Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Basedow, Johann Bernhard: Das in Dessau errichtete Philanthropinum. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite
im Seminare.

Wir bedürfen also eines lateinischen
Hauptlehrers,
der übrigens dem französi-

schen
dem Bessern derselben Art. Von einer solchen Chre-
stomathie hat man bisher keinen Begriff gehabt. Jch
habe zum Drucke fertig, die Verkürzung der mora-
lischen Bücher des Cicero; imgleichen einen Auszug
des Lactanz und der Gespräche des Erasmus. Solche
Chvestomathien müssen unverstümmelte Abhandlun-
gen oder ganze Bücher scheinen; oder es müssen die
einzelnen kurzen Stücke unter Realclassen gebracht
werden. Die vernünftige Welt muß, auch ohne die
geringste Absicht auf die Sprache oder Schriftsteller-
kunst, eine solche Schrift als eins der besten Bücher mit
Nutzen und Vergnügen lesen. Jch kenne noch keine
Chrestomathie eines ganzen Autors, die nicht die
größten Fehler haben sollte. Wenn die bessern erst da
sind, so können sie zur Handbibliothek, zur täglichen
Lesübung, sowohl der Lehrer als der erwachsenen Lehr-
linge der lateinischen Sprache und der Wissenschaften,
gehören, den Verstand nicht nur auf die vollkommenste
Art zu erleuchten, sondern auch das Herz (wozu man-
che Stellen der Autoren nicht taugen) täglich zu ver-
bessern. Da wird man sehen, daß (ausser der Mathe-
mathik und Naturkunde, und ausser dem, was ge-
offenbaret ist) die Neuern nichts wissen, was nicht
irgend ein Alter auch gewußt und besser gesagt hätte,
als man es jetzund zu sagen pflegt. Jn der Jugend
konnte ich die Alten nicht lieben. So werden sie in
Schulen behandelt. Jn männlichen Jahren aber
habe ich zu selbstthätig dazu werden müssen. Jetzund
endlich habe ich ein Dutzend der Alten nach der Reihe
mit grossem Nutzen und Vergnügen durchgelesen,
und bedaure, daß ich ehemals, an Statt viele ent-
behrlichere Arbeiten vorzunehmen, nicht lauter Chre-
stomathien aus den Alten gemacht, mit einigen auf
unsre
E 2
im Seminare.

