Schwester eingetroffen und sprach eifrigst mit ihr; die Kaiserin-Mutter saß neben Nikolaus und ich konnte kaum begreifen, daß diese schöne, blühende, kaum 40 Jahre alt aussehende Frau seine Mutter war. Der ganze Anblick erinnerte an die Märchen von "Tausend und Eine Nacht," und die unermüdliche Scheherazade hätte keine schöneren Prinzen und Prinzessinen schildern können.
Mit furchtbarem Herzklopfen trat ich auf die Bühne; ich hatte das erste Wort zu sprechen.
Die Schauspieler schienen das Gedächtniß jetzt völlig verloren zu haben. Mühsam, unerquicklich schläfrig ge¬ langten wir an den Schluß des traurigen Lustspiels, und Barlow, jahrelang schon in Petersburg, beging die Taktlosigkeit, im letzten Akt als General in einem alt¬ fränkischen, großgeblumten Schlafrock zu erscheinen. Beschort in Berlin hatte zu dieser Duellßene, welche ohne Licht im Wohnzimmer vor sich geben soll, einen Ueberrock gewählt, und Barlow stolzirt vor den Kaise¬ rinnen im schlotterigen Schlafrock herum: der dicke, große Mann auf der kleinen Bühne ... Es war entsetzlich an¬ zusehn!
Ich konnte es nicht mehr aushalten; ich verschwand hinter dem großen Schirme des improvisirten Garderobe¬ zimmers, der in einer Ecke des weiten Saals hinter der Bühne angebracht war. Ich fühlte, daß ich blaß unter der Schminke war, und rang mit einer Ohnmacht. Da wurde ich gerufen; wankend trat ich aus meinem Versteck hervor und sah Fürst Wolkonski auf mich zukommen.
Schweſter eingetroffen und ſprach eifrigſt mit ihr; die Kaiſerin-Mutter ſaß neben Nikolaus und ich konnte kaum begreifen, daß dieſe ſchöne, blühende, kaum 40 Jahre alt ausſehende Frau ſeine Mutter war. Der ganze Anblick erinnerte an die Märchen von »Tauſend und Eine Nacht,« und die unermüdliche Scheherazade hätte keine ſchöneren Prinzen und Prinzeſſinen ſchildern können.
Mit furchtbarem Herzklopfen trat ich auf die Bühne; ich hatte das erſte Wort zu ſprechen.
Die Schauſpieler ſchienen das Gedächtniß jetzt völlig verloren zu haben. Mühſam, unerquicklich ſchläfrig ge¬ langten wir an den Schluß des traurigen Luſtſpiels, und Barlow, jahrelang ſchon in Petersburg, beging die Taktloſigkeit, im letzten Akt als General in einem alt¬ fränkiſchen, großgeblumten Schlafrock zu erſcheinen. Beſchort in Berlin hatte zu dieſer Duellſzene, welche ohne Licht im Wohnzimmer vor ſich geben ſoll, einen Ueberrock gewählt, und Barlow ſtolzirt vor den Kaiſe¬ rinnen im ſchlotterigen Schlafrock herum: der dicke, große Mann auf der kleinen Bühne … Es war entſetzlich an¬ zuſehn!
Ich konnte es nicht mehr aushalten; ich verſchwand hinter dem großen Schirme des improviſirten Garderobe¬ zimmers, der in einer Ecke des weiten Saals hinter der Bühne angebracht war. Ich fühlte, daß ich blaß unter der Schminke war, und rang mit einer Ohnmacht. Da wurde ich gerufen; wankend trat ich aus meinem Verſteck hervor und ſah Fürſt Wolkonski auf mich zukommen.
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Schweſter eingetroffen und ſprach eifrigſt mit ihr; die
Kaiſerin-Mutter ſaß neben Nikolaus und ich konnte kaum
begreifen, daß dieſe ſchöne, blühende, kaum 40 Jahre alt
ausſehende Frau ſeine Mutter war. Der ganze Anblick
erinnerte an die Märchen von »Tauſend und Eine Nacht,«
und die unermüdliche Scheherazade hätte keine ſchöneren
Prinzen und Prinzeſſinen ſchildern können.
Mit furchtbarem Herzklopfen trat ich auf die Bühne;
ich hatte das erſte Wort zu ſprechen.
Die Schauſpieler ſchienen das Gedächtniß jetzt völlig
verloren zu haben. Mühſam, unerquicklich ſchläfrig ge¬
langten wir an den Schluß des traurigen Luſtſpiels, und
Barlow, jahrelang ſchon in Petersburg, beging die
Taktloſigkeit, im letzten Akt als General in einem alt¬
fränkiſchen, großgeblumten Schlafrock zu erſcheinen.
Beſchort in Berlin hatte zu dieſer Duellſzene, welche
ohne Licht im Wohnzimmer vor ſich geben ſoll, einen
Ueberrock gewählt, und Barlow ſtolzirt vor den Kaiſe¬
rinnen im ſchlotterigen Schlafrock herum: der dicke, große
Mann auf der kleinen Bühne … Es war entſetzlich an¬
zuſehn!
Ich konnte es nicht mehr aushalten; ich verſchwand
hinter dem großen Schirme des improviſirten Garderobe¬
zimmers, der in einer Ecke des weiten Saals hinter der
Bühne angebracht war. Ich fühlte, daß ich blaß unter
der Schminke war, und rang mit einer Ohnmacht. Da
wurde ich gerufen; wankend trat ich aus meinem Verſteck
hervor und ſah Fürſt Wolkonski auf mich zukommen.
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/226>, abgerufen am 22.11.2024.
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