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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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(in Ascendenz und Descendenz), sondern nur in der Breite*)
zum Ausdruck kommen, zwischen Geschwistern in Schwestern
und Brüdern. Für genaue Gliederung liegt kein Bedürfniss
vor, da die Horde auch gesellschaftlich, so lange durch den
Rath (oder vielmehr nur durch das Ansehen) der Alten
regiert, ohne bestimmtes Haupt ist.

Tritt nun etwa hier durch Katastrophen eine Zer-
streuung ein, so bleibt, als nächstliegend, die Geschwister-
schaft zusammen, und wenn sie sich dann als solche vielleicht
isolirt in Sicherheit wiederfindet, wird zwar dann in, Heroi-
den**) feiernder, Legende das Bild der Mutter bewahrt bleiben,
um welche sich an jenem Morgen des Schreckens die zittern-
den Kinder schaarten, aus diesen wird aber, der gleichen
Gefahr eben wegen, bald der muthigste und kräftigste, am
ehesten also der Aelteste***), an die Spitze gerufen werden,
und der Schutzgeist, dem er (als selbsterträumter bei den
Indianern) vertraut, wird in Australien dann gleichfalls (meist
in Thierform+) des Kobong (als Totem, wie auch bei Beschua-
nen, Kasya u. s. w.) als Wappen des jetzt unter ihm als

*) Die Stemmata enthielten neben der Familie in absteigender Linie
die Seitenverwandte, als Schwertmagen oder Agnati (väterlicherseits) und der
Spilmagen oder cognati (mütterlicherseits). Nach Rosin drückt Spillmach
den Begriff der durchweg durch Weiber verwandten Weiber aus, im Gegen-
satz zu Svertmach (der durchweg durch Männer verwandten Männer).
**) Die Griechen bewahrten bei ihrem Eponymus, als Geschlechtsvater,
den Namen der Mutter, durch einen Gott geschwängert (wie Chione den
Eumolpus der Eumolpiden aus Neptun gebar).
***) Rechtlich wird die Primogenitur besonders unter Verhältnissen,
wie sie bei den Beneficien vorlagen, befestigt. Das Vermögen wird beim
Tode des Vaters getheilt, doch kann der Vater beliebig einen Sohn bevor-
zugen (bei den Jakuten). Der Bräutigam erhält von seinem Vater einen
Theil von dessen Jagdgrund und von dem Vater der Braut einen Bogen
(bei den Veddah).
+) Cleisthenes in Argos änderte die Namen der dorischen Stämme
(zu Sicyon) in Hyatae (Eber), Oneatae (Esel), Choeratae (Schwein).

(in Ascendenz und Descendenz), sondern nur in der Breite*)
zum Ausdruck kommen, zwischen Geschwistern in Schwestern
und Brüdern. Für genaue Gliederung liegt kein Bedürfniss
vor, da die Horde auch gesellschaftlich, so lange durch den
Rath (oder vielmehr nur durch das Ansehen) der Alten
regiert, ohne bestimmtes Haupt ist.

Tritt nun etwa hier durch Katastrophen eine Zer-
streuung ein, so bleibt, als nächstliegend, die Geschwister-
schaft zusammen, und wenn sie sich dann als solche vielleicht
isolirt in Sicherheit wiederfindet, wird zwar dann in, Heroi-
den**) feiernder, Legende das Bild der Mutter bewahrt bleiben,
um welche sich an jenem Morgen des Schreckens die zittern-
den Kinder schaarten, aus diesen wird aber, der gleichen
Gefahr eben wegen, bald der muthigste und kräftigste, am
ehesten also der Aelteste***), an die Spitze gerufen werden,
und der Schutzgeist, dem er (als selbsterträumter bei den
Indianern) vertraut, wird in Australien dann gleichfalls (meist
in Thierform†) des Kobong (als Totem, wie auch bei Beschua-
nen, Kasya u. s. w.) als Wappen des jetzt unter ihm als

