie Bildhauer Wichmann aus Berlin, der die lebensgroße Statue der Kaiſerin aus¬ führte, gerührt, entzückt erzählte: der Kaiſer habe bei Beſichtigung der Arbeit ausgerufen: »Ja, ja, das ſind die edlen Züge meiner Matuſchka (Mütterchen) — das iſt das klaſſiſche Profil meiner Alexandra, der herrliche Nacken … So recht, Wichmann, Sie ſchaffen ein erhabenes Kunſtwerk!« … und wie dann die Kaiſerin fröhlich über das geſpendete Lob die Wangen ihres Gemahls geſtreichelt, er ſie iu des Künſtlers Gegenwart echt bürgerlich an's Herz gedrückt und zärtlich wie ein Bräutigam geküßt habe.
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Winter, — fünfter Abend Käthchen von Heilbronn,
ſechſter der koſtümirte Ball — ſiebenter Morgens Probe
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vom Tyran domestique der franzöſiſchen Truppe, den
achten Tag Vorſtellung der Kynaſtbraut, eine hochtra¬
giſche, anſtrengende Rolle: ich ſehe meine Freier ganz
ruhig von der Ringmauer ſtürzen, bis der wirklich Ge¬
liebte den Ritt wagen will … Genug, ich war total
erſchöpft und ließ mich nicht mehr überreden, an allen
Vergnügungen Theil zu nehmen
Doch alle Zerſtreuungen, alle Kunſtgenüſſe ver¬
mochten nie das lebhafte Intereſſe der Petersburger an
der kaiſerlichen Familie zu verdrängen. Dieſe enthuſiaſtiſche
Verehrung bildete das eigentliche Lebensprinzip der Peters¬
burger. Unwillkürlich ſchloſſen wir uns dieſem Kultus
an und lauſchten bald jeder Anekdote, jeder Mittheilung
über die hohen Herrſchaften mit gleichem Intereſſe.
Da vernahm man, wie Bildhauer Wichmann aus
Berlin, der die lebensgroße Statue der Kaiſerin aus¬
führte, gerührt, entzückt erzählte: der Kaiſer habe bei
Beſichtigung der Arbeit ausgerufen: »Ja, ja, das ſind
die edlen Züge meiner Matuſchka (Mütterchen) — das
iſt das klaſſiſche Profil meiner Alexandra, der herrliche
Nacken … So recht, Wichmann, Sie ſchaffen ein erhabenes
Kunſtwerk!« … und wie dann die Kaiſerin fröhlich über
das geſpendete Lob die Wangen ihres Gemahls geſtreichelt,
er ſie iu des Künſtlers Gegenwart echt bürgerlich an's Herz
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/272>, abgerufen am 23.11.2024.
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