Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Und nun zum Abschiede von der prächtigen Czaren¬
stadt einige frohmüthigere Bilder aus dem geselligen
Leben.

Auf liebenswürdigere Weise habe ich, nirdends Gast¬
freundschaft ausüben sehen und nie wohlwollendere
Menschen getroffen, als in Petersburg. Da war von
den sonst so verbreiteten Dornen und Dörnchen der Ge¬
selligkeit: von Neid, Klatscherei, Verleumdung keine Spur!
Die ominösen "on dit" wurden nicht boshaft oder unbe¬
sonnen erzählt, oder gar entstellt -- nein! stets klang
eine Entschuldigung zwischendurch, und die circonstances
attenuantes
wurden taktvoll hervorgehoben. Wie oft
mußte ich, nach Deuschland zurückgekehrt, vernehmen,
wenn ich diese Tugend der Petersburger, der echten
Russen wie der Angesiedelten, lobend erwähnte: dies Be¬
gütigen beruht mehr auf Gleichgültigkeit, man hat nicht
Zeit, an Andere zu denken, beschäftigt sich nur mit dem
geliebten Ich ... O, wie bitter oft sollte ich noch Ur¬
sache haben, bei mir zu denken: wie gut, wie erquickend
wäre es, wenn auch anderwärts solche Gleichgültigkeit
sich einbürgern wollte! -- Wie würde der gesellige Ver¬
kehr sich gemüthlicher, erfrischender gestalten, wenn man
nicht durch neugieriges Ueberwachtwerden, durch nadel¬
stichartige Bemerkungen gezwungen würde, sich stets auf
der Defensive zu halten! ...

Selbst der Sommer bot in Petersburg reiche ge¬
sellige Annehmlichkeiten. Befreundete Familien, welche
ihren Wohnsitz in der Nähe der Stadt auf dem Lande

Und nun zum Abſchiede von der prächtigen Czaren¬
ſtadt einige frohmüthigere Bilder aus dem geſelligen
Leben.

Auf liebenswürdigere Weiſe habe ich, nirdends Gaſt¬
freundſchaft ausüben ſehen und nie wohlwollendere
Menſchen getroffen, als in Petersburg. Da war von
den ſonſt ſo verbreiteten Dornen und Dörnchen der Ge¬
ſelligkeit: von Neid, Klatſcherei, Verleumdung keine Spur!
Die ominöſen »on dit« wurden nicht boshaft oder unbe¬
ſonnen erzählt, oder gar entſtellt — nein! ſtets klang
eine Entſchuldigung zwiſchendurch, und die circonstances
attenuantes
wurden taktvoll hervorgehoben. Wie oft
mußte ich, nach Deuſchland zurückgekehrt, vernehmen,
wenn ich dieſe Tugend der Petersburger, der echten
Ruſſen wie der Angeſiedelten, lobend erwähnte: dies Be¬
gütigen beruht mehr auf Gleichgültigkeit, man hat nicht
Zeit, an Andere zu denken, beſchäftigt ſich nur mit dem
geliebten Ich … O, wie bitter oft ſollte ich noch Ur¬
ſache haben, bei mir zu denken: wie gut, wie erquickend
wäre es, wenn auch anderwärts ſolche Gleichgültigkeit
ſich einbürgern wollte! — Wie würde der geſellige Ver¬
kehr ſich gemüthlicher, erfriſchender geſtalten, wenn man
nicht durch neugieriges Ueberwachtwerden, durch nadel¬
ſtichartige Bemerkungen gezwungen würde, ſich ſtets auf
der Defenſive zu halten! …

Selbſt der Sommer bot in Petersburg reiche ge¬
ſellige Annehmlichkeiten. Befreundete Familien, welche
ihren Wohnſitz in der Nähe der Stadt auf dem Lande