*) Die Stemmata enthielten neben der Familie in absteigender Linie
die Seitenverwandte, als Schwertmagen oder Agnati (väterlicherseits) und der
Spilmagen oder cognati (mütterlicherseits). Nach Rosin drückt Spillmach
den Begriff der durchweg durch Weiber verwandten Weiber aus, im Gegen-
satz zu Svertmach (der durchweg durch Männer verwandten Männer).
**) Die Griechen bewahrten bei ihrem Eponymus, als Geschlechtsvater,
den Namen der Mutter, durch einen Gott geschwängert (wie Chione den
Eumolpus der Eumolpiden aus Neptun gebar).
***) Rechtlich wird die Primogenitur besonders unter Verhältnissen,
wie sie bei den Beneficien vorlagen, befestigt. Das Vermögen wird beim
Tode des Vaters getheilt, doch kann der Vater beliebig einen Sohn bevor-
zugen (bei den Jakuten). Der Bräutigam erhält von seinem Vater einen
Theil von dessen Jagdgrund und von dem Vater der Braut einen Bogen
(bei den Veddah).
†) Cleisthenes in Argos änderte die Namen der dorischen Stämme
(zu Sicyon) in Hyatae (Eber), Oneatae (Esel), Choeratae (Schwein).
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[96/0130] (in Ascendenz und Descendenz), sondern nur in der Breite *) zum Ausdruck kommen, zwischen Geschwistern in Schwestern und Brüdern. Für genaue Gliederung liegt kein Bedürfniss vor, da die Horde auch gesellschaftlich, so lange durch den Rath (oder vielmehr nur durch das Ansehen) der Alten regiert, ohne bestimmtes Haupt ist. Tritt nun etwa hier durch Katastrophen eine Zer- streuung ein, so bleibt, als nächstliegend, die Geschwister- schaft zusammen, und wenn sie sich dann als solche vielleicht isolirt in Sicherheit wiederfindet, wird zwar dann in, Heroi- den **) feiernder, Legende das Bild der Mutter bewahrt bleiben, um welche sich an jenem Morgen des Schreckens die zittern- den Kinder schaarten, aus diesen wird aber, der gleichen Gefahr eben wegen, bald der muthigste und kräftigste, am ehesten also der Aelteste ***), an die Spitze gerufen werden, und der Schutzgeist, dem er (als selbsterträumter bei den Indianern) vertraut, wird in Australien dann gleichfalls (meist in Thierform †) des Kobong (als Totem, wie auch bei Beschua- nen, Kasya u. s. w.) als Wappen des jetzt unter ihm als *) Die Stemmata enthielten neben der Familie in absteigender Linie die Seitenverwandte, als Schwertmagen oder Agnati (väterlicherseits) und der Spilmagen oder cognati (mütterlicherseits). Nach Rosin drückt Spillmach den Begriff der durchweg durch Weiber verwandten Weiber aus, im Gegen- satz zu Svertmach (der durchweg durch Männer verwandten Männer). **) Die Griechen bewahrten bei ihrem Eponymus, als Geschlechtsvater, den Namen der Mutter, durch einen Gott geschwängert (wie Chione den Eumolpus der Eumolpiden aus Neptun gebar). ***) Rechtlich wird die Primogenitur besonders unter Verhältnissen, wie sie bei den Beneficien vorlagen, befestigt. Das Vermögen wird beim Tode des Vaters getheilt, doch kann der Vater beliebig einen Sohn bevor- zugen (bei den Jakuten). Der Bräutigam erhält von seinem Vater einen Theil von dessen Jagdgrund und von dem Vater der Braut einen Bogen (bei den Veddah). †) Cleisthenes in Argos änderte die Namen der dorischen Stämme (zu Sicyon) in Hyatae (Eber), Oneatae (Esel), Choeratae (Schwein).

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/130>, abgerufen am 24.11.2024.