Wir beduͤrfen alſo eines lateiniſchen
Hauptlehrers,
der uͤbrigens dem franzoͤſi-

ſchen
dem Beſſern derſelben Art. Von einer ſolchen Chre-
ſtomathie hat man bisher keinen Begriff gehabt. Jch
habe zum Drucke fertig, die Verkuͤrzung der mora-
liſchen Buͤcher des Cicero; imgleichen einen Auszug
des Lactanz und der Geſpraͤche des Eraſmus. Solche
Chveſtomathien muͤſſen unverſtuͤmmelte Abhandlun-
gen oder ganze Buͤcher ſcheinen; oder es muͤſſen die
einzelnen kurzen Stuͤcke unter Realclaſſen gebracht
werden. Die vernuͤnftige Welt muß, auch ohne die
geringſte Abſicht auf die Sprache oder Schriftſteller-
kunſt, eine ſolche Schrift als eins der beſten Buͤcher mit
Nutzen und Vergnuͤgen leſen. Jch kenne noch keine
Chreſtomathie eines ganzen Autors, die nicht die
groͤßten Fehler haben ſollte. Wenn die beſſern erſt da
ſind, ſo koͤnnen ſie zur Handbibliothek, zur taͤglichen
Lesuͤbung, ſowohl der Lehrer als der erwachſenen Lehr-
linge der lateiniſchen Sprache und der Wiſſenſchaften,
gehoͤren, den Verſtand nicht nur auf die vollkommenſte
Art zu erleuchten, ſondern auch das Herz (wozu man-
che Stellen der Autoren nicht taugen) taͤglich zu ver-
beſſern. Da wird man ſehen, daß (auſſer der Mathe-
mathik und Naturkunde, und auſſer dem, was ge-
offenbaret iſt) die Neuern nichts wiſſen, was nicht
irgend ein Alter auch gewußt und beſſer geſagt haͤtte,
als man es jetzund zu ſagen pflegt. Jn der Jugend
konnte ich die Alten nicht lieben. So werden ſie in
Schulen behandelt. Jn maͤnnlichen Jahren aber
habe ich zu ſelbſtthaͤtig dazu werden muͤſſen. Jetzund
endlich habe ich ein Dutzend der Alten nach der Reihe
mit groſſem Nutzen und Vergnuͤgen durchgeleſen,
und bedaure, daß ich ehemals, an Statt viele ent-
behrlichere Arbeiten vorzunehmen, nicht lauter Chre-
ſtomathien aus den Alten gemacht, mit einigen auf
unſre
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0103" n="67"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">im Seminare.</hi> </fw><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wir bedu&#x0364;rfen al&#x017F;o eines lateini&#x017F;chen<lb/>
Hauptlehrers,</hi> der <hi rendition="#g">u&#x0364;brigens</hi> dem franzo&#x0364;&#x017F;i-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/><note next="#seg2pn_4_3" xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="(*)">dem Be&#x017F;&#x017F;ern der&#x017F;elben Art. Von einer &#x017F;olchen Chre-<lb/>
&#x017F;tomathie hat man bisher keinen Begriff gehabt. Jch<lb/>
habe zum Drucke fertig, die Verku&#x0364;rzung der mora-<lb/>
li&#x017F;chen Bu&#x0364;cher des Cicero; imgleichen einen Auszug<lb/>
des Lactanz und der Ge&#x017F;pra&#x0364;che des Era&#x017F;mus. Solche<lb/>
Chve&#x017F;tomathien mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en unver&#x017F;tu&#x0364;mmelte Abhandlun-<lb/>
gen oder ganze Bu&#x0364;cher &#x017F;cheinen; oder es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
einzelnen kurzen Stu&#x0364;cke unter Realcla&#x017F;&#x017F;en gebracht<lb/>
werden. Die vernu&#x0364;nftige Welt muß, auch ohne die<lb/>
gering&#x017F;te Ab&#x017F;icht auf die Sprache oder Schrift&#x017F;teller-<lb/>
kun&#x017F;t, eine &#x017F;olche Schrift als eins der be&#x017F;ten Bu&#x0364;cher mit<lb/>
Nutzen und Vergnu&#x0364;gen le&#x017F;en. Jch kenne noch keine<lb/>
Chre&#x017F;tomathie eines ganzen Autors, die nicht die<lb/>
gro&#x0364;ßten Fehler haben &#x017F;ollte. Wenn die be&#x017F;&#x017F;ern er&#x017F;t da<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o ko&#x0364;nnen &#x017F;ie zur Handbibliothek, zur ta&#x0364;glichen<lb/>
Lesu&#x0364;bung, &#x017F;owohl der Lehrer als der erwach&#x017F;enen Lehr-<lb/>
linge der lateini&#x017F;chen Sprache und der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften,<lb/>
geho&#x0364;ren, den Ver&#x017F;tand nicht nur auf die vollkommen&#x017F;te<lb/>
Art zu erleuchten, &#x017F;ondern auch das Herz (wozu man-<lb/>
che Stellen der Autoren nicht taugen) ta&#x0364;glich zu ver-<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern. Da wird man &#x017F;ehen, daß (au&#x017F;&#x017F;er der Mathe-<lb/>
mathik und Naturkunde, und au&#x017F;&#x017F;er dem, was ge-<lb/>
offenbaret i&#x017F;t) die Neuern nichts wi&#x017F;&#x017F;en, was nicht<lb/>
irgend ein Alter auch gewußt und be&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte,<lb/>
als man es jetzund zu &#x017F;agen pflegt. Jn der Jugend<lb/>
konnte ich die Alten nicht lieben. So werden &#x017F;ie in<lb/>
Schulen behandelt. Jn ma&#x0364;nnlichen Jahren aber<lb/>
habe ich zu &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tig dazu werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Jetzund<lb/>
endlich habe ich ein Dutzend der Alten nach der Reihe<lb/>
mit gro&#x017F;&#x017F;em Nutzen und Vergnu&#x0364;gen durchgele&#x017F;en,<lb/>
und bedaure, daß ich ehemals, an Statt viele ent-<lb/>
behrlichere Arbeiten vorzunehmen, nicht lauter Chre-<lb/>
&#x017F;tomathien aus den Alten gemacht, mit einigen auf<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">un&#x017F;re</fw></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0103] im Seminare. Wir beduͤrfen alſo eines lateiniſchen Hauptlehrers, der uͤbrigens dem franzoͤſi- ſchen (*) (*) dem Beſſern derſelben Art. Von einer ſolchen Chre- ſtomathie hat man bisher keinen Begriff gehabt. Jch habe zum Drucke fertig, die Verkuͤrzung der mora- liſchen Buͤcher des Cicero; imgleichen einen Auszug des Lactanz und der Geſpraͤche des Eraſmus. Solche Chveſtomathien muͤſſen unverſtuͤmmelte Abhandlun- gen oder ganze Buͤcher ſcheinen; oder es muͤſſen die einzelnen kurzen Stuͤcke unter Realclaſſen gebracht werden. Die vernuͤnftige Welt muß, auch ohne die geringſte Abſicht auf die Sprache oder Schriftſteller- kunſt, eine ſolche Schrift als eins der beſten Buͤcher mit Nutzen und Vergnuͤgen leſen. Jch kenne noch keine Chreſtomathie eines ganzen Autors, die nicht die groͤßten Fehler haben ſollte. Wenn die beſſern erſt da ſind, ſo koͤnnen ſie zur Handbibliothek, zur taͤglichen Lesuͤbung, ſowohl der Lehrer als der erwachſenen Lehr- linge der lateiniſchen Sprache und der Wiſſenſchaften, gehoͤren, den Verſtand nicht nur auf die vollkommenſte Art zu erleuchten, ſondern auch das Herz (wozu man- che Stellen der Autoren nicht taugen) taͤglich zu ver- beſſern. Da wird man ſehen, daß (auſſer der Mathe- mathik und Naturkunde, und auſſer dem, was ge- offenbaret iſt) die Neuern nichts wiſſen, was nicht irgend ein Alter auch gewußt und beſſer geſagt haͤtte, als man es jetzund zu ſagen pflegt. Jn der Jugend konnte ich die Alten nicht lieben. So werden ſie in Schulen behandelt. Jn maͤnnlichen Jahren aber habe ich zu ſelbſtthaͤtig dazu werden muͤſſen. Jetzund endlich habe ich ein Dutzend der Alten nach der Reihe mit groſſem Nutzen und Vergnuͤgen durchgeleſen, und bedaure, daß ich ehemals, an Statt viele ent- behrlichere Arbeiten vorzunehmen, nicht lauter Chre- ſtomathien aus den Alten gemacht, mit einigen auf unſre E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_philanthropinum_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_philanthropinum_1774/103
Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Das in Dessau errichtete Philanthropinum. Leipzig, 1774, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_philanthropinum_1774/103>, abgerufen am 29.03.2024.