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0267" n="239"/>
        <p>Und nun zum Ab&#x017F;chiede von der prächtigen Czaren¬<lb/>
&#x017F;tadt einige frohmüthigere Bilder aus dem ge&#x017F;elligen<lb/>
Leben.</p><lb/>
        <p>Auf liebenswürdigere Wei&#x017F;e habe ich, nirdends Ga&#x017F;<lb/>
freund&#x017F;chaft ausüben &#x017F;ehen und nie wohlwollendere<lb/>
Men&#x017F;chen getroffen, als in Petersburg. Da war von<lb/>
den &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o verbreiteten Dornen und Dörnchen der Ge¬<lb/>
&#x017F;elligkeit: von Neid, Klat&#x017F;cherei, Verleumdung keine Spur!<lb/>
Die ominö&#x017F;en »<hi rendition="#aq">on dit</hi>« wurden nicht boshaft oder unbe¬<lb/>
&#x017F;onnen erzählt, oder gar ent&#x017F;tellt &#x2014; nein! &#x017F;tets klang<lb/>
eine Ent&#x017F;chuldigung zwi&#x017F;chendurch, und die <hi rendition="#aq">circonstances<lb/>
attenuantes</hi> wurden taktvoll hervorgehoben. Wie oft<lb/>
mußte ich, nach Deu&#x017F;chland zurückgekehrt, vernehmen,<lb/>
wenn ich die&#x017F;e Tugend der Petersburger, der echten<lb/>
Ru&#x017F;&#x017F;en wie der Ange&#x017F;iedelten, lobend erwähnte: dies Be¬<lb/>
gütigen beruht mehr auf Gleichgültigkeit, man hat nicht<lb/>
Zeit, an Andere zu denken, be&#x017F;chäftigt &#x017F;ich nur mit dem<lb/>
geliebten Ich &#x2026; O, wie bitter oft &#x017F;ollte ich noch Ur¬<lb/>
&#x017F;ache haben, bei mir zu denken: wie gut, wie erquickend<lb/>
wäre es, wenn auch anderwärts &#x017F;olche Gleichgültigkeit<lb/>
&#x017F;ich einbürgern wollte! &#x2014; Wie würde der ge&#x017F;ellige Ver¬<lb/>
kehr &#x017F;ich gemüthlicher, erfri&#x017F;chender ge&#x017F;talten, wenn man<lb/>
nicht durch neugieriges Ueberwachtwerden, durch nadel¬<lb/>
&#x017F;tichartige Bemerkungen gezwungen würde, &#x017F;ich &#x017F;tets auf<lb/>
der Defen&#x017F;ive zu halten! &#x2026;</p><lb/>
        <p>Selb&#x017F;t der Sommer bot in Petersburg reiche ge¬<lb/>
&#x017F;ellige Annehmlichkeiten. Befreundete Familien, welche<lb/>
ihren Wohn&#x017F;itz in der Nähe der Stadt auf dem Lande<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0267] Und nun zum Abſchiede von der prächtigen Czaren¬ ſtadt einige frohmüthigere Bilder aus dem geſelligen Leben. Auf liebenswürdigere Weiſe habe ich, nirdends Gaſt¬ freundſchaft ausüben ſehen und nie wohlwollendere Menſchen getroffen, als in Petersburg. Da war von den ſonſt ſo verbreiteten Dornen und Dörnchen der Ge¬ ſelligkeit: von Neid, Klatſcherei, Verleumdung keine Spur! Die ominöſen »on dit« wurden nicht boshaft oder unbe¬ ſonnen erzählt, oder gar entſtellt — nein! ſtets klang eine Entſchuldigung zwiſchendurch, und die circonstances attenuantes wurden taktvoll hervorgehoben. Wie oft mußte ich, nach Deuſchland zurückgekehrt, vernehmen, wenn ich dieſe Tugend der Petersburger, der echten Ruſſen wie der Angeſiedelten, lobend erwähnte: dies Be¬ gütigen beruht mehr auf Gleichgültigkeit, man hat nicht Zeit, an Andere zu denken, beſchäftigt ſich nur mit dem geliebten Ich … O, wie bitter oft ſollte ich noch Ur¬ ſache haben, bei mir zu denken: wie gut, wie erquickend wäre es, wenn auch anderwärts ſolche Gleichgültigkeit ſich einbürgern wollte! — Wie würde der geſellige Ver¬ kehr ſich gemüthlicher, erfriſchender geſtalten, wenn man nicht durch neugieriges Ueberwachtwerden, durch nadel¬ ſtichartige Bemerkungen gezwungen würde, ſich ſtets auf der Defenſive zu halten! … Selbſt der Sommer bot in Petersburg reiche ge¬ ſellige Annehmlichkeiten. Befreundete Familien, welche ihren Wohnſitz in der Nähe der Stadt auf dem Lande

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/267
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/267>, abgerufen am 17.05.2024.